Wie die hochverschuldete Stadt sich mit Hilfe von Käse, Schinken und Nudeln neu erfand
Der deutsche Dichter Matthias Claudius sagte einst: „Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erleben.“ Meine Reise in die italienische Stadt Parma war zwar eher von kurzer Dauer, doch reichte diese Zeit aus, ein wenig die beiden Partnerstädte Worms und Parma miteinander zu vergleichen. Ein Vergleich, der durchaus lohnt…
Parma, gelegen in einer wirtschaftlich starken Region zwischen Mailand im Norden und Bologna im Süden, ist mit rund 190.000 Einwohnern mehr als doppelt so groß wie Worms und doch haben beide Städte mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Seit vier Jahrzehnten verbindet die beiden Städte eine Partnerschaft. In die Wege geleitet wurde sie einst von dem heute 88 jährigen Parmenser Gianni Gugini und vor allem von dem Wormser Hans-Joachim Rühl, der 2013 verstarb. Gepflegt wird wiederum die Freundschaft bis heute natürlich von den beiden Stadtverwaltungen, während die Seele dieser Freundschaft der Verein Freundeskreis Worms-Parma ist. Ge- gründet wurde der Freundeskreis von Rühl 1983, also ein Jahr bevor die beiden Städten die Partnerschaft offiziell beschlossen. Bis heute unternimmt der Verein regelmäßig Bürgerreisen, zu denen je- der Wormser herzlichst eingeladen ist. Bei der jüngsten Reise in die rund 740 Kilometer entfernte Stadt hatte ich erstmals die Möglichkeit, in jene geschichtsträchtige Stadt zu reisen, die sich in den vergangenen Jahren sozusagen neu erfunden hat und damit ein kleines Wirtschaftswunder voll- brachte. Etwas, wovon Worms aktuell noch träumt.
Korrupte Politik und ein Schuldenberg
Ähnlich wie Worms ist Parma eine Stadt mit großer Geschichte. Gegründet wurde die norditalienische Stadt von den Römern im Jahre 184 v. Chr. Wenige Jahrzehnte später fanden die Römer auch an den Rhein, wo sie auf dem Gebiet des heutigen Worms ca. 31 v. Chr. einen Militärstützpunkt gründeten, der das Fundament der heutigen Stadt schuf. Wie auch Worms wurde Parma im Laufe der Jahrhunderte zum Spielball der Mächte, gehörte mal zu den Longobarden oder auch der fränkischen Kurpfalz. Berühmte Persönlichkeiten wie der Komponist Guiseppe Verdi oder der Filmregisseur Bernardo Bertolucci wurden dort geboren. Ruhm erlangte die Stadt aber vor allem durch regionale Lebensmittelerzeugnisse, allen voran der weltberühmte Parmaschinken und der nicht minder berühmte Pamesankäse. Weniger bekannt dürfte hingegen sein, dass auch die Weltmarken Barilla und Mutti ebenfalls in der Stadt in der Emilia Romagna beheimatet sind. Dennoch gelang es der Stadt nur eingeschränkt davon zu profitieren.
Als Sinnbild für die wirtschaftlichen Probleme dieser Stadt mit Weltkonzernen steht der Niedergang des Lebensmittelkonzerns Parmalat, der auch gerne als „die Mutter aller Pleiten“ bezeichnet wird. 2003 ging das Weltunternehmen Bankrott. Nicht minder spektakulär war der Niedergang des Traditionsclubs FC Parma. Kurzum, um die Zukunft von Parma sah es nicht gut aus. 2011 wurden Mitglieder der Regierung verhaftet und die Stadt kam unter ein Kommissariat. 2013 musste sogar ein ehemaliger Bürgermeister ins Gefängnis gehen. Zu diesem Zeitpunkt belief sich die Verschuldung der Stadt auf mehr als 800 Millionen Euro. Wie Marco Ferretti, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der renommierten Universität Parma, erklärte, war dies alles eine Folge von Korruption, Vetternwirtschaft und einem undurchschaubaren Geflecht an städtischen Beteiligungen. In Folge dessen wurde die Stadt unter Haushaltsaufsicht gestellt.
