Für Julia Klöckner ist es die letzte Chance, politisch ganz groß herauszukommen. Schon einmal setzte sie zum Sprung an die Spitze ihres Heimatbundeslandes an, doch damals war die Situation eine andere. Damals, das war 2011, sie selbst war frisch gebackene Spitzenkandidatin, immerhin mit einem Traumergebnis von 99,5% gewählt, während der amtierende Landesvater Kurt Beck hieß. Beck, das war eine harte Nuss.
Zwar war der langjährige Landesvater zu diesem Zeitpunkt schon hoffnungslos in die Nürburgring Affäre verstrickt, das änderte aber nur wenig an seiner Beliebtheit. Die ehemalige Weinkönigin aus Bad Kreuznach polterte zwar ordentlich gegen den schier übermächtigen Beck, das Wahlergebnis fiel trotzdem zu seinen Gunsten aus. Die SPD gewann. Und Frau Klöckner? Die widerstand der Versuchung, nach Berlin abzuwandern und verbrachte fünf Jahre auf der Oppositionsbank. Am Ende überlebte sie schließlich Kurt Beck, der 2013 sein Amt niederlegte. Julia Klöckner hat in den vergangenen Jahren dazu gelernt. Statt zu poltern, wie sie es einst tat, wirkt sie heute überlegt, besonnen, fast schon leise. Ihre Worte sind sorgsam überlegt. Statt mit krawalligen Argumenten gegen die Landesregierung zu schießen, versucht sie, mit Sachargumenten zu überzeugen – so auch bei ihrem Besuch im Weingut Bechtel in Herrnsheim. Es war ausgerechnet der Valentinstag, als sie in der Nibelungenstadt mit ihrem „Julia-Bus“ einen Stopp einlegte. Dementsprechend zeigte sie sich überrascht, an diesem Tag eine überfüllte Vinothek vor zu finden. Etwas mehr als 300 politisch Interessierte waren gekommen, um zu hören, was die Frau zu sagen hat. Gleich zu Beginn zog sie die Sympathien auf sich, als sie auch die SPD Zuhörerschaft in den Reihen der Vinothek begrüßte, denn die seien auch immer da, wenn sie auftrete. Die Lacher gehörten ihr, dennoch wird sie die amtierende Ministerpräsidentin an diesem Abend mit keinem Wort diskreditieren und betonte, dass sie keine Panik verbreiten wolle. Vielmehr lobte sie ironisch spitzzüngig die SPD, dass diese ihre Arbeit getan hätte und es nun eben an der Zeit sei, dass sie abgewählt würden. Es klang fast schon logisch, als die attraktive Bad Kreuznacherin dies sagte. Zwei Themen (Bildung und Flüchtlingspolitik) hatte sie an diesem Abend mitgebracht, die ihr besonders am Herzen liegen und über die sie in den folgenden zwei Stunden referierte, ehe sie in einen kurzen Dialog mit den Gästen ging. Weniger nach Lob und mit deutlich mehr Spitzen versehen, klang ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Bildung. Mit deutlichen Worten attestierte sie den Sozialdemokraten, in Rheinland-Pfalz eine Bildungskatastrophe verursacht zu haben. Experimente wie Schreiben nach Gehör, Abschaffung von Schreibschrift oder des „Sitzenbleibens“ seien mit ihr nicht zu machen, schließlich wollten Schüler wissen, wo sie stehen. Genauso gehöre die Inklusion nach der derzeitigen Lesart auf den Prüfstand, zumal die Realschule plus in ihrer aktuellen Form eher eine Mogelpackung sei und es eindeutig zu wenige Schulsozialarbeiter gebe. Unhaltbar sei auch die Situation, dass Lehrer in Rheinland-Pfalz sich immer wieder in „prekären Arbeitsverhältnissen“ wiederfänden und deswegen viele in das Nachbarland Hessen abwanderten. Und das in einem Land, das von einer Arbeiterpartei geführt wird und sich selbst am 1. Mai feiere. Tatsächlich ist es so, dass viele Lehrer lediglich bis zu den Sommerferien beschäftigt werden und erst nach deren Beendigung wieder eingestellt werden. Dies hat zur Folge, dass sie über sechs Wochen nicht sozialversichert sind. Es sei vor allem wichtig, dass die Schulen in Rheinland-Pfalz endlich mal zur Ruhe kämen, Förderschulen wieder mehr Würdigung erfahren oder wie sie es schließlich auf den Punkt brachte: „Wir sind unterschiedlich, es darf deswegen keine Einheitsbildung geben.“ Solche Worte kamen an. Für Unmut sorgten ihre Pläne, ein sogenanntes Landesfamiliengeld einzuführen, was nichts anderes ist als die seinerzeit umstrittene „Herdprämie“ eines Horst Seehofer. Hier warf ein Gast ein, dass die Leidtragenden einer solchen Geldpolitik am Ende die Kleinen aus bildungsfernen Familien seien. Zwar zeigte sich die Politikerin auch hierbei schlagfertig und argumentierte mit den Fachkenntnissen der Eltern gegenüber Erziehern, restlos überzeugen konnte sie aber in diesem Punkt nicht.
