Die Energiekrise und ihre Auswirkungen
Es ist nichts weniger als eine Zeitenwende, in der wir uns befinden. Allerdings anders, als Bundeskanzler Olaf Scholz dieses Wort in seiner Rede bezüglich der bundesdeutschen Reaktion auf Putins kriegerischen Grenzübertritt in die Ukraine verwendete. Münzte er die Wende auf den Umgang mit der Bundeswehr, ist für den Bürger eher die Energiekrise eine Zeitenwende.
Zwar profitieren derzeit noch viele Verbraucher/innen von langfristigen Verträgen, doch spätestens, wenn diese enden, dürfte für viele der Preisschock eintreten. Wie der aussehen kann, das musste vor kurzem ein der Redaktion bekannter Wormser erfahren. Gemeinsam mit Kind und Frau lebt er in einem 120 Quadratmeter großen Haus und bezahlte bisher 190 Euro Abschlag für den monatlichen Gasbedarf. Vor
wenigen Monaten folgte schließlich die erste Anhebung der Rate auf 280 Euro und dann kam der Schock. Satte 1.321 Euro soll zukünftig die Kleinfamilie für ein warmes Eigenheim zahlen. Damit verbunden die Frage, wie man solche Preise zukünftig stemmen soll? Die
Antworten der Bundesregierung fallen bisher eher enttäuschend aus. In Anbetracht solcher Preise scheint die Energiepauschale von 300
Euro brutto wie ein blanker Hohn. Wie die Verbraucherzentrale Nordrhein Westfahlen ermittelt, liegt bei Gas die Preisspanne für Neukunden pro Kilowattstunde derzeit zwischen knapp 7 und 32 Cent. Grundsätzlich lohnt es sich derzeit mehr denn je, Preise zu vergleichen und sich womöglich für den Grundversorger zu entscheiden. In Worms ist das die EWR AG. Dort liegt derzeit der Preis für die Kilowattstunde bei 14,74 Cent. Aber auch hier ist bereits der Trend nach oben erkennbar. So lag der Preis im September 2021 noch bei 11 Cent. Was die Entwicklung angeht, so erklärt EWR-Pressesprecher PATRICK STEUERNAGEL auf Nachfrage von WO! diplomatisch: „Wir arbeiten derzeit an der Preisanpassung in der Grundversorgung. Eine Prüfung hinsichtlich einer Preisanpassung der Sonderprodukte läuft derzeit ebenfalls noch. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass auch wir die Preise erhöhen werden müssen“.
Energiesparen als Bürgerpflicht?
Doch nicht nur die Preisentwicklung birgt derzeit jede Menge dramatisches Potential. Waren es im vergangenen Winter noch die täglichen Inzidenzwerte, die die Nachrichten bestimmten, ist es in diesem Jahr der Füllstand des Gasspeichers. In den vergangenen Monaten haben sich die Speicher schneller gefüllt als erhofft. Doch das reicht nicht, um einen Notstand im Winter zu vermeiden. Da der Speicher ohnehin eine Reserve ist, reicht dieser rechnerisch aber nur für zwei, maxi-mal drei kalte Monate. Bei einem Treffen mit Wormser Unternehmen erklärte STEPHAN WILHELM (Vorstand ER AG), dass die Mangellage bereits eingetreten sei. Es sei deshalb unbedingt notwendig, die Auswirkungen der Energiekrise auf die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten. Das heißt, Energieeinsparungen im privaten Bereich sind ein wichtiger Beitrag, den jeder leisten könne, so der Tenor der Stadt. Bürgermeisterin STEPHANIE LOHR sieht zudem die gesellschaftlichen Folgen: „Wenn zu der Sorge um die steigenden Lebens- haltungskosten auch noch die Sorge um den Arbeitsplatz hinzukommt, kann die Stimmung in unserer Stadt kippen.“ Oberbürgermeister ADOLF KESSEL warnte dementsprechend ein- dringlich: „Es muss deutlich werden, dass es nicht nur darum gehen kann, die kälteren Monate in einem warmen Heim zu verbringen, sondern dass es für unsere Wirtschaft und damit für unseren Wohlstand um sehr viel mehr geht. Nur wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir durch diese Situation hindurchkommen.“ Die Stadt leistet ihren Beitrag, in dem auch in den städtischen Immobilien Energie gespart wird (siehe Interview mit Adolf Kessel WO! SEP 2022). Wie die Wohnungsbau erklärte, werden ab Herbst die Temperaturen in deren 600 Wohnungen tagsüber von bisher 22 auf 20 Grad und nachts von 18 auf 16 Grad gesenkt.
