09. bis 11. August 2019 | Worms Innenstadt:
Text: Dennis Dirigo, Lydia Bender, Frank Fischer
In diesem Sommer zeigte sich das Wetter ob seiner Launen als große Herausforderung für Besucher und Veranstalter, auch beim diesjährigen „Jazz und Joy“. Am Ende ließ sich resümieren: zweimal Regen, einmal Sonne. Am Besucherandrang änderte das, laut Aussage der Veranstalter, nichts. 20.000 Menschen sollen an den drei Tagen zwischen den fünf Bühnen flaniert sein. Während das Wetter dennoch für viel Nass und kühle Abende sorgte, konnte man an dem Musikprogramm kaum was mäkeln.
Längst ist das Festival seinen Wurzeln, in erster Linie ein Festival für Jazzmusik sein zu wollen, entwachsen. Zwischenzeitlich sehen die Veranstalter das Drei-Tages-Festival als Event für jung und alt, und so wirkte das Programm an diesem Wochenende, als könnte es auch unter dem Titel „Ein Kessel Buntes“ firmieren. Bevor Funk-Legende Pee Wee Ellis die Bühne am Weckerlingplatz betrat, war es zunächst an den Wormser „Wahl-Kölnern“ Dirk Beiersdörfer und Alex Günter gelegen, auf der Volksbankbühne am Schlossplatz das erste Konzert zu spielen. Schlagkräftige Unterstützung erhielten sie von Markus Dröger. Unter dem Namen BANKERT UND KAFRUSE gewannen sie im vergangenen Jahr diverse Preise. Warum, davon konnte man sich bei diesem Konzert ein Bild machen. Garniert mit verschiedenen Cover Versionen von Klassikern wie „Rhinestone Cowboy“ spielten sich die Drei durch ihren bewährten Stilmix aus Rock’n’Roll, Blues und Country. Zu den melancholischen Texten gesellte sich passenderweise im Laufe des Konzertes der Regen. Mit dem PEE WEE ELLIS FUNK ASSEMBLY steuerte das noch junge Jazz & Joy-Festival ab halb zehn seinem ersten Höhepunkt entgegen. Der 78-jährige Ellis, der lange Zeit für James Brown musizierte, hatte sich, getreu dem Motto „ich lade gern‘ mir Freunde ein“, gleich mal ein kleines Funk Orchester mitgebracht. Von Anfang an drückten die Musiker aufs Tempo, als gelte es, dem immer stärker werdenden Regen musikalisch zu trotzen. Während im überdachten Bereich vor der Bühne das explosive Funk und Soul Gemisch zündete, machten sich im hinteren Bereich des Weckerlingplatzes immer mehr Regenschirme breit. Die Stimmung fiel buchstäblich ins Wasser. Am virtuosen Spiel der hoch professionellen Musiker änderte das indes nichts.
PEE WEE ELLIS Fans konnten bereits samstags ein weiteres Mal in den Genuss der Künste des Star-Saxofonisten kommen. Am Platz der Partnerschaft bestritt er, gemeinsam mit den Ausnahmekünstlern DANNY GRISSETT (Piano) und CHRISTIAN DIENER (Bass), ein weiteres Konzert. Das Trio spielte in dieser Formation speziell für Jazz & Joy. Im Gegensatz zu dessen „Funk Assembly“ hatte der rüstige Senior in diesem Trio deutlich mehr Raum, mit seinem Können das Publikum zu beeindrucken – und den nutzte er auch. Jazzstandards wechselten sich ab mit Evergreens wie „I Feel Good“, bei dem er auch gleich das Publikum zum Mitmachen animierte. Bevor der Tonmeister jedoch die Bühne betrat, gehörte diese dem Nachwuchs. Den gab es in Person von JAN FELIX MAY und seiner Band. Die studierten Musiker überzeugten mit einem komplexen Set, das musikalisch kaum Berührungsängste zeigte. Nach einem fast schon trügerischen Einstieg mit der Ballade „May Love“, bei der das Trio stimmlich durch eine Sängerin ergänzt wurde, zeigten die talentierten Musiker, was sie unter Fusion Jazz, elektronischer Musik und Progressive Rock verstanden. Immer wieder wechselte das Tempo