Ein politisch deutlich gefährlicheres Terrain betrat sie anschließend mit der aktuellen Flüchtlingssituation. Auch hier zeigte sie eine gewisse Nähe zu ihrem bayrischen Kollegen Horst Seehofer, auch wenn sie es versteht, die milderen Worte zu finden. Doch ausgerechnet dieses Thema könnte ihren bisher vorhergesagten Durchmarsch an die Landesspitze verhindern, denn hier ist sie natürlich auf die Unterstützung ihrer Parteichefin Angela Merkel angewiesen und die kommt ihr bisher nicht entgegen. Natürlich klingt es schlüssig, wenn sie erklärt, dass die Gefahr einer Überforderung der Bürger bestehe. Die Lösungen, die sie an diesem Abend anbot, klangen jedoch nicht zu Ende gedacht – ja, fast ein wenig grobschlächtig. Dass an den Grenzen Registrierungen stattfinden müssten, wäre sicherlich begrüßenswert, aber dann muss auch die Frage erlaubt sein, warum dies der Politik nicht schon längst gelungen ist. Es ist sicher auch sinnvoll, Integrationsvereinbarungen zu treffen, doch dafür muss man auch eine entsprechende Infrastruktur schaffen und die Kommunen nicht nur mit Worten unterstützen. Fast ein wenig zu rechts klingt ihre populistische Forderung nach einem Burka Verbot, auch wenn sie betonte, dass sie an jenem Rand eben nicht fischen wolle. Im Januar präsentierte Julia Klöckner ihren Plan zur anhaltenden Krise, der sich „A2“ nennt und in dem sie „flexible Tageskontingente“ für die Aufnahme von Flüchtlingen vorsieht. Aus der Distanz des Wählers ein Vorschlag, der nachvollziehbar klingt. Merkel ließ jedoch ihren Sprecher hierzu unlängst verkünden, dass dies eine „eigenständige Initiative“ Klöckners sei. Es scheint, als müsse die dynamisch engagierte Politikerin aus der Winzerfamilie nicht nur Wahlkampf gegen Malu Dreyer führen, sondern auch gegen die eigene Kanzlerin. Eine delikate Situation. Kluge und schlagfertige Worte fand sie indes für die Bürger, die Angst vor einer Islamisierung Deutschlands hätten. Es sei vollkommen in Ordnung, wenn jemand Muslim sei, schließlich existiere bei uns Glaubensfreiheit. Es sei aber merkwürdig, dass gute Bürger das Abendland und das Christentum verteidigen wollten, aber nie in eine Kirche gingen, sondern die christlichen Gotteshäuser leer seien. Die Zuhörerschaft entließ die Wahlkämpferin mit lang anhaltenden Applaus, die wiederum ihre Tour direkt fortsetzte, um erneut für einen Wechsel in Mainz zu werben.