Es ist nicht einfach, in wenigen Zeilen einem Leben gerecht zu werden. Im Falle des 56 Jahre alten Goldschmiedemeisters und Trauringflüsterers Arnulf „Kaju“ Kienast ist es nahezu unmöglich. Unterhält man sich mit dem Mann, der durch sein Äußeres unweigerlich auffällt, erkennt man schnell, dass er nicht einfach nur ein schillernder Paradiesvogel im barocken Kostüm ist, sondern sich dahinter ein Mensch verbirgt, der vor Ideen nur so sprudelt. Immer beseelt von dem Gedanken, aus Liebe zu der Stadt und deren Einwohnern, etwas zurückzugeben…
Eine seiner jüngsten Ideen ist die Umbenennung des Wormser Weihnachtsmarktes in Nibelungen Weihnacht, sowie das damit verbundene neue Logo mit dem Herzen und dem Schlüssel. Zugleich verbindet der Goldschmied in dritter Generation damit zwei für ihn zentrale Themen. „Für einen Goldschmied ist Weihnachten ein großes Thema. Mit meiner Kreativität bin ich Teil des Festes“. Als der Weihnachtsmarkt für ein paar Jahre auf dem Schlossplatz stattfand, hatte er bereits rege mit der Stadtverwaltung zusammengearbeitet, um sich an der Gestaltung des Marktes zu beteiligen. Während im Moment noch einige Wormser mit dem neuen Namen hadern, ist für Kienast die Verbindung Nibelungen und Weihnachten etwas Selbstverständliches. „Im Grunde wissen wir Wormser um die Bedeutung unserer Stadt, aber dennoch werden die Dinge zu Beginn oft kleingeredet“. Der Handwerksmeister und Künstler ist sich aber sicher, dass die meisten früher oder später die Nibelungen Weihnacht in ihr Herz schließen werden. Den Schlüssel dazu findet man symbolträchtig direkt unter dem Herzen des neuen Logos. Natürlich ist er sich darüber bewusst, dass die Nibelungen keine Christen waren und insofern auch keine Weihnachten gefeiert haben. Aber warum nicht das Gegensätzliche gegenüberstellen? Was wäre passiert, wenn man den Nibelungen den christlichen Gedanken gegeben hätte?
Man merkt im Gespräch, dass ihn das Nibelungenlied fasziniert. Als Teil der Nibelungenliedgesellschaft beschäftigt er sich schon seit vielen Jahren mit der Geschichte hält Vorträge, und bereichert das Thema mit seiner Goldschmiedekunst. Gemeinsam mit dem Künstler Horst Rettig schuf er ein sogenanntes „stilles Denkmal“. Ganz in der Nähe des Siegfriedgrabes auf dem Torturmplatz wurde eine Granitplatte mit eingraviertem Text sieben Meter tief unter der Erde versenkt. Arnulf Kienast erklärt, dass dies ein stilles Denkmal sei, das in der Tiefe auf den mystischen Urgrund des Epos hinweist. Auf der Abdeckplatte ermahnen Verse des Nibelungenliedes zum Frieden, lateinisch PAX. Natürlich könnte man jetzt fragen: Was nutzt ein Denkmal, das unter der Erde ist? Horst Rettig lieferte hierzu im letzten Jahr eine Erklärung. „Meine Intention war, das Nibelungenlied als eines der bedeutendsten Schöpfungen deutscher Sprache für die Nachwelt hier in Worms zu verorten. Das Lied ist der Schatz“. Nicht minder eindrucksvoll sind die Ringe, die Kienast teils mit seiner Schwester Annette, ebenfalls Goldschmiedemeisterin, und teils mit dem Künstler Eichfelder entworfen hat, darunter der „sagenhafte“ Rheingold-Ring oder der edel gestaltete Nibelungen-Ring mit seinen sich wiederholenden Doppelspiralen, die sich auf den nibelungischen Rosengarten beziehen.
Überregionale Bekanntheit erlangte er allerdings vor allem als Trauringflüsterer. Wer Arnulf Kienast kennt, weiß, dass es ihm nicht darum geht, einfach einen Hochzeitsring zu verkaufen. „Ich möchte, dass jedes Paar den Ring findet, der zu ihnen gehört. Ich möchte, dass Paare sich Gedanken darüber machen, warum sie heiraten“. Der Weg dorthin führt über mehrere Sitzungen, bei denen er sich intensiv mit den Paaren beschäftigt. Der Name Trauringflüsterer entstand wiederum vor vielen Jahren auf einem Kollegentreffen. Nachdem er diesen seine Philosophie erklärte, meinte ein Kollege: „Arnulf, du bist halt unser Trauringflüsterer“. Als Namenszusatz entschied er sich für Kaju, eine Buchstabenkombination seines Vor- und Nachnamens und seinem zweiten Namen Johannes. Er selbst heiratete vor ein paar Jahren Angelika Zezyk, Bereichsleiterin für Sicherheit und Ordnung in Worms. Auf die Frage, wie er hier bei der Gestaltung des Ringes vorgegangen sei, erklärt er, dass er in diesem Fall natürlich einen anderen Weg gehen musste. Der führte über seine Schwester. Die entwickelte zusammen mit der zukünftigen Braut den passenden Ring. „Ich fühle mich mit meiner Schwester wie ein Zwilling. Sie ist eine tolle Handwerksmeisterin und ich vertraue ihr bedingungslos“. Dass er selbst einmal ein echter Trauringflüsterer werden würde, hätte er früher nie zu träumen gewagt. Als junger Mann stotterte er stark. An Kundengespräche war nicht zu denken. Zudem war sein Vater eine ausladende Künstlerpersönlichkeit und erfolgreicher Goldschmied, dessen Fußspuren sich für den jungen Kienast zu groß anfühlten. Im Laufe der Jahre gewann er an Selbstsicherheit, entdeckte die Widersprüche seiner Person und begann diese zu akzeptieren. „Ich weiß, dass ich polarisieren kann und dass manch einer auch mal lächelt. Manche sagen, ich kostümiere mich – aber das bin ich!“ Das Stottern überwand er auch, in dem er sich eine eigene Sprachmelodie antrainierte, was im direkten Gespräch sofort auffällt. Jedes Wort ist bewusst gewählt, der Rhythmus sanft wogend, mit einem leichten Hang zum Pathos.
Etwas, was ihm bei einer weiteren Leidenschaft zugutekommt, dem Schauspielern. Kienast liebt es, auf der Bühne zu stehen, liebt das Spiel mit den Menschen. Eine Rolle, die er nur allzu gerne mal spielen würde, ist der Mephisto aus Goethes „Faust“. Auch hier findet sich wieder seine Faszination für die Gegensätze. „Mephisto ist liebevoll teuflisch, verlockend und reizend. Ist er wirklich so schlimm, ist nicht Faust derjenige, der Schlimmes tut?“, fragt er. Seinen jüngsten Auftritt hatte er erst vor kurzem im Rahmen der Eröffnung der ersten Nibelungen Weihnacht. Ganz aufgehend in seiner Rolle spielte er „Schorsch, de Wormser“, überzeugt davon, mit dem Schlüssel am Nibelungenherz auch den Schlüssel zu den Herzen der Wormser gefunden zu haben. Manch einer tut sich im Moment noch schwer, sein Herz für die Nibelungen Weihnacht zu öffnen. Wer allerdings Arnulf „Kaju“ Kienast – alias de Wormser Schorsch – zugehört hat, versteht, warum er von der Idee, die heidnisch mittelalterliche Sippe mit dem Fest der Liebe zu vermählen, überzeugt ist.