Seit wenigen Tagen sind die Festspiele vorbei. Das Publikum war zu- frieden, das Presseecho stimmte und auch wir konnten uns im Anschluss an das zweieinhalbstündige Stück redaktionsintern darauf einigen, dass „hildensaga.ein königinnendrama“ sicherlich zu den besten Aufführungen der Ära Nico Hofmann gehörte. Im Vergleich zu Vontobels Inszenierung zu „Siegfrieds Erben“ wirkte das aktuelle Stück allerdings deutlich überladener. Warum? Das können Sie hier nachlesen.

Die Erwartungshaltung war groß. Mit dem Bewusstsein eines großen Bilderstürmers aus- gestattet, scheute der Schweizer 2018 nicht den Einsatz von modernster Videotechnik. Der Videokünstler Clemens Walter sorgte schließlich für das Bild, das am Ende die Vorstellung überragte und in den Köpfen zukünftig mit Roger Vontobel gleichgesetzt wurde. Sich dessen bewusst, scheute er auch diesmal nicht das große Theaterkino, machte sich dabei aber auch zum Sklaven der eigenen Bilder. Das wurde vor allem im letzten Drittel mehr als deutlich. Um die Bilder in diesem Jahr zu toppen, ließen sich Regisseur und Bühnenbildner Palle Steen Cristensen zudem ein besonders imposantes, wenn auch optisch zunächst minimalistisch aufgeteiltes Bühnenbild einfallen. Statt den klassischen Brettern, die die Welt bedeuten, hieß es auf der Bühne, Land unter! Wo in den Vorjahren eine Bühne stand, befand sich nun ein riesiges Wasserbecken, gefüllt mit rund 100.000 Kubik Liter, beheizt auf 30 Grad. Eine nicht unheikle Entscheidung in Zeiten, in denen parallel aufgrund der Regenarmut zum Wassersparen aufgerufen wird. Für das Auge bot das Becken wiederum ein ungewöhnliches Setting. Begrenzt wurde die Wasserwelt links und rechts durch zwei Treppen, die zu einer kleinen Turmbühne führten. Immer nah am Geschehen dabei, ein Kameramann, dessen Bilder simultan auf zwei große LED Leinwände projiziert wurden. Damit war gewährleistet, dass auch in den hinteren Rängen die Zuschauer der Inszenierung folgen konnten. Zugleich sorgten die Leinwände auch für eine faszinierende Doppelung der Bilder, die besonders zur Geltung kamen, wenn die Figuren sich genau vor den Wänden positionierten. Mit der Akribie eines Choreografen arrangierte der Regisseur sein Personal immer wieder unter Ausnutzung der gesamten Wasserbühne, in die zudem ein beweglicher Steg integriert waren, sodass zuweilen auch ein Spiel ohne Wasserberührung möglich war. Das Wasser hatte wiederum unterschiedliche Tiefe, versteckt darin, weitere kleine Bühnen. Dramaturgisch war die Bedeutung des Beckens an die drei Akte angepasst. Zu Beginn stand das Becken für die wasserreiche Heimat der nordischen Amazone Brünhild. Im zweiten Akt wechselte die Bedeutung hin zur mondän, dekadenten Badelandschaft am Hofe des Wormser Königsgeschlecht der Burgunder. Nach der Pause wandelte sich die Bühne schließlich zur düsteren Sumpflandschaft, symbolhaft für jenen Ort, an dem Siegfried seinen Tod durch die Hand Hagens gefunden haben soll.

