Initiative Klimaschutz Mittelhahntal übt weiterhin starke Kritik an Plänen der Stadt
Den meisten Wormsern dürfte die Fläche zwischen dem Breiten Michelsweg und der Firma Renolit, die auf den Namen Mittelhahntal hört, unscheinbar erscheinen. Die Stadt kann sich dort wiederum ein Gewerbegebiet vorstellen. Die Initiative Klimaschutz Mittelhahntal sieht das indes anders.
Es ist schwierig zu sagen, ob Extremwetterlagen, wie sie in den letzten Wochen zweimal in Worms zu erleben waren, im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen. Es ist dabei auch eher unwahrscheinlich, dass eine zusätzlich versiegelte Fläche dies ändert. Es ist aber nicht schwer zu erkennen, dass die Entscheidung, ob wir als Gesellschaft weiter- hin landwirtschaftlichen Boden dem vermeintlichen Wachstum opfern, unmittelbaren Einfluss auf die Lebensqualität einer Stadt hat. Das hat auch die Stadt erkannt und seitdem viele Klimagutachten in Auftrag gegeben, drei Klimaschutzmanager eingestellt, einen Hitzeaktionsplan erstellt und ist zahlreichen Klimabündnissen beigetreten. Die wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass es in Worms immer heißer wird, insbesondere in der Innenstadt, und dass es verstärkt zu Extremwettern kommt. Umso wichtiger sind Kaltluftschneisen, die buchstäblich frischen Wind in die Innenstadt tragen. Ebenso Flächen, in denen das Wasser abfließen kann. Worms profitiert hierbei von vielen landwirtschaftlichen Flächen, sowohl im Gesamtstadtbild als auch in den angrenzenden Gebieten. Ein solches Gebiet ist das Mittelhahntal. Das ist zwischenzeitlich aber auch in den Fokus der Stadtverwaltung gerückt, die die Fläche gerne zu einem neuen Gewerbegebiet umbauen möchte. Denn aus Sicht der Stadt sind wirtschaftliches Wachstum und die Neuansiedlung von Gewerbe nur möglich, wenn die Stadt neue Flächen ausweisen kann.
Frische Luft vs. Gewerbefläche
Im Gespräch mit WO! (09/23) erklärte Oberbürgermeister ADOLF KESSEL: „Nach dem Scheitern des Gewerbegebiets „Hoher Stein“ begann die Suche nach neuen Flächen. Dafür wurde ein Gutachter beauftragt, der sich die gesamten klimatischen Verhältnisse in der Stadt Worms anschaute und anhand dieser vorschlagen sollte, wo noch Flächen ausgewiesen werden könnten. Dabei wurde u.a. auch eine Fläche zwischen Herrnsheim und Abenheim vorgeschlagen.“ Zunächst spielte das Mittelhahntal bei dieser Suche keine Rolle, bis im Stadtrat der Vorschlag kam, dieses Gebiet ebenfalls in Betracht zu ziehen. 42 Hektar ist es groß. Das Gebiet ist geprägt durch kleinteilige Ackerflächen und einen Wald mit Baum- und dichtem Buschbestand, die die Heimat von Tieren sind, sowie eine Kleingartenkolonie. Zudem ist die Fläche im Klimakonzept Innenentwicklung als wichtige Luftleitbahn und Frischluftentstehungsfläche ausgewiesen. Für MICHAEL LEUKAM (BUND) ist die Haltung der Stadt unverständlich „Wenn man Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz ernst nimmt, darf man das Mittelhahntal nicht bebauen“, erläutert er im Gespräch mit unserem Magazin. Welchen Einfluss Luftleitbahnen haben, lässt sich eigentlich leicht erklären. Wer schon einmal einen Spaziergang am Rande von Weinbergen, Äckern oder am Rheinufer unternommen hat und anschließend Richtung Stadt marschiert ist, weiß, wie sich diese Luftleitbahnen anfühlen und wie es langsam wärmer wird, wenn man sich wieder der Stadt nähert. Das hat auch frühzeitig die Initiative Klimaschutz Mittelhahntal festgestellt, die seit 2021 unermüdlich auf das drohende Problem aufmerksam macht, und zu der auch Michael Leukam gehört. Um auf das Vorhaben aufmerksam zu machen, steht die Initiative derzeit samstagvormittags mit einem Infostand in der Innenstadt. Im Gespräch mit WO! verweist MARCO LENCK (Nabu), der Sprecher der Initiative ist, auch auf die erfolgreiche Unterschriftenaktion. So haben bisher rund 3.360 Bürgerinnen und Bürger gegen das geplante Gewerbegebiet unterschrieben.
