Zahlen lügen nicht, Tabellen schon gar nicht. Obwohl die Vorzeichen gut stehen, dass die Wormatia auch als Sechzehnter erneut über den grünen Tisch dem Abstieg entgehen wird, ändert dies nichts an der Tatsache, dass man in den letzten 18 Monaten ziemlich viel falsch gemacht hat. Sonst müsste ein potentieller Drittligist nun nicht „normalerweise“ den bitteren Gang in die 5. Liga antreten.

Es war nicht alles schlecht. Gewiss nicht, der Verein Wormatia Worms hat in der jüngsten Vergangenheit auch oft Spaß gemacht. Als Ausgangspunkt der positiven Entwicklung sei die Aufstiegsschlacht beim 1:0-Sieg im Saarbrücker Ludwigspark genannt, der den Grundstein für den Aufstieg in die Regionalliga legte. Oder der dreimalige Gewinn des Südwestpokals in den Jahren 2007, 2009 und 2012. Diese bedeuteten die Qualifi kation für den DFB-Pokal, wo man unvergessene Pokalschlachten gegen Greuther Fürth, Hertha BSC Berlin und den 1. FC Köln abgeliefert hat. Freilich, die Zeit in der Regionalliga seit 2008 als erfolgreich zu bezeichnen, wäre vermessen. „16 – 17 – 12 – 4 – 12 – 16“ – so lauteten die Platzierungen in den sechs Jahren Regionalliga. Das ist eher die Bilanz einer grauen Maus, als die eines ambitionierten Regionalligisten. Trotzdem genoss die Wormatia in den letzten Jahren des Öfteren den Status eines „Geheimfavoriten“, wenn die Trainer der anderen Vereine traditionell vor Saisonbeginn ihre Favoriten genannt haben. Aber genau genommen konnte der VFR nur ein einziges Mal die Vorschusslorbeeren rechtfertigen, als in der Saison 2011/2012 unter Ronny Borchers ein vierter Platz gelang. Diese Platzierung weckte Begehrlichkeiten, mit der Firma TST fand sich ein potenter Sponsor und im Jahr 2012 wurde plötzlich die Losung ausgegeben, in die 3. Liga aufsteigen zu wollen. Für viele im Umfeld kam das ziemlich überraschend und womöglich etwas überhastet. Aber was sollte man denn tun, wenn plötzlich Geld da war? Als der Verein zur Winterpause 2012 nur auf Platz 12 stand, trafen Vorstand und sportliche Leitung übereinstimmend eine Entscheidung, die nicht nur 90% der Anhängerschaft verärgerte, sondern der Ausgangspunkt für eine nie geglaubte Talfahrt werden sollte. Der Verein trennte sich von Trainer Ronny Borchers, den viele Fans als Vater des Aufwindes sahen und der seinerzeit mit einer unfassbaren Verletzungsserie zu kämpfen hatte. In der WO!-Ausgabe Januar 2013 stand damals zu lesen: „Im Moment hat man ein bisschen das Gefühl, dass man bei der Wormatia gerne den dritten vor dem zweiten Schritt machen möchte und wie so oft wird erst die Zukunft zeigen, ob es richtig war, an dieser Stelle die Brechstange rauszuholen.