Am Anfang sitzt ein singender Hase! Mit wachen Augen schaut er einen an, als wolle er, wie der weiße Hase bei „Alice in Wunderland“, seinen Betrachter dazu auffordern, ihm in sein Wunderland zu folgen, das sich inmitten der Weinberge am östlichen Rand von Abenheim befindet. Das Wunderland hört auf den Namen „Abenheimer Skulpturenweg“ und lädt bereits seit elf Jahren zum Entspannen und Genießen ein.
Gestaltet wurde der Hase, der am Wegesrand auf einem Stein kauert, von der Künstlerin Carmen Stahlschmidt. Inspiriert wurde sie zwar nicht von Lewis Carroll und seinem Klassikerroman, sondern vielmehr von dem französischen Komponisten Eric Satie und dessen Aussage: „Hörst Du den Hasen singen?“ Zugleich gehört der Hase untrennbar zur Kulturlandschaft Rheinhessens, die ebenso geprägt ist von Weinbergen und unzähligen Hochständern. Die dienten in den 60er Jahren als „Wingertschützen“ zur Starenabwehr, ehe sie durch Selbstschussanlagen ersetzt wurden. Die teils rostigen Ständer inspirierten Ilse Kron-Weber und Ulrich Volz dazu, ein in dieser Region einmaliges Kunstprojekt zu initiieren. Der Inspiration folgte ein Konzept, das zunächst auf Skepsis stieß, die schließlich in Begeisterung umschlug. Nach drei Jahren Vorbereitungszeit wurde der Skulpturenweg, der vom Abenheimer Heimatverein 1953 betrieben wird, im Jahr 2009 eröffnet. Von Trommeln und rund 200 Neugierigen begleitet, wurden zunächst zwei Kunstwerke aus einer Gruppe von rund 20 Künstlern ausgewählt. Die gaben zugleich einen kleinen Vorgeschmack darauf, was in den nächsten elf Jahren folgten sollte. Während die Skulptur des Wormser Künstlers Eckhard Schembs, „Wonnefrau“, ebenso entspannt wie anmutig über den Weinbergen thront, spaltet ein Star mit wuchtiger Imposanz das Schützenhäuschen in luftiger Höhe und wird somit zum Angreifer gegen das auf ihn gerichtete Abwehrsystem. Auch für dieses zweite Kunstwerk, „Traum der Stare“, konnte man einen namhaften Künstler gewinnen, nämlich den Berliner Bildhauer Detlef Rohrbach.
Ilse Kron-Weber, die Kunst studierte, betont, dass es nicht alleine darum geht, einfach Kunst in der Natur auszustellen, sondern dass die Skulpturen auch in Beziehung zu dieser stehen, insbesondere natürlich mit dem Thema Wein. Das kann auch mal abstrakt sein, wie bei den „Turmspringerinnen“, die 2011 eingeweiht und von dem Künstler Andreas Helmling geschaffen wurden. Zwei Frauenkörper stehen im Handstand kunstvoll auf der Kanzel des Hochständers, bereit zu einem gewagten Sprung in das Rebenmeer. Konkreter wird das Thema in der Figur, die einfach „Sohn“ heißt – ein junger Mann in sportlicher Kleidung, der auf dem Rücken eine Butte trägt und damit an eine Zeit erinnert, in der die Trauben noch von Hand gelesen wurden. Insgesamt ist der Skulpturenweg im Laufe der elf Jahre auf elf Anlaufpunkte angewachsen, die man auf einem rund vier Kilometer langen Rundweg bestaunen kann. Nicht alles wurde jedoch von gegenwärtigen Künstlern geschaffen, manche Attraktionen stehen bereits seit Jahrhunderten an ihrem Platz und wurden dadurch zu stillen Zeitzeugen. So ist die St. Michaelskapelle auf dem Klausenberg mit ihrer Kreuzwegstation ein Herzstück des Weges, das zugleich einen Ausblick über die weitläufigen Weinberge und den Ort gewährt.
Unweit von diesem historischen Bauwerk entfernt befindet sich auch der „Tisch des Weines“. Kein Kunstwerk im eigentlichen Sinne, vielmehr ein Ort, den man zusätzlich zu den Werken geschaffen hat, um dort ein wenig zu verweilen oder mit anderen Besuchern ins Gespräch zu kommen. Denn Kunst lebt nicht nur vom Betrachten, sondern auch vom Dialog über selbige. Dass man eine Wandergruppe dort antrifft, ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, insbesondere an sonnigen Wochenendtagen, da sich am Skulpturenweg verschiedene andere Pfade kreuzen. So erzählt Ilse Kron-Weber voller Stolz, dass man bei der Planung des Rheinterrassenwegs vor ein paar Jahren und kurze Zeit später bei der Planung des Lutherwegs den Abenheimer Kunstweg bewusst integrierte. Ebenso streift die Strecke den beliebten Pilgerpfad „Jakobsweg“. Wer nicht auf eigene Faust losziehen möchte, hat natürlich die Möglichkeit, eine Führung mit Ilse Kron-Weber, die jede Menge Details zu den einzelnen Objekten parat hat, zu buchen. Nicht minder beliebt sind Führungen, die die zahlreichen Abenheimer Winzer anbieten und natürlich mit einer Weinprobe ihrer wohlschmeckenden Rebensäfte verbinden. Manche haben sogar eine kleine Liegewiese angelegt, wie das Abenheimer Weingut Cleres. Auf der privaten Fläche lädt eine freischwingende Holzliege zum partnerschaftlichen Entspannen ein.
Wo viele Menschen sind, besteht natürlich auch die Gefahr, dass die Landschaft darunter leidet. Aber auch hier haben Volz und Kron-Weber nur Positives zu berichten und beobachten, dass die Besucher deutlich respektvoller mit der Natur umgehen als in früheren Zeiten. Natürlich hat das alles seinen Preis, denn Kunst kostet eben auch Geld. Große Teile dieses ehrgeizigen Projekts wurden hierbei über die Kasse des Heimatvereins finanziert. Dankbar ist man aber auch für die tatkräftige Unterstützung der Stadt Worms, insbesondere der Kulturkoordination sowie Sponsoren, wie dem Abenheimer Ralf Lottermann, der den zehnten Geburtstag finanziell unterstützte. Geht es nach dem Willen von Ilse Kron-Weber und Ulrich Volz wird der Weg in den nächsten Jahren noch ein wenig wachsen. Als nächstes plant man aber erst mal, die Kunstwerke mit einem QR Code auszustatten, sodass man sich per Smartphone die Beschreibungen in drei Sprachen (deutsch, englisch, französisch) anhören kann. Selbstverständlich gehört zu einem Kunstprojekt in den Weinbergen auch ein entsprechender Tropfen. Den gibt es in Form des Skulpturenweins, auf dessen Etiketten verschiedene Objekte verewigt wurden. Der Erlös kommt dabei ausnahmslos diesem ganzen besonderen Weinwanderweg zugute.