Noch ist nichts entschieden
Nachdem Oberbürgermeister Adolf Kessel noch im April der WZ gegenüber versicherte, das Projekt weiterhin „forcieren zu wollen“, ist dieser zwischenzeitlich etwas zurückhaltender geworden. Im WO! Interview verwies KESSEL auf ein erneutes Gutachten: „(…) Da das Mittelhahntal im Flächennutzungsplan als landwirtschaftliche Fläche ausgewiesen ist, wurde es damals für gesuchte Flächen gar nicht in Betracht gezogen. Damals wurden für die potentiellen Flächen Steckbriefe unter Berücksichtigung verschiedener ökologischer Aspekte erstellt. Diesen gibt es für das Mittelhahntal nicht. In den nächsten Ta- gen soll dieser nun erstellt werden und anschließend möchte ich mit allen Verantwortlichen ins Gespräch gehen.“ Das war im Juli. Zwischenzeitlich liegt das Gutachten vor. Wie Timo Horst im Gespräch im WO! erklärt, sei die Folge nun, dass eine Klimatologin die unmittelbare Temperatursteigerung bewerten soll, die durch das Gewerbegebiet entstehen könnte. Für Kessel steht fest: „Wenn der Steckbrief besagt, dass dieser Ort nicht in Frage kommt, ist mir wichtig, dass wir gleichzeitig beschließen, welche Alternative kommen muss. Das heißt, es muss dann auch die oben angesprochene Fläche nochmals geprüft werden.“
Aber ist Flächenversiegelung der einzige Weg?
Im Gespräch unterstrich Kessel, dass es derzeit nicht der Wunsch der Stadt sei, dass neue Gewerbeflächen für Logistikhallen genutzt wer- den sollen. Das sieht auch die Initiative so. „Wir sind nicht gegen die Erweiterung Wormser Unternehmen oder gegen die Ansiedlung von Startups. Die Frage ist doch, ob sie diese extra geschaffenen Flächen dafür benötigen“, erläutert MARCO LENCK (Nabu), die Gedanken der Initiative. LENCK weiter: „Diese bräuchten keine riesigen Flächen, sondern kleine bis mittelgroße, sowie eine gute Internetanbindung.“ Ein Thema, das in Worms ebenfalls nur schleppend voran geht. Zudem kritisiert die Initiative, dass die Stadt durchaus noch weitere Flächen zur Verfügung hat. „Laut aktuellem Flächennutzungsplan verfügt die Stadt über 86 Hektar freie Flächen. Nur ein kleiner Teil davon wurde bislang vergeben“, erläutert MARCO LENCK. Grundsätzlich sieht die Initiative die städtischen Bemühungen, Gewerbe anzusiedeln, als gescheitert. „Trotz eines immensen Flächenverbrauchs ist Worms in einer finanziell schwierigen Lage. Logistikunternehmen brauchen sehr viel Fläche, bieten nur wenige, vor allem schlecht bezahlte Arbeitsplätze und sind darüber hinaus sehr konjunkturanfällig“, unterstreicht MICHAEL LEUKAM (BUND) die Kritik. Versiegelt wurden in den letzten 20 Jahren rund 140 Hektar, davon wurde ein Großteil der Fläche mit Hallen bebaut. Im Gespräch mit WO! äußerte der Oberbürgermeister den Wunsch der Stadt, vermehrt einkommensstarke Menschen nach Worms zu locken. Da erscheint es fraglich, ob es sinnvoll ist, statt Natur den potentiellen Neu-Wormsern Gewerbeparks, bebaut mit kubischen Formen im schicken Industriedesign, vorzusetzen? Zudem verweist Lenck auf das Klima als unmittelbare Lebensqualität: „In einer Stadt, die ständig heißer wird, will niemand wohnen“. KERSTIN JANNECK (BUND) ergänzt, dass die Einkaufsstadt ebenfalls unter dieser Entwicklung leiden werde. Eine oft formulierte Frage lautet deshalb: „In welcher Stadt wollen wir leben?“ Die Widersprüchlichkeit der Stadt Worms gibt darauf keine Antworten.
Text: Dennis Dirigo,