Deutschland steuert auf ungewisse Monate zu, denn Millionen Menschen hierzulande wissen nicht, wie sie angesichts der explodierenden Energie- und Lebensmittelpreise  über den Winter kommen sollen. Dazu drohen Engpässe bei der Versorgung, Stromausfälle, Rationierungen, Produktionsstopps und als letzte Folge die Deindustrialisierung des Landes. Auf das Land kommt nicht nur eine Insolvenzwelle im gewerblichen, sondern ebenso im privaten Bereich zu. Ein Umdenken in der Politik ist dringend geboten.

Als am 20. Februar dieses Jahres Putins Russland einen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland Ukraine gestartet hat, war das Entsetzen in der westlichen Welt groß. Ohne näher auf die Entstehung dieses Krieges einzugehen, der natürlich auch mit der Nato-Osterweiterung und der Annektierung der Krim zu tun hat, war die nahezu einhellige Meinung in der Bevölkerung, dass man sich solidarisch mit der Ukraine zeigen müsse. Manche gingen sogar so weit, eine direkte Kriegsbeteiligung Deutschlands zu fordern, was aber glücklicherweise bis heute ausgeblieben ist, weil dieser Flächenbrand nicht mehr zu löschen gewesen wäre. Aber man wollte Russland zumindest wirtschaftlich treffen, darüber herrschte in der EU große Einigkeit. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen verkündete seinerzeit Wirtschafts- und Finanzsanktionen, um die Schwachstelle Russlands, nämlich die eigene Wirtschaft, zu treffen. Diese Sanktionen würden bedeuten, dass Russland praktisch abgeschnitten würde von internationalen Finanz- märkten. Derweil frohlockte Außenministerin Annalena Baerbock „Das wird Russland ruinieren!“, um erst kürzlich bei einem Staatsbesuch in Prag nachzulegen „Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gegeben habe, ‚Wir stehen an eurer Seite – so lange, wie ihr uns braucht‘, dann will ich das auch einhalten – egal, was meine deutschen Wähler denken.“ Baerbocks Äußerung bzw. eigentlich nur der letzte Halbsatz sorgte für Kritik in den Sozialen Medien, denn nach anfänglicher Zustimmung zu dem Anti-Russland-Sanktionskurs der Bundesregierung hat sich die Stimmung im Land zwischen- zeitlich gewandelt. Mehr als die Hälfte der Deutschen (ca. 55%) sehen den Wirtschaftskrieg gegen Russland kritisch und diese Mehrheit wird im Herbst noch einmal einen kräftigen Schub erhalten, wenn immer mehr Bürger die neuen Vorauszahlungsbeträge für Gas und Strom erhalten werden.

Sanktionen tragen absurde Züge

Vor allem aber haben sich die Sanktionen gegen- über Russland als wirkungslos erwiesen. Der Rubel ist stabil und die russische Wirtschaft brummt, weil Energieunternehmen wie Gazprom Rekordgewinne erzielen. Genau darin liegt auch die Krux an der Sache: Während Deutschland bis dato auf Rohstofflieferungen aus Russland angewiesen war, ist aber Russland nicht auf den Abnehmer Deutschland angewiesen. Alleine nach Indien und China verkauft Russland aktuell Energie im Wert von ca. 9 Billionen US-Dollar. In Deutschland hat man sich dafür entschieden, kein Gas mehr aus der Russen-Pipeline zu nehmen, weshalb man dieses beispielsweise über Afrika bezieht, das sein Gas wiederum aus Indien und China erhalten hat. Im Endeffekt hat man also in Deutschland doch wieder russisches Gas, nur eben über einen Umweg, für den man einen deutlich höheren Einkaufspreis zahlen muss. An anderer Stelle präsentiert man Aserbaidschan als den neuen großen Gaslieferanten Europas und da ist es plötzlich egal, ob man es hier gleich mit einer ganzen Diktatorenfamilie zu tun hat, die es mit den Grenzen zum verhassten Nachbarn Armenien ebenfalls nicht so genau nimmt. Erst kürzlich war Bundeskanzler Olaf Scholz in Saudi-Arabien, das einen Angriffskrieg gegen den Jemen geführt hat, um dort um Energie zu bitten. Oder noch schlimmer: Man bezieht einen Teil seiner Energie über das giftige Fracking der Amerikaner, die ihr Gas anschließend alles andere als umweltbewusst mit Schiffen über den Ozean schippern. Da beißt die an den Tag gelegte Ideologie den grünen Grundwerten buchstäblich in den eigenen Hintern. Man muss sich sowieso fragen, wie viel Priorität das Thema Energiewende noch genießt, wenn laut EU-Taxonomie Energiequellen wie Atomstrom oder Erdgas neuerdings als nachhaltig eingestuft werden?

