Es tut sich was in der Wormser Innenstadt, im Guten wie im Schlechten. Seit einigen Jahren entwickelt sich die Wormser Fußgängerzone zum Sorgenkind der in den 80er Jahren geschaffenen, fußläufigen Einkaufsstraßen. Leerstände und die zunehmende Erosion von inhabergeführten Geschäften machen besonders der Wilhelm-Leuschner-Straße (KW) das Leben schwer. WO! begab sich auf Spurensuche, sprach mit Geschäftsleuten, Gastronomen, Politikern und auch der Polizei, um Antworten darauf zu finden, was die Innenstadt benötigt, um auch für die Zukunft fit zu sein?
In Teil 1 widmen wir uns vornehmlich den Problemen.
Woher kamen Fußgängerzonen?
Los ging alles in den 50er Jahren, genau gesagt 1953 in der hessischen Stadt Kassel. Dort entstand die erste Fußgängerzone Deutschlands. Im Zentrum des stadtplanerischen Schaffens standen in der Nachkriegszeit das Automobil und der damit verbundene Wunsch, autogerechte Städte zu formen. Einkaufen, Wohnen und Verkehr sollten in getrennten Bereichen stattfinden. Der Verkehr wurde in Ringstraßen um die Zentren herumgelegt. Dort hatten Spaziergänger und ungestörtes Bummeln Vorrang. Als Vorbild galten die großen Einkaufsmalls in den USA, die gebaut wurden, um einladende Einkaufsmöglichkeiten abseits der verwahrlosten Innenstädte zu schaffen. In Worms folgte diese Entwicklung viele Jahrzehnte später. Den Startschuss gab 1983 die Kämmererstraße, die zuerst zur Fußgängerzone umgebaut wurde. Im Laufe der kommenden Jahrzehnte schloss sich diese Fläche immer mehr, bis zuletzt Ende der 90er Jahre auch der Obermarkt von einem Parkplatz in einen pittoresken Platz umgewandelt wurde. Die ehemalige Verkehrsdezernentin Jeannette Wopperer ist vielen Wormsern in diesem Zusammenhang noch bestens in Erinnerung, da sie schließlich das in den 50ern entwickelte Konzept der Ringstraßen für Worms übernahm. Als die Innenstadt in eine große lebende Einkaufsfläche umgewandelt wurde, waren das noch goldene Zeiten für den Handel. Die großen Kaufhäuser Horten und Kaufhof dominierten als stolze Warenhäuser das Gesicht der Innenstadt, während zahlreiche Einzelhändler mit individueller Beratung und exklusiver Ware auch den anspruchsvollen Wünschen gerecht werden konnten. McDonalds und C&A ließen wiederum ein Gefühl von Großstadt aufkommen. Heute gibt es zwar noch den Kaufhof, und anstelle von Horten lockt die Kaiser Passage, dennoch täuscht dies nicht drüber hinweg, dass die Fußgängerzone in einer Art Midlife Crisis steckt. Doch was sind die Probleme, die in den letzten Jahren zu einer Krise führten, die nicht nur die Wormser Innenstadt betrifft?
Online-Handel und zu hohe Mieten
Im vergangenen Mai fand in der Hochschule Worms die Fachtagung „Stadt und Handel“ auf Betreiben des Bundestagsabgeordneten Jan Metzler (CDU), in Kooperation mit dem Städtetag Rheinland-Pfalz, statt. Dort machte man besonders den weiterhin wachsenden Online-Handel und die Mietpreise als Hauptursache aus. Hatte früher der klassische Einzelhandel lediglich mit der Konkurrenz des mittlerweile überholten Versandhandels der Häuser Otto, Neckermann & Co. zu tun, müssen sich Gewerbetreibende heute mit einer weltweiten Konkurrenz auseinandersetzen. Alleine im letzten Jahr kauften die deutschen im Internet, inklusive Tickets und Reisen, Waren im Wert von 78 Milliarden Euro. Erst kürzlich veröffentlichte die IFH Köln eine Studie, die besagt, dass bereits im Jahr 2021 die 100 Milliarden Euro Grenze gesprengt wird. Ein großer Teil des Kuchens geht hierbei an den Branchengiganten Amazon. Geld, das letztlich dem Kunden zum Ausgeben beim Flanieren in der Stadt fehlt. Klar ist allen, dass diese Entwicklung unumkehrbar ist. In Worms ist seit geraumer Zeit zu beobachten, dass besonders Bekleidungsgeschäfte unter dieser Entwicklung leiden. Als wäre für den Handel in den Städten die Online Entwicklung nicht schon Problem genug, gesellen sich zu dieser Problematik noch Mietpreise, die jedem potentiellen Händler erst mal den Schweiß auf die Stirn treiben. Ein Blick auf die Seite Immobilienscout 24 reicht, um das Problem zu erkennen. Derzeit bietet die Seite im Bereich Gewerbeflächen 17 Einträge für Worms, von denen alleine 16 auf die Innenstadt entfallen. Sucht man prominente Beispiele, wird man schnell fündig. Noch in der Zeit, als das Modegeschäft Jeans Fritz seine Pforten geöffnet hatte, suchte der Immobilienbesitzer bereits einen Nachmieter. Das mit 400 Quadratmetern ausgewiesene Geschäft kostet monatlich stattliche 8.000 Euro. Auf den Tag runter gebrochen, bedeutet das 320.- Euro. Im ersten Moment erscheint diese Zahl gar nicht so hoch. Doch zu der Rechnung gesellen sich natürlich noch Personal-, Energie- und Warenkosten, sowie die zu entrichtende Gewerbesteuer, sodass schnell ein benötigter Tagesumsatz von rund 800 Euro entsteht, ohne dass der Händler selbst etwas verdient hat. In Anbetracht der Kundenfrequenz an manchen Tagen ist das nahezu unerreichbar. „Es gibt Tage, an denen ich am Ende gerademal 300 Euro in der Kasse habe“, lässt sich ein Händler zitieren und bringt mit diesem Satz das Problem auf den Punkt. Zwischenzeitlich ist die Kette Euroshop, die vornehmlich günstigste Ware anbietet, in das Gebäude eingezogen. Es ist anzunehmen, dass dies jedoch nur ein vorübergehender Zustand ist, da die Fläche weiterhin zur Vermietung angeboten wird.
