v.l.n.r.: Melanie Schiedhelm (Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Worms), Adolf Kessel (Oberbürgermeister), Laura Knaub (Jugendforum) und Ronja Scheu (Frauennotruf e.V.)

Bereits im vergangenen Jahr hatten sich die städtische Gleichstellungsstelle und das Jugendforum Worms gemeinsam mit dem Frauennotruf Worms an einen Tisch gesetzt, um über die angstfreie Nutzung von öffentlichem Raum zu sprechen. Dazu gehörte auch das Thema „Catcalling“. Gemeinsam lud man im Februar zu einem Vortrag ein. Rund 30 Interessierte folgten der Einladung, darunter auch der Oberbürgermeister der Stadt Worms, Adolf Kessel.

Es ist eine Situation, wie sie wahrscheinlich hundert Mal am Tag in Deutschland vorkommt, die uns eine Leserin im Kontext dieses Artikels schildert. Es ist Dienstagmorgen in Kirchheimbolanden. Drei Männer sitzen auf einer Bank am Bahnhofsvorplatz, als die Frau deren Weg quert. Statt sie zu ignorieren, rufen sie ihr hinterher: „Hey Puppe! Komm doch mal her!“ Sie geht auf die Rufe nicht ein. Die Männer hingegen machen weiter: „Die Frau ist zu fein, mit uns zu reden“. Man könnte nun sagen, es ist ja nichts passiert, es waren ja nur unüberlegte Worte. Doch die Wahrheit ist, dass ungefragte Anmachsprüche, obszöne Gesten oder Anstarren nervig und zuweilen auch bedrohlich erscheinen können. Betroffen sind überwiegend Frauen, aber auch queere Personen.

„Catcalling“ hat viele Gesichter

Fast klingt das Wort „Catcalling“ zu niedlich, bezeichnet es doch konkret eine verbale sexuelle Belästigung. Aber auch körperliche Belästigungen wie das „versehentliche“ Berühren bis hin zum Weg verstellen. Ein unangenehmer Trend, der auch im Internet Folgen haben kann, ist das Upskirting, bei dem mit der Handykamera unter den Rock von Frauen fotografiert wird, oft mit der Folge, dass sich solche Aufnahmen später im Internet wiederfinden. Ähnlich wie es unsere Leserin erlebt hat, finden diese Übergriffe zumeist in öffentlichen Situationen (Straßen, Bus und Bahn) statt. So erklärte Ronja Scheu (Frauennotruf Alzey), die den Vortrag hielt, dass 84 Prozent der betroffenen Personen in der Öffentlichkeit belästigt wurden. Laut einer Umfrage der UN von 2021 haben sogar 97 Prozent aller Frauen zwischen 18 und 24 Jahren diese Form der sexuellen Belästigung bereits irgendwo erlebt. Eines der größten Probleme im Umgang mit dieser Form der Belästigung ist oft die Verharmlosung, indem dieses Verhalten als Flirten abgetan wird. Tatsächlich ist das Catcalling in Deutschland kein Straftatbestand, was die Einordnung oft schwierig macht. In Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden gilt Catcalling wiederum als Straftat oder zumindest Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeldern belegt wird. Antonia Quell, eine Studentin aus Fulda, hatte 2020 in einer Online-Petition gefordert, dass Catcalling strafbar wird. Im Juni 2023 hatte die SPD-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier schließlich vorgeschlagen, erhebliche verbale sexuelle Belästigung strafbar zu machen. Umgesetzt wurde bisher allerdings nichts.

Nicht wegschauen, sondern helfen

Ziel der Veranstaltung war es dementsprechend, aufzuklären und Multiplikatoren zu schaffen, die verbale Belästigung als das begreifen, was es ist, nämlich ein übergriffiges Verhalten, das zumeist von Männern jeder Altersgruppe und ethnischer Zugehörigkeit ausgeht. Gefragt danach, warum Männer das tun, verwies Scheu auf die Sozialisation. Oft sei zu beobachten, dass die Täter von traditionellen Männerbildern geprägt seien. „Catcalling“ sei letztlich eine Machtdemonstration, gepaart mit dem Ziel, das Gegenüber zu erniedrigen. Auch gebe es in diesem Kontext immer wieder rassistisch motivierte Belästigungen. Für Sozialwissenschaftler ist klar, dass diese Form der sexuellen Gewalt ein Spiegel unserer Gesellschaft sei, in der Mann und Frau noch immer ungleich seien. Doch wie kann man als Person damit umgehen, wenn man unmittelbar betroffen ist? Scheu machte gleich zu Beginn klar, dass Frauen auf keinen Fall ihre eigenen Möglichkeiten überschätzen sollten. Statt verbal zu kontern, sei es oftmals besser, die Situation auszuhalten und zu ignorieren. Wichtig sei es aber auch, sich in besonders schweren Fällen Hilfe zu organisieren und auf die Situation aufmerksam zu machen. Nicht minder wichtig sei aber auch, dass wir alle lernen, nicht peinlich pikiert wegzuschauen, sondern zu helfen – und wenn es am Schluss nur die Aussage als Zeuge ist.

Text und Foto: Dennis Dirigo

 

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