Das Gespräch führten: Dennis Dirigo und Frank Fischer
Als Adolf Kessel zum Oberbürgermeister von Worms gewählt wurde, hat er seine Posten als Ortsvorsteher von Rheindürkheim, als Kreisvorsitzender und als Landtagsabgeordneter aufgegeben, um sich ganz auf seinen neuen Job konzentrieren zu können. Danach befragt, was sich als OB geändert habe, räumt Kessel freimütig ein, dass er jetzt weniger Abendveranstaltungen habe: „Kann sein, dass sich das noch ändert, aber aktuell ist es so.“ Auch als OB ist es ihm wichtig, gewisse Rituale beizubehalten. So ist die Zeit zwischen 12 und 14 Uhr für das gemeinsame Mittagessen mit seiner Ehefrau Ramona reserviert. „Außer donnerstags, da hat sie „Oma-Tag“, ergänzt Kessel. Als der neue OB deswegen seine Rathauskolleginnen fragte, wann sie denn am Donnerstag in die Kantine gehen würden, hätten diese zunächst erstaunt gefragt, ob er sich das Essen nicht bringen lassen wolle. Anscheinend hatte sich sein Vorgänger eher selten dort blicken lassen. Ein Wort, das man auf den Rathausfluren immer wieder über Kessel hört, ist „bodenständig“. Ebenso unaufgeregt, wie er bereits sein Amt angetreten hatte, antwortete der neue OB auf unsere Fragen.
WO! Eine schwarze Null im Haushalt war eines Ihrer Ziele. Wie wollen Sie das erreichen?
Es ist mein Ziel, bis zum Ende meiner Amtszeit eine schwarze Null im Haushalt zu erreichen. Da müssen wir zum einen nach den Sozialausgaben schauen, andererseits haben wir gerade einen Digitalausschuss gegründet, der die Digitalisierung der Stadt vorantreiben soll. Auch hiervon versprechen wir uns langfristig Einsparpotentiale.
WO! Für das kommende Jahr fällt auf, mit 70,5 neuen Stellen wird ordentlich aufgestockt. Woher diese plötzliche Investitionsfreudigkeit?
Die 70,5 Stellen, die wir neu schaffen, welche knapp 5% des Personalstandes ausmachen, können wir allesamt begründen.
WO! Darum geht es auch gar nicht, die Frage ist eher, ob im Konzern Stadt, der knapp 1200 Mitarbeiter umfasst, eine regelmäßige Prüfung stattfindet, ob alle Stellen noch benötigt werden. Das ist ja das, was die kleinen Parteien kritisiert haben.
Ja, Prüfungen finden statt. Wir haben Einteilungen in sieben Bereiche, wovon zum Beispiel allein der Sozialbereich 200 Mitarbeiter umfasst. Aber wie schon beim GBB (Gebäudebewirtschaftungsbetrieb der Stadt Worms, Anm. der Red.) und bei der Feuerwehr führen wir eine Organisationsuntersuchung durch. Dann kann aber dabei herauskommen, wie es jetzt beim GBB der Fall war, dass acht Stellen zu wenig besetzt sind. Unser Wunsch ist es natürlich auch zu schauen, wo kann man Stellen einsparen durch andere Arbeitsabläufe, durch andere Vorgehensweisen.
WO! Heißt das, man muss erst einmal Personal aufstocken, um irgendwann Personal abbauen zu können?
Wir haben in den nächsten Jahren das Problem, dass aufgrund der Alterspyramide allein in der Kernverwaltung 350 Stellen wegfallen. Da ist die Frage, ob wir diese auf dem Stellenmarkt überhaupt neu besetzen können. Auch für die Aufstockung des Vollzugsdienstes um 15 auf 38 Stellen, damit wir Ordnungsdienst rund um die Uhr haben können, brauche ich erst einmal 15 Leute.
WO! Muss die Stadt dann nicht neue Wege gehen, um geeignete Bewerber zu finden?
Wir haben jetzt zwei Stellen ausgeschrieben für Verwaltungsangestellte mit einem dualen Studium in Mayen. Wir bilden Verwaltungsangestellte aus, mit der Zielrichtung kommunaler Vollzugsdienst. Sie machen einen Teil der Ausbildung auf der Polizeischule, der Rest ist normale Verwaltungsausbildung. Das hat den Vorteil, wenn irgendwann jemand nicht mehr dienstfähig sein sollte im kommunalen Vollzugsdienst, können wir ihn in der Verwaltung verwenden.
