Bild zur Komplettansicht bitte anklicken

Nachdem Roger Vontobel 2018 mit dem Bewusstsein eines großen Bilderstürmers entsprechende Bilder von seinem Videokünstler Clemens Walter auf die Mauern des Wormser Doms zaubern ließ, war die Erwartungshaltung vieler Gäste natürlich auch ausgerichtet auf Vontobels Griff in die Trickkiste der Theaterkunst. Sich dieser Bürde bewusst, unterläuft der Schweizer Regisseur die Erwartungshaltung zunächst mit einem eher minimalistischen Bühnenbild. Bekanntermaßen wich in diesem Jahr die klassische Bühne einer Wasserlandschaft, die zweifelsohne ebenfalls zu gelungenen Bildern führt. Allerdings entpuppt sich die Wasserwelt eher als launige Idee eines Künstlers, ohne dem Stück mehr Bedeutung zu vermitteln.

Inhaltlich arbeitet man sich in den ersten knapp zwei Stunden trotz eines Ausflugs in die nordische und wagnerianische Mythologie an den üblichen Stationen der Nibelungensage ab. Sprich Siegfried trifft auf Brünhild (hier ist wiederum die Wasserwelt durchaus sinnig eingesetzt), Brünhild verschmäht Siegfried, woraufhin diese von ihrem Gottvater Wotan wiederum mit Verachtung und einer ziemlich fragwürdigen Pädagogik bestraft wird, nämlich dem Schicksal, dass sie sich dem nächstbesten hingeben muss und das ist dann rein zufällig der Burgunderkönig Gunter. Mit Siegfried im Schlepptau kommt es zum unausweichlichen Kräftemessen, das in der üppigen Wasserwelt, die man vor dem Wormser Dom als Bühne erschuf, fast ein wenig einer unübersichtlichen Wasserschlacht gleicht. Den Wettkampf verloren, zieht Brünhild gezwungenermaßen an den Rhein, wo sich die Wasserwelt nun in eine eher bemühte Poollandschaft verwandelt.

Vontobel und der Autor des Ganzen, Ferdinand Schmalz, interessieren sich allerdings weniger für Poolpartys (auch die gibt es) und eine sklavische Aufarbeitung der Sage oder des Nibelungenliedes. Im Mittelpunkt steht insbesondere das tragische Schicksal von Brünhild, die besonders stark unter den Männlichkeitsbildern der Nibelungenprotagonisten zu leiden hat. Es kommt, wie es kommen muss. Auch wenn sich der Heldenmelancholiker Siegfried zunächst ziert, sich der Königssippschaft zu unterwerfen, fügt er sich seinem Schicksal und beteiligt sich an der Vergewaltigung Brünhilds. Das, wir wissen es alle, führt unausweichlich in die Katastrophe. Wer nun allerdings glaubt, den weiteren Verlauf der unheilvollen Schicksalsgemeinschaft zu kennen, wird jedoch von Roger Vontobel und Ferdinand Schmalz eines Besseren belehrt.

Waren es in den vergangenen Jahren stets nur leere Versprechungen der kreativen Köpfe der jeweiligen Inszenierung, die Geschichte in eine andere Richtung zu lenken, lässt Schmalz in diesem Jahr erzählerische Taten sprechen und verschmilzt seine beiden Hildes sozusagen zu Schwestern im Geiste. Wobei man anmerken muss, dass Schmalz Herz eindeutig stärker für die toughe und gedemütigte Brünhild schlägt. Genija Rykova dankt es wiederum mit einer starken, intensiven Performance. Dabei ist nicht nur ihr körperlicher Einsatz bewundernswert, denn wie kein anderer Darsteller an diesem Abend, muss sich Rykova immer wieder vom Anfang bis Ende in die Fluten vor dem Wormser Dom stürzen, sondern das emotional nachvollziehbare Spiel, das einen als Zuschauer gefangen nimmt. Auch wenn die weiteren Figuren deutlich weniger Tiefe von Ferdinand Schmalz zugestanden bekommen, füllen ihre Darsteller die zuweilen schablonenhaften Figuren dennoch mit genug Leben, um überzeugen zu können (eine ausführliche Besprechung der darstellerischen Leistungen folgt in unserer August Ausgabe).

Wer die Nibelungen Festspiele besucht, erwartet allerdings nicht nur wortmächtige Dialoge und eindrückliche Darstellerleistungen, sondern möchte auch ein wenig Sommerspektakel. Sich dieser Prämisse bewusst, liefern Vontobel und sein Kreativteam insbesondere nach der 40-minütigen Pause dann schließlich ab. Seit an Seit sich ins Gemetzel stürzend, finden sich die beiden Hildes inmitten eines düsteren Märchenwaldes, der Stück für Stück mit Hilfe modernster audiovisueller Gimmicks auf die ehrwürdigen Mauen des Doms und in die Gehörgänge der Zuschauer gezaubert wird. Doch Vontobel erzählt kein Märchen, sondern in den letzten 45 Minuten eher einen Alptraum, der zuweilen einem „Tanz der Teufel“ nähersteht als Wagners Ring Epos. Blut fließt, Licht durchschneidet die Nacht, während der Wald bedrohlich wächst, sich göttliche Fratzen aus den Mauern schälen, verzweifelte Protogonisten durch die Sumpflandschaft robben und sich dabei immer tiefer in ihrem Schicksal verheddern, bis sich Dom, Wald und Wasserwelt zu einer Vorhölle entwickeln, aus der nur wenige lebend zurückkehren werden. Am Ende dieser wuchtigen Inszenierung, die inhaltlich etwas mehr vorgibt zu sein als sie ist, bleibt man als Festspielbesucher beeindruckt zurück. Das spiegelte sich in den minutenlangen, wohl verdienten stehenden Ovationen des Publikums wider. Nach „Siegfrieds Erben“ hat Vontobel zum zweiten Mal bewiesen, welch kraftvoller Regisseur er ist.

 

Text und Fotos: Dennis Dirigo

Weitere Informationen zu den Nibelungen Festspielen finden Sie hier: https://www.nibelungenfestspiele.de/nibelungenfestspiele/

Franz Pätzold (Gunter) und Felix Rech (Siegfried)

Heiko Raulin (Hagen) und Genija Rykova (Brünhild)

Genija Rykova (Brünhild) und Gina Haller (Kriemhild)

Felix Rech (Siegfried) und Gina Haller (Kriemhild)

Rykova, Werner Wölbern (Wotan) und Heiko Raulin (Hagen)