Stadt der Genüsse
Doch Sparen war nicht die einzige Option, um der einst so stolzen Stadt wieder auf die Beine zu helfen. Ein wichtiger Baustein war die Vermarktung von Parma als kulinarisches Mekka in Verbindung mit einer engen Kooperation mit der europäischen Union. Schritt für Schritt wurde so das Label „City of Gastronomy“ geboren und das werbewirksame Etikett „Parma Food Valley“. Es ist ein Beispiel für die wirksame Förderung und Aufwertung einer Region und ihrer hervorragenden Produkte. So verzeichnet die Region Parma die höchste Anzahl an typischen Erzeugnissen, die durch Qualitäts- marken geschützt sind. Parma wurde so zur ersten italienischen Stadt, die zur „UNESCO Creative City of Gastronomy“ ernannt wurde. Heute gilt die Stadt als Mekka nicht nur für Gourmettouristen, sondern auch für zahlreiche Nachwuchsköche Europas, die in einem der hochwertigen Restaurants, die unter dem Namen „Parma Quality Restaurants“ zusammen- geschlossen sind, ihre Fertigkeiten verfeinern wollen. Der Lohn dieser Bemühungen waren verbesserte Touris- muszahlen, neue Arbeitsplätze und vor allem klingelten die städtischen Kassen wieder. Ebenso gelang es der Stadt, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit anzusiedeln. Eine prestigeträchtige Einrichtung verbunden mit hochwertigen Jobs.
Schuldenfrei ist Parma auch heute noch nicht. Allerdings schaffte man es in rund zehn Jahren, das Defizit auf rund 200 Millionen Euro zu senken. Flaniert man durch die Stadt, mag man auf den ersten Blick irritiert sein, da sich die weltbekannten Erzeugnisse mit der Stadt im Namen zu- nächst gar nicht so dominant zeigen. Lediglich entlang der Hauptstraße zeigt sich ein Shop gut sichtbar, der sich auf den berühmten italienischen Hartkäse spezialisiert hat. Am anderen Ende der rund zwei Kilometer langen Hauptstraße in der Innenstadt, die sich in der Altstadt befindet, präsentiert wiederum ein Barilla Studio stolz seine Nudelerzeugnisse in kunstvoll gestalteten Vitrinen. Auf den zweiten Blick erschließt sich dem Besucher jedoch ein anderes Bild. Die Gassen rund um den Markt auf der Piazza Ghiaia quellen über von Köstlichkeiten. Straßencafés wechseln sich ab mit Restaurants, die selbstverständlich die edlen Produkte auf der Karte haben. Parmaschinken und –käse in allen Reifegraden lassen keine kulinarischen Wünsche offen. Cafés, die ausschließlich am Vormittag geöffnet sind, locken mit Espresso, Latte Macchiato und mehr. Und wo eben noch eine leere Gasse war, stehen plötzlich Tische und Stühle und verwandeln diese in einen Genussmeile.
Weinkultur und die Unesco
Nachdem sich die Stadt in der Hitze der Sonne nahezu geschlossen in der Mittagszeit bis zum frühen Abend schlafen legt (mit Ausnahme der Parmesanboutique), locken am Abend Meeresfrüchte, Pizza, Pasta und zahlreiche andere Genüsse, bel- geitet von Malvasia Wein, der bereits zur Mittagsstunde ausgiebig gereicht wird und so auch Erinnerungen an die Weinkultur Rheinhessens erwachen lassen. In Parma hat man gelernt, die hauseigenen Genüsse mit einem Unesco Siegel zu vergolden. Das prominenteste kulinarische Produkt Rheinhessens ist wiederum der Wein. Die Unseco selbst erhob die Deutsche Weinkultur 2021 zum immateriellen Welterbe. In Worms hat man durchaus das Potential des Themas Wein erkannt. Als eine der größten weinbautreibenden Gemeinden Deutschlands, gelegen im größten Anbau- gebiet Deutschlands, sucht man indes den Hinweis, es hier mit einem ganz besonderen Erbe zu tun zu haben, vergeblich. Das fängt schon damit an, dass es als Tourist an manchen Tagen nahezu unmöglich ist, in der Innenstadt überhaupt eine einzige Flasche Wein eines Wormser Winzers zu er- werben. In Parma keinen Parmesan zu finden, dürfte indes ein Ding der Unmöglichkeit sein. Ende September reist eine Delegation der Stadt Parma nach Worms, um gemeinsam in der Weinstadt Worms das 40. Jubiläum zu feiern. Vielleicht haben die Parmenser Politiker auch ein paar Tipps im Präsentkorb, wie man kulinarische Genüsse zu barem Geld umwandeln kann.
Text und Fotos: Dennis Dirigo