WO! Personal wird derzeit in vielen Bereichen benötigt. Ist die Stadt in diesem Sinne überhaupt noch wettbewerbsfähig?
Gerade in den technischen Berufen haben wir das Problem, dass man in der freien Wirtschaft mehr verdienen kann, als bei der Stadt. Beim GBB z.B. wollen wir eine Verbesserung erreichen durch eine Umwandlung in eine Anstalt des bürgerlichen Rechts. Natürlich ist die Grundlage der Bezahlung dann immer noch der TVöD, aber es besteht die Möglichkeit, mehr Zuschläge zu zahlen.
Ein ähnliches Problem haben wir bei der Feuerwehr. Wir haben in den letzten Jahren 15 Feuerwehrleute, die bei uns ausgebildet wurden, an andere verloren, weil ihnen dort mehr geboten wird. Es mag nicht immer nur am Geld liegen, aber wir haben aufgrund dessen eine Stellenbewertung bei der Feuerwehr durchgeführt, bei der auch die Organisation geprüft wird. Derzeit haben wir vier Feuerwehrleute in Führungspositionen, was zu wenig ist. Hier besteht also die Möglichkeit, bestehende Stellen bzw. Mitarbeiter neu zu bewerten. Genauso machen wir das dann auch beim GBB, wo bereits bei der Organisationsuntersuchung herauskam, dass acht Stellen fehlen. Der Gedanke ist aber, auch diesen Bereich mit der Hochbauabteilung zusammenzuführen. Dabei geht es nicht nur um die Möglichkeit höherer Eingruppierungen, sondern auch Abläufe zu optimieren, also eine neue Struktur zu schaffen. Letztlich haben wir in diesem Bereich die größten Probleme.
WO! Im Haushalt der Stadt fällt auf, dass sehr viele Investitionen für Baumaßnahmen eingestellt sind. Dagegen steht, dass die Bauverwaltung sagt, dass die Kapazitäten gar nicht ausreichen, um alle Baumaßnahmen umzusetzen. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Das führte z.B. dazu, dass wir im vergangenen Jahr einen ausgeglichenen Haushalt hatten, weil viele Gelder im Baubereich nicht abgerufen wurden. Schön für die Buchhaltung, weniger schön für die Projekte, die nicht realisiert wurden.
Wir müssen alles wahrnehmen, was man nach außen, z.B. an externe Architekturbüros, vergeben kann, so dass wir nur noch die Bauherrentätigkeit übernehmen. Das ist dann so, als würden Sie ein Haus bauen. Sie sind der Bauherr und geben vor, welche Farbe sie haben wollen und die externen Firmen müssen dies umsetzen (derzeit werden städtische Projekte mit einem detaillierten Leistungsverzeichnis ausgeschrieben, Ziel ist es, sogenannte Funktionalausschreibungen zu erreichen. Hier gibt man den Rahmen vor, zugleich wird aber auch ein Teil der planerischen Arbeit auf den Bewerber verlagert, Anm. der Red.)
WO! Ein ähnliches Problem hat man mit den Radwegen, die in der Regel an Fördergelder gekoppelt sind. Wenn die Bauprojekte nicht rechtzeitig umgesetzt werden, verfallen auch die Fördergelder….
Radwege werden nur dann gefördert, wenn ein Mobilitätskonzept vorliegt, das nachweist, dass dadurch der Individualverkehr abnimmt, was wiederum den Ausstoß von CO2 mindert und wofür es dann die Fördergelder gibt.
WO! Aber ist das dann nicht nur verlängerter Wahlkampf von CDU und SPD, wenn solche geplanten Projekte des Worms-Plans in der Praxis vermutlich gar nicht umgesetzt werden?
Im Gegenteil. Es ist sogar genau festgelegt, wann dies umgesetzt werden soll. Das macht es für Sie als Journalisten sogar noch einfacher, weil Sie die Parteien darauf festnageln können.
WO! Aber wäre es nicht besser, ein wenig auf die Bremse zu treten, anstatt unnötige Hoffnungen zu schnüren?
Die Verwaltung hat die Aufgabe, die Vorgaben des Stadtrates umzusetzen. Jetzt bin ich als Oberbürgermeister sowohl Vorsitzender des Stadtrates, als auch Chef der Verwaltung. Persönlich komme ich aus der Verwaltung; zwar nicht der Stadtverwaltung, aber der Polizeiverwaltung. Andererseits bin ich auch schon seit 20 Jahren im Stadtrat, was mich durchaus geprägt hat. Zuletzt haben der Rat gegen die Verwaltung, und die Verwaltung gegen den Rat gearbeitet – dabei geht zu viel Energie verloren. Meine Aufgabe ist es nun, Rat und Verwaltung zusammenzuführen, damit beide gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten.
