Eine Silvesternacht und ihre Folgen

Neujahr 2023 in Worms Bebelstraße

Silvester 2022 ist Vergangenheit. Wurde im Vorfeld noch fleißig darüber gestritten, ob das ausufernde Geballere am 31.12. nun Tradition oder einfach nur eine Umweltbelastung ist, wurde im Anschluss diese Diskussion überschattet von den kriegsähnlichen Szenen in Berlin. Die Wellen sind mittlerweile verebbt, doch so sicher wie das Amen in der Kirche wird im Winter 2023 die Diskussion von Neuem beginnen.

Silvester in Deutschland

Es waren Bilder aus der Hauptstadt Berlin, die eher Erinnerungen an Kriegsgebiete erweckten, als an eine ausgelassene Art und Weise das neue Jahr zu begrüßen. Rettungskräfte und Polizei wurden mit Raketen beschossen, Autos zerstört und Menschen verletzt. In den folgenden Tagen zogen die Ausschreitungen die üblichen Debatten hinter sich her. Nachdem die Polizei den Täterkreis im Umfeld migrantischer junger Männer verortete, witterte die eine Hälfte der Diskutanten schnell eine rassistisch motivierte Diskussion, während die anderen sich bestätigt fühlten, dass die Integration junger muslimisch geprägter Männer einmal mehr gescheitert ist. Als Entlastung verwies die eine Hälfte darauf, dass die Polizei schließlich 45 Deutsche in dem Mob ausmachte. Dass es sich hierbei lediglich um die Besitzer eines deutsches Passes handelte und man damit einhergehend nicht gleich seinen gesamten kulturellen Hintergrund abstreift: Schwamm drüber. Als Generalbeweis, dass deutsche junge Männer nicht viel besser sind, musste der kleine thüringische Ort Borna her- halten, denn dort soll unter „Sieg, Heil!“ Rufen ein rechter Mob gewütet haben. Dumm nur, dass die Polizei kurz darauf die Meldung korrigierte. Von 200 wütenden Menschen war nicht mehr die Rede und auch die Nazi Parolen lösten sich im Raketennebel auf. Lars Klingbeil (Generalsekretär SPD) entschuldigte sich dafür, Fake News verbreitet zu haben.

Die Polizei übte sich derweil im Wogen glätten und beteuerte, dass es zu keinem Zeitpunkt politisch motivierte Handlungen gab. Ärger verzeichnete indes die Polizei in Dortmund. Dort kam es insbesondere in einer Böllerverbotszone vor dem Hauptbahnhof zu exzessiven Raketenabschüssen, die zu- meist in der Menschenmenge landeten. Auch hier zeigen die Bilder überwiegend junge Männer, die dem „westasiatischen Typ“, wie es neuerdings heißt, zuzurechnen waren. Doch das ist eine Debatte, die nicht gewünscht ist. In einem spannenden Kommentar des FAZ-Journalisten Philip Eppelsheim forderte dieser mehr Ehrlichkeit. Denn wahr ist, insbesondere in großen Städten schotten sich junge, machogeprägte Männer immer ab und betrachten den Staat als Feind, den es zu bekämpfen gilt. Trotz der Angriffe auf Feuerwehr und Rettungskräfte an Silvester spricht sich laut einem Zeitungsbericht mehr als die Hälfte der Bundesländer gegen ein generelles Böllerverbot in Deutschland aus. Gegen ein solches Verbot seien neun Bundesländer, berichtete der „Tagesspiegel“ nach einer Umfrage unter allen 16 Bundesländern. Für ein Verbot seien lediglich Berlin und Bremen. Die übrigen Länder hätten bislang eine abwartende Haltung zu dem Thema. Einen durchaus abenteuerlichen Blickwinkel nahm hierbei der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling ein. Da mittlerweile Einsatzkräfte nicht nur in der Silvesternacht attackiert werden, träfe ein Verbot „nicht den Kern des Problems“. Vergessen waren die zuvor geführten Diskussionen über die anderen Problematiken einer Silvesternacht.

Silvester in Worms

In Worms kam es glücklicherweise nicht zu aggressiven Silvesterexzessen. Dabei vermuteten Polizei, Feuerwehr und das Wormser Klinikum zunächst, dass es nach zwei Jahren Corona zu vermehrten Einsätzen kommen würde. Für die Feuerwehr kam es lediglich zu einem größeren Zwischenfall. Eine Mülltonne geriet in der Nikolaus-Reuss-Straße durch Böller in Brand und drohte auf ein benachbartes Haus überzuspringen, was die Feuerwehr aber verhindern konnte. Einen ganz normalen, durchschnittlichen Samstag erlebte das Personal des Klinikums nach Aussage von Dr. Eva Ehmke, Pressesprecherin des Klinikums: „Wir hatten die für Silvester übliche Anzahl an alkoholisierten Patienten, Patienten mit Schlägereien und Patienten mit Feuerwerkskörper bedingten Verletzungen an Händen und Armen.“ Was dies in Zahlen bedeutet, vermochte sie auf Nachfrage unseres Magazins nicht zu sagen, da dieses normale Auf- kommen doch immer wieder schwanke! Eher Positives wusste auch Nina Hochstrasser, Pressesprecherin Tiergarten Worms, über die Einrichtung im Wäldchen zu berichten: „Aufgrund der besonderen Lage des Tiergartens im Naherholungsgebiet sind die Tiere etwas aus dem Geschehen herausgenommen. Selbstverständlich sind die Böller zu hören oder auch Raketen am Himmel zu sehen, aber insbesondere der einhergehende Qualm kommt nur noch in geringen Mengen an.“ Zudem verwies sie darauf, dass die Tiere durch die benachbarte B9 und die Besucher im Park einen höheren Lärmpegel gewohnt sind.

