Ein interner Rückblick auf 15 Jahre WO! handelt in drei Kapiteln von Lehrjahren, Krisen, Höhenflügen, Missverständnissen und unerwarteten Ereignissen, denn mit Corona konnte nun wirklich niemand rechnen. Wenn es eine Lehre aus unserer 15-jährigen Verlagsgeschichte gibt, dann lautet diese: „Meistens kommt es anders, als man denkt…“
KAPITEL 1: „ÜBER SIEBEN BRÜCKEN MUSST DU GEHEN, SIEBEN DUNKLE JAHRE ÜBERSTEHEN“ (2005 – 2012)
Da die Wormser Medienlandschaft beim Start unseres Magazins Mitte März 2005 noch weitaus üppiger bestückt war als heute, lautete unser Motto von der ersten Ausgabe an, möglichst aufzufallen. Sei es durch ein originelles Titelbild, eine brisante Geschichte oder einen provokanten Artikel. Denke ich an die Anfangszeit, dann fällt mir ein völlig überdimensioniertes erstes Büro im Wormser Gründerzentrum ein, das derart hohe Decken hatte, so dass ungestörtes Telefonieren nahezu unmöglich war und dass wir bis zu unserem Auszug nach einem halben Jahr immer noch kein funktionierendes Internet hatten. Mir fallen unzählige Nachtschichten ein, bevorzugt am Wochenende, bei unserem damaligen Grafiker Jean Habach, um eine neue Ausgabe rechtzeitig fertig zu stellen. Vor allem aber haben wir am Anfang sehr viel Lehrgeld bezahlt. Kaum am Markt, erreichte uns schon die erste Gegendarstellung und es sollte nicht die letzte bleiben. Ständige Bürowechsel (vier Büros in den ersten vier Jahren) erschwerten zusätzlich eine gewisse Stabilität und verursachten weitere, unnötige Kosten. Die wegen Adressänderung geschredderten Visitenkarten gingen mittlerweile in die Tausende. Als mein Geschäftspartner Michael Koch im September 2009 nach viereinhalb Jahren aus der Geschäftsleitung austrat, weil man ihm einen anderen Job angeboten hatte, konnte ich ihm das nicht einmal verübeln. Als mittlerweile verheirateter Familienvater war ihm eine Festanstellung lieber als die ungewisse Zukunft eines Stadtmagazins. Alleine an Kosten für Rechtsstreitigkeiten hatten wir bis dahin längst einen mehr als fünfstelligen Betrag hingeblättert. Der Preis, den wir für die generierte Aufmerksamkeit bezahlt hatten, war zu hoch, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Da zudem als Geschäftsanfänger jeder Fehler gnadenlos bestraft wird, blieben aus dieser Zeit zwar jede Menge Schulden, aber ans Aufgeben habe ich zu dieser Zeit keine Sekunde gedacht.
Zu unserem fünfjährigen Jubiläum im Jahr 2010 fragte mich ein Geschäftsmann, was meine Zukunftsvision sei: „Wo sehen Sie sich und Ihren Verlag in zehn Jahren?“ Zugegeben: Mit dieser Frage erwischte er mich gerade auf dem völlig falschen Fuß. Da wir das zurückliegende Jahr von der finanziellen Seite her mit einem blauen Auge abgeschlossen hatten, beschäftigte ich mich zu diesem Zeitpunkt eher mit der Frage, wo ich meinen Verlag in den nächsten Monaten sehe. Deswegen stammelte ich als Antwort: „Meine Visionen reichen nur für die nächsten zwölf Monate.“ Tatsächlich hielt ich von „Visionen“ relativ wenig, mich interessierte mehr das Tagesgeschäft. Als mein Lieblingsverein Wormatia Worms die Vision hatte, in spätestens drei Jahren in die Dritte Liga aufsteigen zu wollen, ist er im ersten Jahr fast abgestiegen. Altbundeskanzler Helmut Schmidt hatte es einmal weniger charmant formuliert: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Eines hatte ich nämlich bis dahin gelernt: Pläne für einen längeren Zeitraum zu machen, so wie man das vom Arbeitsamt vor der Selbständigkeit erklärt bekommt, ist vom Prinzip verlorene Liebesmüh‘, denn meistens kommt es sowieso anders, als man denkt. Deswegen muss ich auch heute ein wenig schmunzeln, wenn in dem TV-Format „Die Höhle der Löwen“ (VOX) angehende Geschäftsgründer stolz davon berichtigen, welche abenteuerlichen Umsätze sie in den ersten Jahren erzielen wollen. Natürlich nur laut dem Businessplan, den sie selbst erstellt haben. Denn zumeist ist in den Anfangsjahren – und das werden mir viele Geschäftsleute bestätigen – die Realität eine andere. Wenn man denkt, dass es gerade ganz gut läuft, wird eine Kollegin schwanger, ein Mitarbeiter möchte mehr Gehalt oder das Finanzamt ordnet eine Steuerprüfung an, so wie 2011 in unserem Hause zum ersten Mal geschehen. Genauso passieren aber auch positive Dinge, die man in keinem Businessplan voraussehen kann. Es laufen einem Menschen über den Weg, die einen wirklich voranbringen. Oder Anzeigenkunden, die unsere Arbeit so gut finden, dass sie uns über Jahre hinweg die Treue halten. Tatsächlich waren die ersten sieben Jahre abenteuerlich, aber stets spannend, mitunter chaotisch, aber mit sehr viel Herzblut versehen. Wenn man so will, waren das unsere Lehrjahre. Im Übrigen ist das Geschäft des Unternehmers, der mich 2010 nach meiner Zukunftsvision gefragt hatte, schon seit einigen Jahren geschlossen. Trotz aller Visionen des Inhabers.