“ Obwohl Vorstand und sportliche Leitung damals übereinstimmend erklärten, dass man hundertprozentig hinter der Entscheidung stehe – sie war aus heutiger Sicht zu 100% falsch. Wenn man die Situation auch noch so wohlwollend beurteilen möchte, hielten die folgenden 18 Monate keinerlei Lichtblicke mehr parat. Im gesamten Jahr 2013 durften die Wormser Anhänger gerade einmal sechs Siege bejubeln, vollends überzeugt hat man in keinem Spiel. Unter Emmerling und seinem Kurzzeitnachfolger Boysen wurde das Stadion von Woche zu Woche leerer gespielt. Aktuell ist man gerade zum dritten Mal aus sportlicher Sicht abgestiegen und wird eventuell zum dritten Mal durch Finanzprobleme anderer Vereine in der Liga verbleiben. Selbst der treueste Fan kann darüber nur noch müde lächeln, weil man nach ganz vielen Spielen in der abgelaufenen Saison mit dem Gefühl nach Hause gegangen ist, dass diese Mannschaft den Abstieg tatsächlich verdient hätte. Wer sich aufgrund dieser trostlosen Bilanz einen Neuanfang in der Oberliga Rheinpfalz/Saar wünscht, scheint die Dimensionen einen Abstiegs nicht zu überblicken, denn 5. Liga heißt heutzutage, in der tiefsten fußballerischen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dann kommt nicht mehr die Hertha aus Berlin nach Worms, sondern Hertha Wiesbach und verspricht nicht nur vom Namen her tiefste Provinz. Die Regionalliga Südwest dagegen wird in der nächsten Saison mit den Absteigern aus der 3. Liga, SV Elversberg und dem 1. FC Saarbrücken, oder Oberliga-Aufsteiger FK Pirmasens so hochkarätig wie noch nie besetzt sein. Während sich also in der Regionalliga ehemalige Profivereine wie Waldhof Mannheim, Kickers Offenbach, Hessen Kassel, FC Homburg, TUS Koblenz oder Eintracht Trier tummeln, müsste man in der Oberliga gegen SpVgg Brohltal/Burgbrohl, SV Roßbach/ Verscheid, SV Mehring oder SG Betzdorf ran. Willkommen in der Realität. Übrigens: Als Ronny Borchers im Dezember 2012 beurlaubt wurde, brachten viele Fans im Internetforum den gerade erst bei den Stuttgarter Kickers entlassenen Dirk Schuster ins Gespräch. Die Vereinsleitung entschied sich seinerzeit für Stefan Emmerling. Der hat bis heute keinen neuen Verein übernommen, während Dirk Schuster gerade erst mit dem SV Darmstadt 98 sensationell in die 2. Bundesliga aufgestiegen ist. Ein Verein, der ähnliche Strukturen und wirtschaftliche Voraussetzungen wie Wormatia Worms hat.