WO! Es entsteht der Eindruck, dass sich die Verwaltung durch Entscheidungen des Stadtrats unter Druck gesetzt fühlt. Wie wollen Sie erreichen, dass die Kommunikation zielorientierter verläuft?
Ende November habe ich zwei Tage für ein Seminar vorgesehen, an dem die Bereichsleiter/innen als Vertreter der Verwaltung und der Stadtvorstand teilnehmen. Am ersten Tag werden diese beiden Gruppen darüber sprechen, wie die Kommunikation verbessert werden kann. Acht Tage später findet der zweite Tag statt, an dem zusätzlich die Mitglieder des Haupt- und Finanzausschuss als Vertreter des Stadtrates teilnehmen. Auch hier lautet die Fragestellung, wie wir es zukünftig schaffen, gemeinsam auf ein Ziel zuzuarbeiten. Mir ist allerdings klar, dass zwei Tage lediglich ein Einstieg sein können.
WO! Oft hat man den Eindruck, dass besonders bei Ausschusssitzungen eher polemisch diskutiert wird!
Früher waren die Ausschusssitzungen nicht öffentlich, da wurde tatsächlich anders miteinander geredet. Da wurde auch mal sehr deutlich über Probleme gesprochen, ohne dass die Gefahr bestand, dass das Gesagte am nächsten Tag in der Zeitung steht. Der Umstand, dass die Sitzungen mittlerweile öffentlich sind, führte dazu, dass deutlich mehr „Schaufensterreden“ gehalten werden. Es ist eine neue Situation, in der die verschiedenen Gruppen lernen müssen, wieder miteinander zu reden.
WO! War es dann nicht vielleicht ein Fehler, als die CDU und die SPD bei einem Seminar den Worms-Plan entwickelten, ohne Mitarbeiter aus der Verwaltung zu involvieren und stattdessen externe Impulsgeber einzusetzen?
Als Vertreter der Verwaltung waren zumindest die Dezernenten dabei, während die Impulsgeber einen Blick von außen auf die Fragestellungen werfen sollten. Es ist sicher auch so, dass viele bei der Stadt den Worms-Plan zwischenzeitlich als Zieldokument wahrnehmen. Als ich vor kurzem mit den beiden Dezernenten Hans-Joachim Kosubek und Uwe Franz und Vertretern der Feuerwehr über die Neuplanung der Hauptfeuerwache sprach, verwies ein Vertreter der Feuerwehr darauf, dass im Plan stehe, dass bis 2024 die neue Feuerwache auf dem Salamandergelände fertiggestellt sein sollte. Ich habe dann interveniert und darauf verwiesen, dass dies lediglich ein Konzept der Koalitionäre ist, das keinen bindenden Charakter hat. Auch in der Verwaltung ist mir dieses Denken begegnet.
WO! Kann man sagen, dass das ein großartiger Marketingtrick war, politische Ziele bereits als bestehende Tatsachen zu formulieren?
Solange die Mehrheiten im Stadtrat so bleiben, könnte es durchaus sein, dass die Ziele tatsächlich so verfolgt werden. Allerdings würde ich mir wünschen, wenn in den gemeinsamen Sitzungen auch die kleineren Fraktionen auf die Ziele Einfluss nehmen und man einen Konsens findet. Ich war 20 Jahre lang Ortsvorsteher von Rheindürkheim. Dort wurden 95 Prozent aller Beschlüsse einstimmig gefasst. Natürlich sind dort die Mitglieder deutlich näher an den Fragestellungen, was es einfacher macht. Allerdings ist es auch mein Ansinnen als Oberbürgermeister, größtmögliche Übereinstimmungen hinzubekommen. Ein Beispiel hierfür ist der neue Haushaltsentwurf, der im Haupt- und Finanzausschuss mit großer Mehrheit, es gab nur fünf Enthaltungen, bestätigt wurde. Das ist ein gutes Zeichen. Auch in anderen Bereichen werde ich mich dafür einsetzen, gute Kompromisse zu finden. Natürlich wird es dann immer noch vorkommen, dass die Verwaltung sagt, dass sie sich das ein oder andere anders gewünscht hätte. Diesem Spagat zwischen Verwaltung und Stadtrat bin ich mir bewusst, auch weil ich beide Seiten sehr gut kenne.