ALTBEKANNTE PFADEN UND EIN NORDISCHER GOTT

So eindrucksvoll auch das Spiel in der Wasserlandschaft geriet, so sehr konnte sich unser Rezensent nicht des Eindrucks erwehren, dass Vontobel als Theaterzauberer, der er ist, damit auch ein kleines Ablenkungsmanöver inszenierte. Denn inhaltlich hatte das Stück zunächst wenig Neues zu bieten, sodass das Auge fasziniert dem Wassertreiben in der heißen Sommernacht folgte. Verfasst von dem viel gelobten Theaterautor Ferdinand Schmalz, arbeitete sich dieser in den ersten knapp zwei Stunden an den üblichen Stationen der Nibelungensage ab. Siegfried lernt Brünhild kennen und lieben, doch es bleibt beim Flirt. Siegfried kehrt schließlich wieder zurück, im Schlepptau die Burgundersippe. Man trifft sich zum Dreikampf oder besser zur kurzweiligen Wasserschlacht, reist nach Worms, heiratet – und schließlich kommt es zu dem folgenreichen Verrat. Sich der Prämisse bewusst, nutzt Schmalz die bekannte Handlung als Grundlage für wortmächtige Monologe, die die altbekannte Geschichte mit Bedeutung aufladen sollten. Unterstützt wurde dies dadurch, dass sich der Autor die Freiheit nahm, einen Ausflug in die nordische und wagnerianische Mythologie zu unternehmen, in dem er das Figurenpersonal um drei Nornen (Schicksalsschwestern) und Gott Wotan erweiterte. Letzterer diente als Vater von Brünhild dazu, ein zentrales Thema dieses Abends zu unter- streichen, nämlich gewaltbereite toxische Männer. Wotan wünschte sich eigentlich nichts mehr, als dass seine Tochter einen kraftvollen Mann findet, dem sie sich unterwerfen soll. Da diese überhaupt nicht daran dachte, sich dem Hünen Siegfried un- terzuordnen, strafte er sie mit einer fragwürdigen pädagogischen Entscheidung. Brünhild soll den erstbesten Mann ehelichen, der um sie wirbt und im Dreikampf besiegt – und das war dann eben der Wormser König Gunter. Der entpuppte sich einmal mehr in der Festspielhistorie als verwöhntes Adelssöhnchen mit einer sexuell unentschiedenen Ausrichtung. Es kam schließlich, wie es bei den Nibelungen eben kommen muss. Auch wenn sich der Heldenmelancholiker Siegfried zunächst zierte, sich der Königssippschaft zu unterwerfen, fügte er sich seinem Schicksal und beteiligte sich an der Vergewaltigung Brünhilds. Das, wir wissen es alle, führt unausweichlich in die Katastrophe. Wer nun allerdings glaubte, den weiteren Verlauf der unheilvollen Schicksalsgemeinschaft zu kennen, wurde jedoch von Roger Vontobel und Ferdinand Schmalz eines Besseren belehrt. Waren es in den vergangenen Jahren stets nur leere Versprechungen der kreativen Köpfe der jeweiligen Inszenierung, die Geschichte in eine andere Richtung zu lenken, ließ Schmalz erzählerische Taten folgen und verschmolz seine beiden Hildes sozusagen zu Schwestern im Geiste, die zu Racheengeln mutier- ten. Ermöglicht wurde dieser inszenatorische Kniff durch die Schicksalsschwestern. Optisch als Pseudopunks mit Vokuhila und Tattoo-Anzug verkleidet, beschlossen diese, in den bekannten Ablauf der Geschichte einzugreifen und ermutigten Brünhild und Kriemhild dazu, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

