NA, BEEF? IM FALSCHEN FILM
Wahrnehmung tut so, als wäre sie objektiv. In Wahrheit ist sie eine Mischung aus Regisseur, Bühnenbildner und Nebelmaschine: Sie zeigt uns, was wir sehen wollen – und blendet den Rest aus. Deshalb sehen zwei Menschen densel- ben Sonnenuntergang und erleben entweder Romantik oder Mückenstiche. Die Welt ist also nicht so, wie sie ist, sondern so, wie wir sie sehen. Oder schlimmer: So, wie unsere Wahrnehmung gerade Lust hat, sie uns zu verkaufen.
„ITS KERB, BITCHES!“ steht momentan auf manch schlecht gedrucktem T-Shirt, wenn man sich durch die Ortsteile so bewegt. Es wird gefeiert und getrunken, was das Zeug hält. Egal, ob kleines gemütliches Zusammensein oder „das größte Weinfest an der Pfrimm“ – Worms weiß in der Regel schon, wie gut gefeiert und gelebt wird.
Gott sei Dank ist jetzt wieder das Backfischfest. Sie wissen schon, dieses Fest, an dem die halbe Stadt an den Rhein wandert, in der Oberstufe besser keine HÜs geschrieben werden sollten, Beziehungen entstehen oder zerbrechen, schlimme Kater entstehen oder man einfach mit einem Wormsliebe-Tattoo am nächsten Morgen aufwacht (Es war ja für den guten Zweck!). Umso erstaunter bin ich immer, wenn ich in Worms gefragt werde, wann denn dieses Back- fischfest eigentlich sei? Das ist der Moment, in dem ich heimlich laut losbrülle: „LETZTES WOCHENENDE IM AUGUST, BIS ERSTES WOCHENENDE IM SEPTEMBER!“ Das kann ja wohl nicht so schwer sein, die Menschen können sich ja auch Weihnachten merken oder den Geburtstag ihres Goldhamsters. Aber das Backfischfest vergessen? Das hat es nicht verdient!
Ich muss sagen, in meiner dreimonatigen Theaterabwesenheit hat sich Worms eigentlich nur geringfügig geändert. Der Nutzkauf hat jetzt zu, der Rewe noch nicht auf (kein Wunder, ist ja eine Ehret+Klein Immobilie…. Muhahahaha!), auf dem Lutherplatz liegen Müllsäcke und irgendwo hört man irgendwen über irgendwas schimpfen. Ja, Worms ist wie eh und je.
EINIGE DINGE SIND DANN DOCH ANDERS:
Ein veganer Vietnamese hat in der ehemaligen Sudpfanne eröffnet, Coffee Brothers zieht Ende des Jahres an den Obermarkt, das WO! hat (mal wieder) ein neues Büro (Dafür hat jetzt Bert Bims ein eigenes Klo!), und im Wormser Boden eingelassen gibt es jetzt Bronzeplatten von berühmten Menschen, die irgendwann bei Jazz and Joy aufgetreten sind. An diesem Projekt hatte ich viel Spaß und durfte David schöne Vorschläge machen, wer denn alles auf der Excel-Plattenliste nicht fehlen durfte (Schön, dass ich helfen konnte.). Ich habe jetzt jedes Mal, wenn ich mich selbst bei meiner Freundin Dominique zum Kaffee einlade, einen Ohrwurm von „Boogie down“ von Al Jarreau, der liegt jetzt auf dem Weg.
„Jazz and Joy“ hat dieses Jahr wieder über 20.000 Menschen angelockt. Hammer! Einzig die Kommentare in den sozialen Medien zum Top-Act „Kool and the Gang“ haben mich schwer gewundert. Da gab es zu lesen: „Neun Lieder, die unnötig umdudelt wurden.“, „Eine Unverschämt- heit in allen Belangen“, „Eine Coverband aus Hobbymusikern wäre besser gewesen.“ Puh. Harte Sätze. Ich selbst habe an diesem Tag noch Theater gespielt und kann definitiv nichts zum Sound am Marktplatz sagen. ABER wie es der Zufall so will, hatte ich am 20. August Karten für „Kool and the Gang“ und „Nile Rodgers and Chic“ und hatte nach den Kommentaren wirklich Angst vor der ersten Band. Was soll ich sagen? Die Band war der Hammer, ich kannte jeden Song und bin schier ausgeflippt (Chic zauberte mir dann eben- falls ein paar Mal ein großes Lächeln ins Gesicht).
Im Internet glich ich dann die Setlisten ab und siehe da: Die gleiche Setlist in beiden Städten. Mein Freund Merkel (Ex-Redakteur dieses Medi- ums) hätte jetzt gesagt: „Irgendwer hat doch da Lack geso?en?“ Also entweder haben die zwei Bands, ne schlechte und ne gute, oder es ist die gute alte Wahrnehmung. Einmal ist das Glas halbleer, mal halbvoll oder wenn zwei Disco- Legenden in Gießen spielen, ist auch mal der ganze Maßkrug voll.
Sachen gibt‘s.
Bis nächsten Monat. Jim Walker jr.