Keine Lust zu vermieten?
Doch warum lassen Immobilienbesitzer ihre Gewerbeflächen lieber verwaisen, als mit den Preisen runter zu gehen? Für OB Michael Kissel ist die Sache klar. Er erklärte bei der Fachtagung, dass es für Immobilieneigentümer leider steuerlich interessanter sei, Geschäfte leer stehen zu lassen, als sie zu erträglichen Bedingungen zu vermieten. Im Gespräch mit WO! widerspricht Bundestagsabgeordneter Jan Metzler dieser Aussage. Vielmehr sieht er das Problem darin, dass die Immobilienbesitzer die Leerstände über weitere Mieteinnahmen kompensieren und daher keinen Leidensdruck empfinden. Ein Sichtweise, die auch Kai Hornuf, Geschäftsführer Stadtmarketing, teilt. Hornuf erläutert, dass die meisten Eigentümer in Worms 90% ihrer Mieteinkünfte über den klassischen Wohnungsmarkt verdienen. Somit ist es für sie kein Problem, die Leerstände damit auszugleichen. Die Preise wiederum sieht er in den 90er Jahren verortet, also zu einer Zeit, als es noch keinen Online-Handel gab und der Innenstadthandel problemlos diese Mieten aufbringen konnte.
Fehlende Geschäftskonzepte und Firmen statt Familie
Kai Hornuf, der seit 2013 das Stadtmarketing leitet, sieht aber auch die Händler in der Verantwortung. Immer wieder beobachtet er, dass die Angebote nicht zu dem eigentlichen Bedarf passen. Ein prominentes Beispiel hierfür war der Schreibwarenladen in der Wilhelm-Leuschner-Straße, gegenüber der Karmeliter Apotheke, der der Kette WSF GmbH angehörte. Knapp zwei Jahre hielt das Geschäft mit einer durchaus ansehnlichen Auswahl an Qualitätsschreibwaren durch, ehe in diesem Jahr das Aus kam. Verwunderlich war das nicht wirklich, verwunderlich war vielmehr der Umstand, dass das Geschäft so lange durchhalten konnte. Um für Großbetriebe interessant zu sein, fehlten dem Geschäft schlicht und ergreifend die Parkmöglichkeiten, die z.B. der Mitbewerber Bürobedarf Betz ausweisen kann. Um von der Laufkundschaft zu leben, fehlte wiederum die erforderliche Klientel. Oder mal Hand aufs Herz, wo würden Sie, liebe Leser, eher ihren Kugelschreiber für den Alltagsgebrauch kaufen? Bei Tedi, Drogerie Rossmarkt oder eben im etwas teureren Fachhandel? Kai Hornuf wundert sich, dass sich so mancher Händler vielleicht etwas zu gedankenlos in das Abenteuer Einzelhandel stürzt. Der Stadtmarketing Manager, der selbst ein Sportgeschäft führte, macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass es möglich ist, sich an der Hochschule Worms über die dortigen Handelsstudenten eine sogenannte BWA erstellen zu lassen, also eine betriebswirtschaftliche Auswertung, welche die Ertragslage eines Geschäftes beleuchtet. Auch er demonstriert an einer simplen Rechnung, dass es von Beginn an nahezu unmöglich war für den Inhaber des Schreibwarenladens, längerfristig überleben zu können. Bei einer angenommenen Miete von rund 3.000 Euro hätte das Geschäft mit seinen Schreib- und Kreativartikeln täglich rund 600 Euro Umsatz machen müssen. Die Beispiele WSF und Jeans Fritz zeigen aber auch, dass mittlerweile selbst Ketten das Überleben zwischen Internet, überhöhten Mieten und fehlender Kaufkraft schwer fällt. In den vergangenen Jahren ließen sich in den Innenstädten immer mehr Ketten nieder, da sie die finanzielle Kraft aufbrachten, die Herausforderungen zu stemmen. Die unerfreuliche Folge dieser Entwicklungen war wiederum die zunehmende Gesichtslosigkeit der Fußgängerzonen und ein verschärfter Verdrängungswettbewerb, in dem zunehmend inhabergeführte Geschäfte unter Druck gerieten. Auch in Worms ist diese Entwicklung spürbar. Geschäfte wie die Kunsthandlung Steuer, die seit 90 Jahren familiengeführt ist, Fisch Lorenz, der seit 60 Jahren die Bürger mit frischesten Fischprodukten versorgt oder das Eiscafé Pinel, das sich seit rund 40 Jahren großer Beliebtheit erfreut, werden zunehmend zur Seltenheit. Aber wohin geht die Reise der Fußgängerzone?
Hinweis: In unserer August-Ausgabe lesen Sie mehr zu diesem Thema. Dann beschäftigen wir uns u.a. mit der Frage, ob besonders das Bahnhofsumfeld, zu dem auch die KW gehört, ein Problem mit zunehmender Kriminalität hat oder ob es sich hierbei um eine gefühlte Entwicklung handelt.