Wie konnte der Verein nur so tief stürzen?

Geld schießt bekanntlich keine Tore, wobei man mit genug davon, gepaart mit sportlicher Kompetenz, durchaus Erfolge erzielen kann. In Worms dagegen wurde das Geld in den letzten 18 Monaten in geradezu fahrlässiger Weise verbrannt, weil man zu schnell nach oben wollte, aber vergessen hat, die entsprechenden Strukturen für den sportlichen Erfolg zu schaffen. Es reicht eben nicht nur, ein paar abgehalfterte Altstars mit Kohle zuzuschmeißen. Womöglich ist die Ursache des Absturzes darin zu suchen, dass mit den höheren Anforderungen in der 4. Liga nicht auch die sportliche Kompetenz in den eigenen Reihen gewachsen ist, was sich nicht nur schmerzlich an einem fehlenden Scouting-System bemerkbar machte. Vielmehr konnte man zuletzt den Eindruck gewinnen, dass der von der sportlichen Leitung zusammengewürfelte Haufen zu einem Großteil Wünsche des jeweiligen Trainers waren, aus Empfehlungen dubioser Spielerberater resultierte oder aufgrund einer DVD-Sichtung, aber weniger wegen eigener Spielbeobachtungen gekauft wurde. Nur so konnte ein Marcus Müller in Worms landen, der hauptsächlich durch seine Lustlosigkeit auffiel, in der Winterpause nach Offenbach wechselte und dort plötzlich wieder traf. Geschweige denn, dass der Verein eine eigene Spielphilosophie bevorzugt hätte. Wenn der Verein so etwas wie eine eigene Philosophie hatte, dann war das in den meisten Fällen die des jeweiligen Trainers. Andere Verpflichtungen wie Carsten Strässer, der nach einem halben Jahr wieder geflüchtet ist und dem Vernehmen nach bis zu 8.000 Euro pro Monat eingestrichen hat, wird vor allem als Fehlpass-König in die Annalen des Vereins eingehen, der sich – weitab von der Familie – in seiner Übergangswohnung von den anderen abgenabelt hat und jede Gelegenheit zur Heimfahrt in den Osten dankend angenommen hat. Ausgerechnet der sollte Emmerlings Führungsspieler werden. Auch Srdjan Baljaks Verpflichtung war auf dem Mist des Ex-Trainers gewachsen. Der sich in ähnlichen Gehaltsgefilden bewegende Serbe konnte seine Bezahlung nicht einmal ansatzweise rechtfertigen. Überhaupt zündeten im Saisonrückblick fast alle Neuzugänge Emmerlings nicht. Auch hier muss sich die sportliche Leitung fragen lassen, warum man seinen ehemaligen Trainer mit derart viel Macht ausgestattet hat, anstatt den vor ein paar Jahren eingeschlagenen Weg, hauptsächlich Spieler aus der Region zu verpflichten, konsequent weiter zu gehen. Emmerling setzte dagegen auf abgehalfterte Spieler jenseits der 34 – wie eben Baljak oder Strässer. Oder er lockte Söldner wie El Hammouchi oder Celik nach Worms, denen vollkommen egal war, für welchen Verein sie gerade auflaufen. Die Folge: Emmerling musste nach sieben Spielen, aufgrund massiver Erfolglosigkeit, seinen Hut nehmen. Anstatt jedoch danach aus den Fehlern zu lernen, machte man mit Feuerwehrmann Hans-Jürgen Boysen exakt die gleichen wieder, als man mit dem 38-jährigen Torhüter Carsten Nulle, Alan Stulin, Tufan Tosunoglu (1 Kurzeinsatz) und dem verhinderten Torjäger Marcel Kunstmann vier Wunschspieler Boysens nach Worms holte, die spätestens Ende der Saison wieder woanders ihr Glück versuchen werden – eingeschlagen war allenfalls Stulin. Stattdessen wurde in der Winterpause mit Kapitän Sandro Rösner eine wichtige Identifikationsfigur verkauft, weil der sich – sicherlich nicht zu Unrecht – mit dem erfolglosen Zwischenmodell Boysen gefetzt hatte. Rösner wechselte nach Hauenstein und Boysen ging wenig später als der Trainer in die Wormatia-Geschichte ein, der gefeuert wurde, weil er von 11 Pflichtspielen an der Seitenlinie kein einziges gewinnen konnte. Der Wormatia dagegen fehlt ein langjähriger Abwehrspieler, der schon oft genug bewiesen hat, dass er sich voll und ganz mit dem Verein identifiziert. Das kann mindestens die Hälfte des aktuellen Kaders gewiss nicht von sich behaupten.