und damit die Stimmung, dennoch bekam jeder Musiker den nötigen Freiraum, um dem jeweiligen Stück eigene Akzente zu vermitteln. An der Jugendherberge machten indes die Wormser Jungs von SCHAUDINGER durch ihren infernalischen Bandsound auf sich aufmerksam. Allerdings führte dies auch dazu, dass die Besucher sich nur zaghaft der Bühne näherten. War das Eis erst mal gebrochen, füllte sich schließlich der Platz zunehmend und der ein oder andere ließ es sich auch nicht nehmen, bei bestem Wetter ausgelassen vor der Bühne zu tanzen. Tanzen war auch das Gebot der Stunde bei BUKAHARA, deren musikalischer Kosmos nur schwer greifbar ist. Bei Wikipedia gibt es hierzu die schöne Definition Kölner Neofolk- und Weltmusikband. Die studierten Musiker aus Köln pendelten in ihrem einstündigen Konzert gekonnt zwischen Reggae, Gipsy und klassischen Songformaten. Das Erstaunliche daran war, dass das Programm dennoch nie zerrissen oder bemüht wirkte, sondern dank des kraftvollen Spiels der Musiker, zu denen auch Brass-Spieler und Streicher gehörten, den zahlreichen Zuschauern ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Ein Blick auf die Bandbesetzung erklärt auch schnell diesen wohlklingenden Musikcocktail, zehrt doch der Bandsound von den unterschiedlichen kulturellen Hintergründen der Musiker. Die Einflüsse von LIONLION sind vielleicht nicht ganz so vielseitig, dennoch begeisterte das Quartett mit seinem muskulösen Alternative-Rock. Fast fühlte man sich, als befände man sich beim Maifeld Derby-Festival im benachbarten Mannheim. Eingängige Melodien, kompakt in Szene gesetzt mit treibenden Gitarren, mit stimmungsvollem Satzgesang und einer pulsierenden Rhythmussektion, sorgten für musikalische Kurzweil. Ein ganz besonderes Schmankerl für Wormser Musikfans gab es ab 19:30 Uhr auf dem Weckerlingplatz. Dort spielte die Band AFRODISIA. 1978 von dem in Worms lebenden Darnell Stephen Summers gegründet, sorgte die Reunion bereits beim Rheinland-Pfalz-Tag im vergangenen Jahr für nostalgische Verzückung. Die Besetzung hatte zwar mit der Urbesetzung an diesem Tag nur noch wenig zu tun, der Freude des Publikums tat dies allerdings keinen Abbruch. Gedämpft wurde die Freude jedoch durch eine zurückhaltende Abmischung, sodass die Musik auf den hinteren Plätzen eher den Charakter eines begleitenden Soundtracks hatte.
Die Highlights des Festivalsamstag waren schließlich MAX HERRE, ebenfalls auf der Sparkassen Bühne, und DE-PHAZZ auf der Volksbank-Bühne am Weckerlingplatz. Beide Top Acts sorgten nicht nur für gelungene Konzerte, sondern auch dafür, dass der Jazz & Joy-Samstag der erfolgreichste Tag des Festivals gewesen sein dürfte. Die beiden größten Plätze waren zumindest ab 22 Uhr bestens gefüllt. Die Uhrzeit war dann auch zugleich der kleine Wermutstropfen, den die Besucher schlucken mussten. Wollte man beide Künstler sehen, musste man damit vorlieb nehmen, jeweils nur einen Teil zu sehen. Unabhängig davon lieferten die unterschiedlichen Acts tolle Konzerte. Wie schon Bukahara und Jan Felix May lässt sich auch die Heidelberger Formation De-Phazz in keine musikalische Schublade stecken. Soul, Jazz, Elektro, Drum’n’Bass gehören hier genauso selbstverständlich dazu wie Pop oder Blues. Schnell verbreiteten die Musiker eine chillige Atmosphäre, von der man sich gerne einnehmen ließ. Max Herres Heimat ist vor allem deutschsprachiger Rap. Damit wurde er erfolgreich und sorgte bereits 2013 bei Jazz & Joy für kollektive Begeisterung. Zugleich