Ein Kommentar von Frank Fischer

Die Nachricht, dass Deutschland nun auch Leopard-2-Panzer in die Ukraine liefert, ist in der Bevölkerung auf ein geteiltes Echo gestoßen. Zwar feiern Politiker und Medien die Entscheidung, aber die Nation scheint wieder einmal tief gespalten. Während die einen in das laute Kriegsgebell von Politikern und Medien aktiv mit einsteigen, haben viele Menschen verständlicherweise ein mulmiges Gefühl, wo diese aktive Kriegsbeteiligung Deutschlands noch hinführen soll.

Als in der Tagesschau verkündet wurde, dass Deutschland nun auch schwere Waffen in die Ukraine liefert, schoss mir eine Textzeile von Marius-Müller Westernhagen durch den Kopf: „Es ist Krieg. Keiner will verlieren. Krieg, ich habe Angst.“ Auch wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner kurz darauf folgenden Rede an die Bevölkerung zu beschwichtigen versuchte, bleibt ein ungutes Gefühl zurück. Der Krieg in der Ukraine erreicht mit dieser Entscheidung eine neue Dimension und Deutschland ist mitten drin und liefert Panzer für den Frieden. Dass sich auch in Worms viele Menschen um die aktuelle Entwicklung sorgen, konnten wir feststellen anhand einer vermehrten Zahl an Leserbriefen zu unserer Januar-Ausgabe, in der auch der Krieg in der Ukraine von verschiedenen Seiten beleuchtet wurde. Erfreulicherweise kann man konstatieren, dass sich hierbei das in den Medien praktizierte Kriegsgeheul nicht widergespiegelt hat (siehe Seite 8 – 9, „Die Rückkehr der Leserbriefe“).

Wir drucken auch gerne kritische Meinungen ab, sofern diese über Beschimpfungen oder BILD-Zeitungs-Schlagworte hinausgehen. Ein Leser schickte uns eine Nachricht, lediglich mit den Worten „Slawa Ukrajini – Herojam Slawa“, vermutlich ohne den Hintergrund dieser Parole zu kennen. Diese 2018 in der demokratischen Ukraine per Gesetz eingeführte Grußformel für Polizei und ukrainische Streitkräfte stammt zwar bereits aus der Zeit des Unabhängigkeitskampfes 1917/18. Besonders assoziiert wird die Formel „Ruhm der Ukraine, den Helden Ruhm“ aber mit der  Organisation  Ukrainischer Nationalisten um Stepan Bandera, der während des Zweiten Weltkrieges zeitweise auch mit Hitlers Wehrmacht gemeinsame Sache gemacht hatte. Man könnte das vergleichen mit der ersten Strophe der deutschen Nationalhymne „Deutschland, Deutschland, über alles“, die zwar schon 1841 von Hoffmann von Fallersleben geschrieben wurde, aber in erster Linie mit der Zeit der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht wird. Ein anderer Leser warf unserem Magazin über die Sozialen Medien eine tendenziöse Berichterstattung vor; wohlgemerkt, weil wir in einem Artikel Waffenlieferungen in Kriegsgebiete abgelehnt und stattdessen auf Friedensverhandlungen gedrängt hatten. Oder darauf hingewiesen hatten, dass es nicht schaden kann, sich die Ereignisse des von Amerika mit finanzierten Maidan-Putsches 2014 in Kiew noch einmal zu Gemüte zu führen, um Putins Angriffskrieg nicht zu rechtfertigen, aber zumindest verstehen zu können.

Dass man damals den korrupten Präsidenten Viktor Janukowitsch, der für seine russland-nahe Politik bekannt war, aus dem Land gejagt hat, damit anschließend eine zuvor rechtspopulistische Partei für die vermeintliche Demokratie in der Ukraine sorgen sollte. Der danach folgende Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk ist mit Unterstützung rechtsradikaler, rassistischer und antidemokratischer Fußtruppen in einem lange vorbereiteten Staatstreich ins Amt geputscht worden. Oder dass der heutige ukrainische Ministerpräsident Selenskyj 2019 mit dem primären Ziel angetreten war, die Korruption in seinem Land zu bekämpfen, aber nicht nur kläglich daran scheiterte, sondern auch selbst zusammen mit 38 ukrainischen Politikern, die Geld auf Offshore-Konten versteckt hatten, auf den Pandora-Papers auftauchte. Im Übrigen wurden dort aus keinem an- deren Land mehr Politiker genannt als der Ukraine, mit doppelt so vielen Amtsträgern wie Russland auf dem zweiten Platz. Es muss in dieser hitzigen Diskussion auch Kritik an einem völkerrechtswidrig angegriffenen Land, das weder in der EU noch in der Nato ist, möglich sein, bevor man uneingeschränkte Unterstützung bis zum Untergang verspricht. Wenn die Amerikaner beschließen, von heute auf morgen ihre Unterstützung zur Demokratisierung des Landes einzustellen, droht das gleiche wie in Afghanistan, wo Landsleute, Mittelsmänner und Vertraute der USA in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fluchtartig das Land verlassen mussten. Auf die versprochene Demokratie wartet Afghanistan immer noch.