EIN HERZ FÜR BRÜNHILD

Anmerken muss man allerdings, dass Schmalz‘ Herz eindeutig stärker für die toughe und mehrfach gedemütigte Brünhild schlug. Genija Rykova dankte es wiederum mit einer starken, intensiven darstellerischen Leistung und wechselte mühelos von einer raubtierhaft selbstbewussten Brünhild hin zu einer gebrochenen Frau, die sich dennoch nicht ihrem Schicksal ergeben mochte. Bewundernswert war aber auch ihr Körpereinsatz. Wie keine andere Figur aus dem Ensemble, musste sich Rykova immer wieder vom Anfang bis zum Ende 16 Tage lang in die Fluten vor dem Wormser Dom stürzen, ohne dabei etwas von ihrem darstellerischen Elan zu verlieren. Während Brünhilds Figur im Laufe des Stücks eine charakterliche Entwicklung durchlaufen konnte, wurde den weiteren Rollen deutlich weniger Tiefe zugestanden. Präzise gesagt heißt das, sie waren letztlich eindimensional und dienten lediglich als Stichwortgeber für bestimmte Momente oder waren die Lautsprecher des Autors und dessen Ansinnen, auch einen Kommentar zur aktuellen Weltlage beitragen zu wollen. Wotan und Hagen wurden so reduziert auf machtvolle alte Männer, die entsprechend in ihren Monologen über das Wesen von Macht und Gewalt sinnierten. Siegfried schwankte wiederum zwischen heldischem Selbstbewusstsein und der Melancholie, unter all seinen Gewalttaten zu leiden. Kriemhild war, wie üblich, das verwöhnte Adelstöchterchen, das davon träumte, dem starren höfischen Korsett zu entkommen, in- dem der Rhein am besten die ganze Burg weg- spült. Immerhin durfte sie sich am Ende im Schatten von Brünhild dezent emanzipieren, um schließlich kläglich durch einen Speer Hagens zu sterben. Gunter war, wie oben beschrieben, der übliche dekadente Königsspross mit einer gewaltigen psychopathischen Note. Und seine Brüder? Die waren einfach nur da. Gunter war die „Lästerschwester“ vom Hofe und Giselher, wie gewohnt, der verweichlichte Adelsspross. Dessen Funktion war es lediglich, von Bruder Gernot ermordet zu werden, damit man ihn als Köder nutzen konnte, um bei der „wilden Jagd“ Brünhild und Kriemhild aus ihrem Versteck zu locken. Das Erstaunliche dabei war, dass es den Darsteller/innen dennoch gelang, ihren Figuren genug Leben einzuhauchen, sodass man gebannt den mitunter etwas pathetischen Ansprachen lauschte. Zwischen all den bedeutungsvollen Dialogen, die dem Zuschauer sagen sollen, dass man es hier mit relevantem Theater zu tun hat, weiß Vontobel auch um die Sehnsucht des Publikums nach dem Spektakel, für das man schließlich ebenso Geld bezahlt. Die „wilde Jagd“ lieferte schließlich das, was die Zuschauer nach knapp zwei Stunden erwarteten.

GEMETZEL UND EIN PSYCHEDELISCHER BILDERSTURM

Seit an Seit sich ins Gemetzel stürzend, fanden sich nach der Pause die beiden Hildes inmitten eines düsteren Märchenwaldes wieder. Dieser wurde Stück für Stück mit Hilfe modernster audiovisueller Gimmicks auf die ehrwürdige Mauer des Doms und in die Gehörgänge der Zuschauer gezaubert. Doch Vontobel erzählte kein Märchen, sondern in den letzten 45 Minuten eher einen Alptraum, der zuweilen einem „Tanz der Teufel“ näherstand als Wagners Ring Epos. Blut floss, suchende Taschenlampen durchschnitten die Nacht, während der Wald bedrohlich wuchs, sich göttliche Fratzen aus den Mauern schälten (Mario Adorfs Special Guest Auftritt), verzweifelte Protagonisten durch die Sumpflandschaft robbten und sich dabei immer tiefer in ihrem Schicksal verhedderten, bis Dom, Wald und Wasserwelt zu einer Vorhölle mutierten, aus der letztlich nur wenige lebend zurückkehrten. In diesen Momenten hatte sich das Stück von seinem feministischen Ansatz verabschiedet und zu einem kritischen Kommentar zur Spirale von Gewalt und Gegengewalt gewandelt. Wohl- wissend, dass alle Protagonisten dem Untergang entgegenschritten, entließ das Stück am Ende sein Publikum mit dem Eindruck, dass die Zukunft nichts Gutes für uns bereithalten wird. Ganz in diesem Sinne schloss der Abend mit Brünhilds Worten: „Dort draußen lauern wölfische Zeiten!“

FAZIT: Es ist das Bestreben der Wormser Nibelungen Festspiele, neben eindrucksvollem Theaterspektakel auch eine politische Relevanz haben zu wollen, was oft dazu führt, dass dieser Anspruch bleiern auf den Schultern der Stücke wog. Auch „hildensaga.ein königinnendrama“ litt zuweilen unter diesen Ambitionen. Dennoch muss man am Ende resümieren, dass Vontobel es einmal mehr verstand, mit einer Rhythmus betonten Inszenierung zwei Wochen lang spektakuläres Theater mit eindrücklichen Bildern zu bieten.

Text: Dennis Dirigo Foto: Andreas Stumof