stammt auch aus dieser Zeit sein letztes musikalisches Lebenszeichen. Nach siebenjähriger Tonträgerabstinenz ist Herre derzeit in Deutschland unterwegs, um sein neues Album „Villa auf der Klippe“ vorzustellen. Selbstverständlich kredenzte er auch in Worms dem Publikum ein paar Stücke daraus, wie den Titel „Athen“, den er gleich zu Beginn spielte. Das Stück weckte im Sound Erinnerungen an die sphärischen Klangflächen von Pink Floyd, gepaart mit eigenwilligem Sprechgesang, wollte aber ob einer seltsamen Distanziertheit nicht wirklich begeistern. Bis der Funke übersprang, dauerte es auch eine Weile. Erst im letzten Drittel, als Herre einen Überraschungsgast präsentierte und zugleich die Hitdichte größer wurde, stieg die Stimmung merklich an. Als Überraschungsgast beehrte Herres Ehefrau, die bekannte Musikerin JOY DENELANE, das Festival. Große Gefühle gab es sodann mit dem Duett „1ste Liebe“ und „Esperanto“, einem der großen Hits aus der Zeit mit dem Musikerkollektiv Freundeskreis. Den ganz großen Hit gab es natürlich am Schluss. „A.N.N.A.“ wurde dementsprechend vom Publikum textsicher begleitet.
Eine heiße Jazz-Matinee erwartete die Besucher am Sonntagmorgen auf dem Weckerlingplatz. Dort bescherte die Band mit dem umständlichen Namen SOUTH WEST OLDTIME ALL STARS zu Saumagenburger und Rieslingschorle dem Festivalsonntag ein erstes Stimmungshoch. Ganz dem New Orleans Jazz verpflichtet, erweckten sie die unverwüstlichen Klassiker von Louis Armstrongs Hot Five/Hot Seven mit berstender Spielfreude zu neuem Leben. Im begleitenden Werbetext zum TRIO PATUA wird erklärt, dass das Wort Patua für ein Amulett steht, das gute Stimmung verbreitet. Das tat dann auch das Jazz Trio ausgiebig. In eine musikalisch ganz andere Kerbe schlug das Duo KLIFFS mit melodiösem Elektropop, der sich unaufgeregt in die Ohren schmeichelte. Für wenig Begeisterung sorgte aber vor allem der erneut einsetzende Regen im Laufe des Konzertes, der zu Beginn des Abschlusskonzertes am Weckerlinplatz zunächst wieder aussetzte. Dort hatte es sich der brasilianische Soulgigant ED MOTTA auf der Bühne bequem gemacht, um mit seiner samtenen Stimme das Publikum zu betören, während die Band mit ihrem leisen, aber feinen Groove ansetzte, das Publikum zu verführen. Leider wurde diese Verführung durch erneute Regenschauer unterbrochen, sodass sich ein Teil des Publikums noch vor Ende des Konzertes auf den Weg machte, das Trockene zu suchen.
Fazit: Musikalisch zeigte sich das Festival frisch und abwechslungsreich. Newcomer sorgten dafür, dass man als Besucher jede Menge Neues für seine Playlist entdecken konnte, während große Namen wie Ed Motta und Pee Wee Ellis dafür sorgten, dass auch die Traditionalisten unter den Jazz & Joy-Besuchern auf ihre Kosten kamen. Kritik gab es zum Teil über willkürlich erscheinende Entscheidungen des Sicherheitsdienstes. So wurde Besuchern am Schlossplatz der Zugang mit Waffeleis oder auch Currywurst verweigert, mit der wechselnden Begründung, dass diese nicht auf dem Platz gekauft worden seien oder andere Besucher beschmutzen könnten. Der Höhepunkt war freilich die Umdeutung eines Waffeleises als potentielle Waffe! Hier ist sicherlich mehr Fingerspitzengefühl gefragt. Fraglich ist auch die kommerzielle Entwicklung des Festes. Die künstlerische Entwicklung stimmt indes. Und das will was heißen, in einer Zeit, in der Konzertgagen immer weiter in die Höhe steigen und der Markt mit immer neuen Festivals überschwemmt wird.