Keine großen Namen mehr

Wenn man etwas aus dieser verkorksten Saison lernen kann, dann ist das die Erkenntnis, dass man zukünftig in Worms besser nicht auf große Namen setzen sollte, denn die haben in dieser Saison allesamt versagt – angefangen bei den bereits genannten Spielern, nebst Borchers-Nachfolger Emmerling und aufgehört bei „Retter“ Boysen, der nicht im geringsten für positive Akzente sorgen konnte. Der einzige „Sieger“, den die abgelaufene Saison mit sich brachte, heißt Sascha Eller, weil es der ehemalige U23-Coach nach den beiden Reinfällen als einziger verstanden hat, aus der zuvor vollkommen zerrissenen Truppe so etwas wie eine Mannschaft zu formen. Um junge Spieler wie Rik Hiemeleers, Björn Weisenborn oder Sascha Feucht sollte Eller zukünftig ein neues Team aufbauen. Jonathan Zinnram ist ein Riesentalent, dem man auf jeden Fall noch eine Saison geben sollte, auch wenn dessen Name bereits auf dem Notizzettel anderer Vereine aufgetaucht ist. Man kann außerdem hoffen, dass einheimische Spieler wie Gopko, Himmel oder Mehring bleiben. Extrem wichtig wäre es, einen Lucas Oppermann zu halten, der eine starke Rückrunde absolviert hat, als einziger Kontakt zu den Fans hat und der Dienstälteste im Team ist. Auch Adam Jabiri, der eine glänzende Rückrunde gespielt hat, soll, laut letztem Stand, noch keinen Vertrag bei einem anderen Verein unterschrieben haben. Wenn der Torjäger, selbstverständlich nur bei einem Verbleib in der Regionalliga, beim VFR bleiben würde, wäre das natürlich ein fettes Pfund für die kommende Saison. Eine Frage der Ligazugehörigkeit als auch des Gehaltes wird eine Weiterverpflichtung von Spielern wie Wolf oder Stulin sein. Kevin Wölk hat zuletzt als Innenverteidiger überzeugt, wird aber noch ein paar Monate verletzungsbedingt ausfallen. Auch Marcel Abele hat eine ordentliche Saison gespielt, könnte aber ein Opfer eines Überangebotes an „Sechsern“ werden. Eine Vertragsverlängerung von Marcel Kunstmann (zurück zum SC Verl?), Raschid El Hammouchi (zu alt), Erdal Celik (zu schwach), Tim Bauer (zu wechselhafte Leistungen) oder Alper Acam (zu ungefährlich) würde den Verein nicht voran bringen.

Mehr Identifikation mit dem Verein

Wie so oft entscheidet sich bei der Wormatia auch in diesem Jahr erst später als bei den anderen Vereinen, in welcher Klasse es weitergeht. Das erschwert die Planungen für die neue Saison, da die besten Spieler nun mal am schnellsten ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Ohne ein gut funktionierendes Scouting-System macht das die Sache nicht einfacher. Immerhin soll dies besser werden, denn drei Leute sollen zukünftig Spielbeobachtungen durchführen, um dem Verein entsprechende Empfehlungen für Neuverpflichtungen geben zu können. Im Gespräch sind die Namen Volker Kühr, Mario Cuc und Alexandr Nazarov. Drei ehemalige Spieler des Vereins, denen man zumindest eine gewisse fußballerische Kompetenz nicht absprechen kann. Aber egal, ob Oberliga oder Regionalliga – der Verein täte gute daran, bei der Zusammenstellung des neuen Kaders vor allem auf die charakterliche Eignung eines Neuzugangs zu achten. Es gibt in der Mannschaft der abgelaufenen Saison vielleicht eine Handvoll Spieler, die dem Verein wirklich nahe stehen. Allen anderen ist es egal, ob sie einen Drachen oder irgendein anderes Symbol auf dem Trikot tragen. Bezeichnend war in diesem Zusammenhang die Szenerie im Anschluss an das letzte Saisonspiel gegen FSV Mainz 05 II, das mit 1:3 verloren ging. Nach dem Spiel sangen die Wormser Fans noch eine knappe Viertelstunde nach Spielschluss weiter ihr Lied, das ausdrücken soll, dass der Star nicht die Mannschaft, sondern der Verein ist. Wo andere bei einem drohenden Abstieg komplett die Nerven verlieren, hat die Wormser Vortribüne weiter gesungen und gerade einmal zwei Spieler fühlten sich berufen, den Fans ein letztes Mal für die Unterstützung zu danken. Lucas Oppermann, vermutlich der beliebteste Spieler des aktuellen Kaders, und Torhüter Lucas Menz, der unter der Woche bei Kickers Offenbach unterschrieben hatte, weil beim VFR offensichtlich niemand gemerkt hat, dass man endlich einmal einen jungen talentierten Torwart in den eigenen Reihen hatte, dem die Zukunft gehört. „Sorry für eine Scheißsaison“ hat Wormatias sportlicher Leiter, Fritz Bergemann-Gorski, im Saisonheft des letzten Heimspiels geschrieben. Es muss ganz dringend besser werden. Noch eine Scheißsaison will hier keiner sehen. Egal, ob in der Regionalliga oder der Oberliga.