15. Januar 2017 | Das Wormser Theater:

Es dürfte nur wenige Menschen geben, denen der Titel „Das Phantom der Oper“ nichts sagt. Schwierig wird es allerdings, wenn der Titel mit einer ganz bestimmten Umsetzung verhaftet ist. Im Falle der romantischen Schauergeschichte dürfte das Andrew Lloyd Webbers Musicaladaption des Stoffes sein.

Entgegen der Meinung einiger Menschen, Webber selbst hätte die Geschichte geschrieben und somit den alleinigen Anspruch auf die Umsetzung, wurde die Geschichte Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Franzosen Gaston Leroux verfasst. Bereits wenige Jahre nach Erscheinen entwickelte die Geschichte um eine entstellte Person, die ihr Unwesen in den Katakomben der Pariser Oper treibt, ein kulturelles Eigenleben. Unzählige Verfilmungen, Buchbearbeitungen und Theateradaptionen zeugen davon. Den größten Erfolg feierte der britische Musical König Andrew Lloyd Webber mit seiner theatralischen Kitschversion. Insofern ist es ein gewagtes Unterfangen, sich ebenfalls in das Fahrwasser des musikalischen Theaters zu begeben. Die bekannte Opernsängerin Deborah Sasson hat das getan. Gemeinsam mit Jochen Sautter komponierte und textete sie eine Neufassung, in der beide auch die Hauptrollen spielen. Im Vorfeld der Wormser Aufführung sorgte das Stück bereits mehrfach für Aufregung, da es immer wieder zu Verwechslungen mit der Webber Fassung kam, was vielerorts enttäuschte Gesichter zur Folge hatte. Das führte sogar soweit, dass Betrugsvorwürfe laut wurden, die natürlich nicht haltbar waren. Auch in Worms zeigten sich einige irritiert ob der Erkenntnis, dass diese Inszenierung nicht über die berühmten Ohrwürmer verfügte. Man könnte nun flapsig sagen: „Wer liest ist klar im Vorteil.“ Andererseits drängt sich natürlich der Gedanke auf, dass die Produktion durchaus hoffte, von dem Erfolg zu partizipieren. Im Gespräch mit WO! erklärte Sasson, dass sie zwar in Paris Webbers Musical gesungen hätte, der Wunsch, den Klassiker neu zu inszenieren, allerdings ihrer Verehrung für das Buch entsprungen sei, da das bekannte Musical an vielen Stellen die Romanvorlage abänderte. Ein Einwand, den man nicht bestreiten kann. Tatsächlich nahmen sich die Autoren des Erfolgsmusicals damals viele Freiheiten, während sich diese Bühnenfassung ziemlich exakt an den Roman hält. Mit viel Liebe zum Detail rekonstruierte man nicht nur das Pariser Opernhaus mittels 3D Animationen und verspielter Bühnenausstattung, sondern integrierte auch die Opernarien, die der Autor Leroux damals von seinen Romanfiguren singen ließ. Beispielhaft sei hier Gounods Oper „Faust“ genannt, die dramaturgisch eine wichtige Rolle spielt, aber bei Webber zugunsten Webber ausgelassen wurde. Begleitet wurde das Ensemble von einem 18-köpfigen Miniorchester, das, in der Besetzung mit E-Gitarre und Schlagzeug, gelegentlich Erinnerungen an den Tanzorchestersound der 70er und 80er erwachen ließ. Zeigten sich die klassischen Arrangements mit Blas- und Streichinstrumenten durchaus gefällig, fühlten sich die Ausflüge in die Poprhythmik zuweilen wie Fremdkörper an. Die gesanglichen Leistungen schmälerte das allerdings nicht. Zwar wirkte Frau Sassons Stimme für die einfach gehaltenen Melodielinien phasenweise zu groß, das änderte allerdings nichts an der großartigen Leistung der erfahrenen Opernsängerin.

Fazit: Wem bewusst war, dass er es in diesem Fall nicht mit dem berühmten Musical zu tun hatte oder sich zumindest auf diesen Umstand einlassen konnte, wurde mit einer visuell eindrucksvollen Vorstellung belohnt. Mittelpunkt waren natürlich die ausdrucksstarken Sänger, allen voran Deborah Sasson und Jochen Sautter. Der Großteil des Wormser Publikums zeigte sich am Ende jedenfalls begeistert und quittierte die Leistung des Ensembles mit stehenden Ovationen. Frau Sasson und ihr Team bedankten sich wiederum mit ein paar zusätzlichen Gesangseinlagen.

Im Übrigen: Wer der Meinung ist, dass die Fassung von Webber das einzig wahrhaft originale Musical sei, dem sei gesagt, dass es bereits 1976 eine Musicalfassung gab (Komponiert von Ken Hill). Erwähnenswert bei dieser umstrittenen Aufführung ist auch, dass sich der Produzent der Show, Dieter Tings, von den Programmverantwortlichen des Wormser Theaters enttäuscht zeigte. Dieser wollte einen Aufführungstermin am Wochenende, der ihm seit Jahren verwehrt wird, weshalb man auf den ungeliebten Montag ausweichen musste. Die Folge war, dass man leider mit einem reduzierten Publikumszuspruch leben musste. Tings möchte diese Situation nicht auf sich sitzen lassen und erwägt, juristische Wege einzuschlagen. Schließlich ist „Das Wormser“ ein Haus für alle, wie unser OB immer wieder betont.