WO! Es ist wahrscheinlich ratsam, als Oberbürgermeister zu erkennen, dass man auch selbst Bürger ist!
Ja, da ist meine Gesinnung. Ich muss immer wieder an eine Situation zurückdenken, als die Kanzlerin Angela Merkel bei einer CDU Tagung in Maria Laach (Klosteranlage in Glee/RLP, Anm. der Red.) zu Gast war, an der ich ebenfalls teilnahm. Am Ende wurde ein Foto gemacht, für das sich alle auf einer Treppe versammelten. Ganz vorne stand die Kanzlerin, ich stand wiederum ganz hinten. In der Zeitung stand dann, „Herr Kessel steht lieber ganz hinten“. Man hätte aber auch schreiben können, dass Herr Kessel lieber ganz oben steht, wo man alles überschauen kann.
WO! Als sie sich am Anfang der Verwaltung vorstellten, was hatten Sie da für ein Gefühl?
Ich nahm durchaus wahr, dass es zwei Stimmungen dort gab. Es war ja zu hören, dass nach dem Wahlergebnis nicht nur Freudentränen geflossen seien, ob das stimmt, weiß ich aber nicht. Es gab aber sicherlich Mitarbeiter, die mit dem Führungsstil meines Vorgängers einverstanden waren, andere wiederum fühlten sich nicht gehört.
WO! Was bedeutet das für Sie?
Ich habe in der kurzen Zeit, in der ich im Amt bin, gelernt, meine Vorstellungen deutlicher zu äußern, da z.B. ein kurzes Nicken missverstanden werden kann. Das führte dazu, dass mir ein Parteimitglied aus den eigenen Reihen vorgeworfen hat, dass ich keine eigene Meinung hätte. Da bin ich ganz klar ein anderer Typ als mein Vorgänger. Ich brauche nun mal meine Zeit, um mir ein Urteil zu bilden und höre erstmal den verschiedenen Personengruppen zu.
WO! Uns würde Ihre Meinung zur Mobilitätsentwicklung in Worms interessieren! Wie könnte der Verkehr der Zukunft besonders in der Innenstadt aussehen?
Prinzipiell hat die Innenstadt den Vorteil, dass alles sehr dicht beieinander liegt, weswegen es auch einen Parkring gibt. Man muss aber sagen, dass viele Wormser die Parkhäuser nicht nutzen, was dazu führt, dass, obwohl das Parkhaus am Dom noch nicht eröffnet ist, die Häuser über viele Kapazitäten verfügen. Ich persönlich bin der Meinung, dass besonders für den Bereich um den Marktplatz eine Verkehrsberuhigung nötig ist. Wie die allerdings aussieht, kann ich im Moment noch nicht sagen. Ein Problem ist sicherlich auch die Verkehrsproblematik an schönen Wochenenden im Wormser Wäldchen, dem man möglicherweise mit der Einführung von Shuttle Bussen begegnen kann. Wie wir das umsetzen ist allerdings die Frage, da das erste schöne Wochenende nicht unbedingt planbar ist. Was auf jeden Fall kommen wird, sind sogenannte Fahrradstraßen. Die erste Straße wird die Speyerer Straße sein. Hierfür liegt auch ein entsprechender Antrag für den Stadtrat vor.
WO! Zur Innenstadt gehört auch der Ludwigsplatz und die darunter befindliche Tiefgarage. Wie geht es mit diesem Ort weiter?
Was die Tiefgarage angeht, so haben wir als Stadt drei Möglichkeiten. Die Sanierung ist hiervon jedoch die teuerste Variante und würde mit rund 28 Millionen Euro zu Buche schlagen, ohne die jährlichen Folgekosten. Zuschütten wäre deutlich günstiger und der Platz könnte dann auch wieder genutzt werden. Das Problem sind jedoch die Dauerparker, die zuvor im Parkhaus Friedrichstraße parkten und die dank eines wohl sehr guten Notars Verträge mit der Stadt haben, in denen die sich verpflichtet, Parkplätze anzubieten. Derzeit laufen auch noch Gespräche mit der ITG (Betreiber der Kaiser Passage, Anm. der Red.), die jedoch in erster Linie nicht an zusätzlichen Parkplätzen interessiert ist, sondern daran, dass der Ludwigsplatz wieder für Veranstaltungen genutzt werden kann. Grundsätzlich muss geklärt werden, ob wir das Parkhaus noch brauchen oder ob wir die wegfallenden Plätze an anderer Stelle kompensieren können.
WO! Herr Kessel, wir danken Ihnen für das nette Gespräch!