KAPITEL 2: „FLIEG NICHT SO HOCH, MEIN KLEINER FREUND“ ( MITTE 2012 – MITTE 2016)
So aufregend die ersten sieben Jahren auch waren, finanziell aufwärts ging es erst nach dem internen Wechsel der Anzeigenleitung Mitte 2012 und es kehrten zunehmend professionellere Strukturen ein. Zudem sorgte die verstärkte redaktionelle Mitarbeit von Dennis Dirigo für neuen, frischen Wind. Das zahlte sich aus, bereits ein Jahr später hatte sich unser Umsatz mal eben um mehr als ein Drittel gesteigert. Das schaffte Freiräume, um neue Projekte angehen zu können. Im Sommer 2014 veröffentlichten wir, in Kooperation mit der Hochschule Worms, „WO! hin?– Der Studentenführer für Worms“ (124 Seiten) mit nützlichen Tipps, Gastroangeboten und Informationen über Worms. Im September 2015 erschien nach monatelanger Vorarbeit das Jubiläumsbuch „Gekommen, um zu bleiben“ (256 Seiten) mit einem ausführlichen Rückblick auf die ersten zehn Jahre unseres Stadtmagazins. Beide Zusatzprodukte waren gut gelaufen und die Resonanz der Leser/innen durchweg positiv. Wenn man so will, war das unsere bisher produktivste Phase. Die Kehrseite der Medaille ist, dass der Erfolg Leute anzieht, die in erster Linie an selbigem partizipieren wollen. Und wenn es gut läuft, ist man selbst nicht davor gefeit, dass man in dieser Phase leicht übermütig wird und Fehler begeht, die man sonst nicht machen würde. Im Herbst 2015 stießen gleich drei neue Kolleginnen zu unserem Verlag, um ein neues, vierteljährlich erscheinendes Magazin zu produzieren, das als Zusatzeinnahme geplant war, aber sich leider von Anfang an zum Rohrkrepierer entwickelte. Die Kosten im Vorfeld der ersten Ausgabe im Dezember 2015 waren derart in die Höhe geschossen, so dass mir da bereits schwante, dass sich unser „neues Baby“ niemals zu einem Erfolgsprodukt entwickeln würde. In der Folge erschienen noch drei weitere Ausgaben, die allesamt finanziell floppten und ein derart großes Loch in die Verlagskasse rissen, dass zunehmend auch das monatlich erscheinende WO! in Mitleidenschaft gezogen wurde. Mitte 2016 kam es schließlich zum großen internen Knall, der zwar spät, aber glücklicherweise nicht zu spät erfolgte. Seitdem gehört „Iss?!Was?! – DAS etwas andere Kochmagazin“ der Vergangenheit an und geht als bisher „größtes Missverständnis“ in unsere 15-jährige Verlagsgeschichte ein. Vom Prinzip war das die Strafe für den Tabubruch, eine bei einem Mitkonkurrenten unzufriedene Mitarbeiterin abgeworben zu haben.