„We are fighting a war against Russia“

Ich bin mir nicht sicher, ob diejenigen, die derzeit immer größere Waffenlieferungen in die Ukraine fordern, tatsächlich wissen, welche Folgen es haben kann, wenn dieser zunächst regionale Konflikt immer weiter eskaliert und auch auf andere Länder übergreift. Derweil faselt Annalena Baerbock etwas von „We are fighting a war against russia“ und man fragt sich, ob man es hierbei mit der Außenministerin von Deutschland oder der Ukraine zu tun hat? Zudem zeugt diese übermütige Kriegsrhetorik von einer mangelnden Kenntnis der wahren Kräfteverhältnisse. Wer aktuell über 183.000 Soldaten bei der Bundeswehr verfügen kann, wovon nur ein geringer Teil sofort kampffähig wäre, von den man- gelhaften Gerätschaften der Bundeswehr gleich ganz zu schweigen, sollte in Anbetracht der russischen Übermacht kleinere Brötchen backen und Drohgebärden Richtung Putin unterlassen. Wir unterstützen ein angegriffenes Land, damit sich das verteidigen kann, aber wir führen keinen Krieg gegen Russland, das aktuell über eine Million aktive Soldaten und zwei Millionen Reservisten verfügt. Nicht nur, dass die modernen russischen Waffen der 90er-Jahre Technologie der NATO überlegen sind, nebenbei besitzt Putin das weltweit größte Arsenal an Atomwaffen.

Wenn wir weiter schwere Waffen an die Ukraine liefern, werden wir auf kurz oder lang mit in einen Krieg hineingezogen, den wir weder wollten, geschweige denn gewinnen können. Einen Sieg auf dem Schlachtfeld kann die Ukraine nur erringen, wenn die USA, Deutschland und weitere EU-Staaten militärisch alles Verfügbare in die Waagschale werfen, allerdings mit der dann drohenden Gefahr, dass auch Putin im wahrsten Sinne des Wortes andere Geschütze auffährt. Wollen wir also tatsächlich eine Eskalation weiter befeuern und einen Dritten Weltkrieg riskieren, zumal wir mit der Nähe zum Raketenstützpunkt der Amerikaner in Ramstein ein beliebtes Ziel russischer Angriffe wären? Noch mehr Waffen für den Frieden Leider hat sich die Einsicht, dass es bei einem Krieg nur wenige Gewinner, aber jede Menge Verlierer gibt, noch nicht bis zur heutigen Generation herumgesprochen. Die „Letzte Generation“ klebt sich derweil auf Straßenkreuzungen fest, um auf den Schutz der Umwelt aufmerksam zu machen, die nach einem möglichen Atomschlag ohnehin nicht mehr zu reparieren wäre.

Die jungen Liberalen forderten kürzlich auf Plakaten „Krieg beenden – Panzer liefern“. Altgediente Politiker wie Marie-Agnes Strack- Zimmermann (FDP) aus dem Wahlkreis Düsseldorf 1, wo der Rüstungsriese Rheinmetall seinen Sitz hat, verkünden selbstbewusst: „Wir stehen der Ukraine mit schweren Waffen zur Seite!“ Dass Strack-Zimmermann als Vorstandsmitglied vom „Förderkreis Deutsches Heer“ und als Mitglied im Verein „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik“ (beides Lobbyverbände der Rüstungsindustrie), sowie als Vizepräsidentin der „Deutschen Atlantischen Gesellschaft“ eine rüstungsfreundliche Politik unter- stützt, verwundert allerdings nicht. Nahezu jeder scheint auf Krawall gebürstet, als könne man es kaum abwarten, dass die Situation endgültig eskaliert. Die Option, Gespräche über einen Waffenstillstand aufzunehmen, scheint keine Option mehr zu sein, weil man Putin eine Territorialerweiterung mit kriegerischen Mitteln nicht durchgehen lassen will. Keine Rolle scheint es dabei zu spielen, wie viele völkerrechtswidrige Angriffskriege die USA seit dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt hat, bei denen man es zumeist nur auf die Bodenschätze des überfallenen Landes abgesehen hatte. Von dem unsäglichen Nato-Einsatz in Jugoslawien wollen wir erst gar nicht reden.

Eine Demo für den Frieden in Worms

Dass es unterschiedliche Vorstellungen gibt, wie ein Frieden in der Ukraine herbeigeführt werden kann, zeigte sich am 28. Januar, als eine Gruppe Wormser eine Friedensdemo in der Innenstadt angemeldet hatte. Innerhalb weniger Tage formierte sich eine Gegendemo – überwiegend mit Bürgern aus der Ukraine, unterstützt von den „Omas gegen Rechts“ – die ebenfalls für den Frieden einstand. Allerdings ließ Maxim Juschak von der Ukraine-Hilfe Worms gegenüber der Wormser Zeitung keinen Zweifel daran, dass man unterschiedliche Vorstellungen von Frieden habe: „Diesen russischen Frieden braucht die Ukraine nicht! Die Ukraine muss sich verteidigen können.“ Mit vorgehaltener Pistole und dem Rücken zur Wand könne man keine Verhandlungen führen. „Mit Hitler konnte man auch nicht verhandeln”, stellte er im Vorfeld der Demonstration klar. Im Hinblick auf die Friedensdemo auf der Gegenseite gab Juschak zu verstehen: „Wir wollen beide Frieden, aber wir haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie dieser herbeigeführt werden soll.” Tatsächlich scheinen die Fronten nach einem Jahr Krieg derart verhärtet zu sein, dass es für Friedensgespräche sowieso zu spät ist, weil die Kriegsmaschinerie schon längst auf Hochtouren läuft

Foto: Andreas Stumpf