Weniger zufrieden zeigte sich indes der Entsorgungsbetrieb der Stadt Worms, ebwo AöR. Wer am Neujahrstag eine Reise durch die Stadt unternahm, dürfte in Anbetracht der Müllberge aus dem Kopfschütteln nicht herausgekommen sein. Zur Tradition, das neue Jahr lautstark zu begrüßen, gehört leider auch, die nicht gerade umweltfreundlichen Reste verwaist auf der Straße zurückzulassen, denn irgendjemand wird es schon wegmachen. Dieser „Irgendjemand“ ist die ebwo und muss dafür viel Aufwand betreiben. Auf Nachfrage von WO! erklärte Pressesprecher Jonas Diebold: „Am Neujahrsmorgen war die Straßenreinigung der Entsorgungs- und Baubetrieb AöR der Stadt Worms (ebwo AöR) mit vier Arbeitern und zwei Transportern im Stadtgebiet tätig. Die Arbeit beschränkte sich auf das Einsammeln von Glasflaschen und Feuerwerksbatterien, da diese sperrigen Abfälle von den Kehrmaschinen der ebwo AöR nicht aufgesaugt werden können. Die Vorbereitungsarbeiten für die Kehrmaschinen wurden überwiegend in den belebteren Straßen durchgeführt.“ Das betraf vor allem die Innenstadt. In den Stadtteilen er- folgte keine Reinigung, dafür werden hier aber auch keine extra Müllgebühren erhoben. Auf dem Weg durch die Innenstadt sammelten die ebwo-Mitarbeiter an Neujahr mit ihren Händen stolze 4.000 Liter Feuerwerksmüll ein. Doch damit ist die Müllbeseitigung nicht erledigt. „Die Hauptlast der Entsorgung der aus der Silvesternacht resultierenden Abfälle erfolgte durch die Straßenreinigung in der Woche nach dem Jahreswechsel. Ein erheblicher Mehraufwand“, so Diebold. Was den wenigsten bewusst ist, ist die Tatsache, dass das Vermüllen der Gehwege zudem eine Ordnungswidrigkeit ist. Diebold erklärt: „Die ebwo AöR weist darauf hin, dass ab- gebrannte Feuerwerksbatterien und weitere pyrotechnische Abfälle nach Verwendung nicht auf den Bürgersteigen und Straßen zurückgelassen werden dürfen.“ Ein besonders hohes Müllaufkommen zeigte sich insbesondere in Neuhausen entlang der Bebelstraße und Gaustraße.

Privates Böllern vs. Organisiertes Böllern

Eine Einschränkung des Böllerns auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen ist in Worms jedoch nicht angedacht. Zudem ist in Deutschland das Wort „Böllerverbot“ stets mit emotionalen Diskussionen und dem eigenwilligen Hinweis auf Traditionen verbunden. Gerne verweisen Diskutanten zudem darauf, dass Deutschland mal wieder das einzige Land sei, das mit Verboten drohe. Aber das ist mitnichten so. In vielen Ländern, wie beispielsweise in Frankreich, in den USA oder Australien ist das Böllern komplett oder partiell verboten.  Die Tradition kommt ursprünglich aus China und wurde in Deutschland erstmals Anfang des 16 Jahrhunderts aufgegriffen. Das Argument der Tradition hinkt allerdings 500 Jahre später ein wenig. Die Welt hat sich verändert. Die Böller deutlich potenter und die Bereitschaft, Rücksicht zu nehmen oder seinen Müll im Anschluss wegzuräumen, ist deutlich geschrumpft. Zur Rücksichtslosigkeit der heutigen Zeit gehört es leider auch, bereits tage vor dem Jahreswechsel seine Mitmenschen und  Tiere mit dem ungezügelten Böllern zu belasten.  Nun sind Traditionen nicht in Stein gemeiselt, warum also nicht die Regeln für das Feuerwerk an die heute Gesellschaft anpassen? In einer jüngst durchgeführten Umfrage des Spiegel Magazins stimmten 7.400 Leser über die Frage eines Böllerverbots Ja oder Nein ab. 73 Prozent sprachen sich hierbei für ein Verbot aus. Nicht wenige Deutsche könnten sich zwischenzeitlich auch ein zentral organisiertes Feuerwerk vorstellen, derzeit sind aber solche Pläne noch Zukunftsmusik. Lediglich Verbotszonen wurden in einigen rheinland-pfälzischen Städten für die Altstädte ausgesprochen. So unter anderem in Mainz, Trier und Speyer. In Worms gibt es keine Verbotszonen. Bleibt zu hoffen, dass die Vernunft über den schnellen Spaß siegt. Aber das dürfte eher ein Wunschgedanke sein.

Text und Fotos: Dennis Dirigo

Gesehen in der Friedrich-Ebert-Straße