KAPITEL 3: „ES GEHT WEITER, IMMER WEITER – ABER CORONA HATTEN WIR NOCH NIE“ (MITTE 2016 BIS MITTE 2020)
Getreu dem Motto „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ haben wir uns danach wieder ausschließlich auf unser Hauptprodukt konzentriert, WO! – Das Wormser Stadtmagazin. Seit vier Jahren sind für unseren Verlag unverändert zehn Mitarbeiter (4 feste, 4 freie Mitarbeiter und 2 Minijobber) tätig, die sich ausschließlich um die Produktion (Redaktion, Anzeigenverkauf, Grafik, Fotos, Internetpflege, Social Media, Vertrieb) des Magazins kümmern. Das ist mit einem relativ kleinen Mitarbeiterstamm jeden Monat aufs Neue eine große Herausforderung und funktioniert nur, weil jeder im Team seine Aufgaben kennt und gewissenhaft wahrnimmt. Nach den internen Unruhen im Jahr zuvor, die sich auch auf das Betriebsklima niedergeschlagen hatten, stand 2017 in erster Linie im Zeichen der Harmonie und der wirtschaftlichen Konsolidierung. Dass dies gelang, war auch unserem Neuzugang Roger Kegel zu verdanken, der im Verbund mit unserer langjährigen Medienberaterin Christine Ziegler, schon bald höhere Umsätze im Anzeigenverkauf einfuhr, als im Jahr zuvor an gleicher Stelle vier Personen. Von daher entwickelte sich das Jahr 2017 tatsächlich zu einem der entspanntesten Geschäftsjahre seit Langem. Das hätte gerne so weitergehen können, aber leider wurde Mitte 2018 unser Büro in der Monsheimer Straße gekündigt, in dem wir seit Anfang 2010 für immerhin achteinhalb Jahre die bisher längste Zeit verbracht hatten. Innerhalb von nur vier Wochen mussten wir uns andere Räume suchen, den Umzug in unser aktuelles Büro in der Rathenaustraße stemmen und nebenbei noch eine neue Ausgabe produzieren. Und das mitten in der heißen Phase des OB-Wahlkampfs, der im Dezember 2018 mit einem sensationellen Ergebnis für „unseren“ Kandidaten Peter Englert und einer faustdicken Überraschung für den langjährigen Amtsinhaber endete. Das hatte zur Folge, dass wir ab Mitte 2019 erstmals in unserer kompletten Verlagsgeschichte mit Adolf Kessel einen neuen Oberbürgermeister begrüßen konnten. Aufgrund der weltpolitischen Entwicklungen dürfte das Jahr 2019 jedoch bei den wenigsten Bürgern in guter Erinnerung geblieben sein. Im neuen Jahr sollte alles besser werden und als wir auf 2020 zusteuerten, da war die Vorfreude bei allen Mitarbeitern im Verlag spürbar. Das Jahr sollte fantastische Konzerte, eine Fußball-EM oder die Olympischen Spiele im Sommer und gewohnt vielfältige Festivitäten in der Region bieten. Unser Verlag hatte im Jahr 2020 gleich zwei Mal Grund zum Feiern. Im April das fünfzehnjährige Jubiläum, im Juli die 175. Ausgabe. Zwar sollte es diesmal kein Buch werden wie vor fünf Jahren, aber doch wenigstens eine Sonderbeilage im April. Aber dann kam Corona. Während man am Jahresanfang noch nicht absehen konnte, dass ein Virus die komplette Wirtschaftswelt auf den Kopf stellen würde, änderte sich das ab Mitte März schlagartig. Innerhalb kürzester Zeit sind auch uns jede Menge Anzeigenkunden, vornehmlich aus dem Veranstaltungssektor, weggebrochen. Deswegen zu lamentieren, wäre jedoch Jammern auf hohem Niveau. Da wurden Veranstalter, Kulturschaffende, Gastronomen oder die Reisebranche weitaus härter getroffen. Trotzdem ist ein Sommer ohne Veranstaltungen eine harte Prüfung für ein Stadtmagazin mit dem Themenschwerpunkt Kultur. Glücklicherweise sind wir bisher, dank der Corona-Soforthilfe und der Solidarität unserer Anzeigenkunden, ganz ordentlich durch die Krise gekommen. Gleichwohl wissen auch wir nicht, wann wieder so etwas wie Normalität einkehrt. Somit wird sich auch für uns, wie für ganz viele Unternehmen weltweit, erst in den nächsten Wochen endgültig entscheiden, wie es weitergeht, aber wir sind guter Dinge, dass es uns auch am Jahresende noch geben wird. Wenn mich aktuell jemand fragen würde, wo ich unser Magazin in zehn Jahren sehe, würde ich deswegen das Gleiche antworten wie 2010. Wir werden – mit Bescheidenheit und der größtmöglichen Demut vor dem, was noch kommt – weiterhin nur von Jahr zu Jahr planen. Das sollte Vision genug sein. Denn meistens kommt es ja sowieso anders, als man denkt.