17. Oktober 2018 | Dreifaltigkeitskirche Worms:
Wenn es einen Musiker in Deutschland gibt, der dem Bild des durch und durch linken, provokanten, aber ehrlichen Musikers gerecht wird, dann ist das der in München geborene Liedermacher Konstantin Wecker. Dass sich das in all den Jahren nicht geändert hat, bewies der 71-jährige Musiker eindrucksvoll in der Dreifaltigkeitskirche. Dort spielte er ein Konzert vor rund 900 begeisterten Gästen.
Wecker gefällt sich in der Rolle des Poeten, der dem Volk immer wieder „predigt“, wie wichtig es ist, mit Hilfe der Poesie Widerstand zu leisten. Ganz dieser Haltung des moralisch überlegenen Bildungsbürgers verpflichtet, eröffnete der Liedermacher diesen Abend mit einer zeitgemäßen Version seiner „Gespräche mit Willy“, jene teilweise gesprochenen, teilweise gesungenen Worte, die unter Fans seit 1977 Kultstatus genießen. In der Version 2018 dreht sich das fiktive Gespräch natürlich um Flüchtlingsbewegungen („9 von 10 Flüchtlingen leben in Entwicklungsländern und vor was fliehen die denn? Du weißt das, Willy! Vor unseren Waffen, vor unseren Spekulationen, vor unserer Ausbeutung der Erde!“). Durchsetzt wurden die Passagen, zur besonderen Unterstreichung der Wichtigkeit dieser Zeilen, vom druckvollen Pianospiel Weckers höchstpersönlich. Es ist sicherlich richtig, was der Barde in dieser rund 10-minütigen Eröffnung sprach, doch es hinterlässt dennoch den Beigeschmack des Gutmenschen, der den anderen erklären möchte, wie die Welt zu funktionieren hat. Das Problem ist hierbei, dass er die Zuhörer an diesem Abend längst nicht mehr überzeugen muss, die auch dementsprechend bei jeder Gedankenpause begeistert seine Worte beklatschen.
Umso positiver, dass Wecker schließlich den Blick auf sich selbst richtete. Plötzlich klang der „singende Anarchist“, wie er sich selbst nennt, verletzlich und nahbar. Immer noch bewegt davon, als er mit 50 Jahren zum ersten Mal Vater wurde, singt er über den „Glanz in den Augen des Kindes“, der zeigt, wie sehr wir uns im Laufe des Älterwerdens von etwas Wunderbarem entfernen und die Welt am gnadenlosen Funktionalismus erstickt. Passend dazu die Betrachtung, dass wir in einer pubertären Gesellschaft leben, die so tut, als könne sie nicht älter werden, aber längst das wahre Kind in sich verloren hat. Faszinierend auch seine Schilderungen darüber, wie er seine Leidenschaft für Poesie entdeckte. „Die Schule war es bestimmt nicht“, sagte er und schlug vor, dass Deutschlehrer Schauspielunterricht nehmen sollten, um die wahre Schönheit von Gedichten vermitteln zu können. Im Falle von Wecker waren es seine kulturaffinen Eltern, die ihn an klassische Musik und Philosophie heranführten. Musikalisch hatte es dem jungen Wecker besonders Franz Schubert angetan, den er an diesem Abend gleich zweimal huldigte. „Liebesfloh“ schrieb er als musikalische Reminiszenz an den österreichischen Komponisten und schilderte zugleich darin das elektrisierende Gefühl seines späten Liebesglücks. Der Fundus, aus dem der Poet schöpfen kann ist gewaltig. In seiner rund 50 Jahre währenden Karriere veröffentlichte er 23 Studioalben, 25 Bücher, schrieb einige Musicals und Filmmusiken und veröffentlichte zahllose Essays.
Das musikalische Gewand an diesem Abend war reduziert und ganz der Nachdenklichkeit verpflichtet. Gesang, Piano, Cello und gelegentlich dezentes Orgelspiel reichten aus, um den authentischen Songs musikalisches Leben einzuhauchen. Begleitet wurde er von dem Jazzpianisten und Organisten Jo Barnikel, mit dem er seit 40 Jahren gemeinsam Musik macht und der Cellistin Fany Kammerland, die ihn bei dem Song „Weil ich dich liebe“ auch gesanglich unterstützte. Es war eine mehr als zweistündige nachdenkliche Werkschau eines Mannes, der die Höhen, aber auch die Tiefen des Lebens durchwandert hat. Der als Aktivist manches Mal den mahnenden Zeigefinder ein wenig zu hoch erhob, dem man aber nie nachsagen konnte, sich selbst untreu gewesen zu sein. Am Ende des Abends verließen die Zuschauer die prachtvolle Kirche am Markplatz mit der Gewissheit, ein ganz besonderes Konzert erlebt zu haben.
Fazit: Ein Abend, der manchmal einen Hauch zu moralisierend daher kam, aber stets das eindrucksvolle Zeugnis eines Künstlers war, der, ohne Frage, zu den wichtigsten in Deutschland gehört.