Keine Anzeichen der Entspannung
Klar ist allerdings auch, dass im Winter weiterhin neues Gas im deutschen Netz ankommen muss. Dass Russland seine Lieferungen wieder aufnimmt, glaubt indes niemand mehr. Insofern ist die große Unbekannte, ob es reichen wird oder nicht, neben dem Wetter auch der getätigte Verbrauch. Im Großhandel gibt es indes keine Anzeichen für eine Entspannung. Zuletzt bewegte sich der Preis für eine Megawattstunde Gas, sowohl im Tageshandel wie im Terminmarkt (dort werden die mittelfristigen Erwartungen gehandelt), deutlich über 200 Euro. STEPHAN WILHELM geht davon aus, dass die Krise noch zwei Jahre anhalten wird, ehe eine Entspannung eintritt. Allerdings gehen Experten davon aus, dass der Preis zu dem Niveau 2021 nicht mehr zurückkehren wird.
Strom droht ebenfalls teurer zu werden
Nach dem Gasmarkt ist der Strommarkt in den Blick der Öffentlichkeit geraten: Scheinbar ins Uferlose steigende und dann wieder kollabierende Notierungen an der Strombörse nähren die Befürchtung, dass den Stromkunden eine weitere Belastung droht. Auch hier zeigt der Markt enorme Schwankungen. Ein großer Teil des Stroms wird über langfristige Kontrakte gehandelt. Einmal vereinbart, ändert sich hier am Preis nichts mehr. Für eine kleinere Menge wird täglich oder sogar stündlich ein neuer Preis ausgehandelt. Da die Marktteilnehmer es nie exakt voraussehen, wie viel Strom sie an einem bestimmten Tag liefern können oder ihren Abnehmern zur Verfügung stellen, müssen Liefermenge und Bedarf täglich, ja stündlich ausgeglichen werden, sonst könnte ein Blackout drohen. Beeinflusst wird der Preis zudem von der Wetterlage, also wie viel Wind- und Sonnenstrom ins Netz gehen. Außerdem gibt es eine spekulative Komponente: Rechnet ein Stromerzeuger mittelfristig mit steigenden Preisen, wird er weniger Strom langfristig verkaufen, weil er auf satte Tagesgewinne hofft. Mit Schuld sind aber auch die Gaspreisentwicklung und die Verknappung des Stromangebots durch die Probleme des französischen Stromkonzerns EDF. Bereits seit Herbst 2021 ist ein deutlicher Anstieg zu beobachten, damals stieg der Preis für eine Megawattstunde über 100 Euro, was 10 Cent für die Kilowattstunde entspricht. Danach ging es – in einem wilden Auf und Ab – immer weiter nach oben, bis Ende August mehr als 700 Euro erreicht wurden. Zum 19. September lag der Durchschnittspreis für die Kilowattstunde in Deutschland bei 38,12 Cent. Für EWR Kunden lag dieser im September bei 32,39 Cent. Für die Preisentwicklung gilt ähnliches wie für das Gas. Experten prognostizieren, dass der Preis fallen wird. Das Zeitalter verhältnismäßig günstiger Energiepreise wird aber vorbei sein. Doch nicht nur die Preisentwicklung bereitet Sorgen. Mit der Verknappung des Angebots steigt auch die Furcht vor Stromausfällen. In einer Anfrage unseres Magazins, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es in diesem Winter in Worms und Umgebung zu einem größeren Stromausfall kommt, gibt EWR Pressesprecher STEUERNAGEL erstmal Entwarnung: „Grundsätzlich gehen wir nicht davon aus, dass wir große Probleme in unserem Stromnetz erwarten. Unsere Experten schauen sich derzeit jedoch vereinzelt Leitungsabschnitte an, um zu prüfen, ob hier gegebenenfalls noch Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die Leitungen weiter zu stärken.“ Wenigstens eine gute Nachricht für diesen Winter.
Text: Dennis Dirigo
Symbolfoto / Quelle Pxhere