Deutsche oder amerikanische Interessen?

Die aktuelle deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik spiegelt in erster Linie amerikanische Interessen wider. Während in den USA die Energiepreise stabil bleiben und die amerikanische Energie- und Rüstungsindustrie blendend an dem Krieg in der Ukraine mitverdient, können deren politische Verantwortliche entspannt über den großen Teich schauen und dabei zusehen, wie sich die einstige Industriemacht Deutschland selbst zerstört. Denn machen wir uns nichts vor: Das russische Gas, das Deutschland über die Pipeline Nord Stream 1 bezogen hat, hat uns zum wirtschaftlichen Zentrum der EU gemacht. Dass Europa dadurch auf Augen- höhe mit den USA war, hat den Amerikanern nicht unbedingt geschmeckt. Von daher war es aus wirtschaftlicher Sicht keine clevere Entscheidung unserer Regierung, sich selbst seiner eigenen Versorgungssicherheit zu berauben. Was anfangs als Sanktion gegen Russland gedacht war, hat sich zu einer Sanktion gegen das eigene Volk entwickelt. Zu einer guten Politik gehört auch, dass man gemachte Fehler wieder korrigiert, wenn einem die Auswirkungen des eigenen Handelns bewusstwerden. Einfacher ist es jedoch, In?ation, Lieferengpässe und ausufernde Energiekosten auf den Aggressor Putin, der er zweifellos ist, zu schieben, um den öffentlichen Zorn der eigenen Bevölkerung, der zwangsläu?g kommen wird, ein Stück weit umzulenken auf den großen Feind aus Russland. Lange wird dieses Spiel aber nicht funktionieren, zumal immer mehr Menschen die Hintergründe des missglückten Wirtschaftsembargos verstehen. Denn Moral hin oder her, wenn der selbstzerstörerische Wirtschafts- krieg im Endeffekt das eigene Volk ruiniert, ist der Preis de?nitiv zu hoch. Wir verhindern mit den Wirtschaftssanktionen gegen Russland keine einzige kriegerische Handlung in der Ukraine. Gleichzeitig das eigene Volk damit zu ruinieren, hat nichts mit Solidarität zu tun, sondern erinnert eher an falsch verstandene Nibelungentreue.

Eine Umkehr in der deutschen Politik ist unumgänglich

Für die deutsche Wirtschaft bedeutet dies, dass energieintensive Unternehmen auf kurz oder lang unter den steigenden Energiekosten zusammenbrechen werden. Angefangen beim Metzger um die Ecke und endend beim Automobilzulieferer oder bei Hotelbetrieben. Wenn sich die Politik in den nächsten Wochen nichts einfallen lässt, wird eine drohende Insolvenzwelle nicht mehr aufzuhalten sein. Das unsägliche Gestammel unseres Wirtschaftsministers Robert Habeck in der Sendung von Sandra Maischberger zum Thema „Insolvenzen“ hat nicht unbedingt zur Vertrauensbildung beige- tragen, auch wenn er im Kern der Sache sogar Recht hatte. Eine Bäckerei, die aufgrund der hohen Energiekosten ein paar Monate keine Brötchen mehr backt und verkauft, ist nicht zwangsläu?g sofort insolvent, sondern erst in ein paar Monaten, wenn die weiterlaufenden Fixkosten eine Insolvenz unumgänglich machen. Oder aber der Staat greift, wie schon während der Corona Pandemie, unterstützend ein. Aber hoffentlich nicht in Form von Subventionen, die letztendlich nur dafür sorgen, dass Dax-Konzerne mit den staatlichen Hilfen ihre Bilanzen aufpeppen und ihren Anteilseignern höhere Dividenden zahlen, während der Mittel- stand weitestgehend leer ausgeht. Das würde nur den schon länger gewonnenen Eindruck bestätigen, dass die Politik in erster Linie an die Big Player denkt und weniger an den Mittel- stand, der gerne als „Rückgrat der Gesellschaft“ bezeichnet wird. Anders ist es nicht zu erklären, warum man Energieunternehmen oder Rüstungskonzernen (Deutschland ist weltweit viertgrößter Waffenexporteur) in Krisenzeiten Rekordgewinne ermöglicht, ohne diese Übergewinne zusätzlich zu besteuern, während man von den Bürgern, die als Opfer für den Ukraine-Krieg im Winter frieren und kalt duschen sollen, Enthaltsamkeit fordert. In Italien hat man eine Übergewinnsteuer eingeführt, die den Teil der Unternehmensgewinne von Energiekonzernen im Geschäftsjahr 2022, der die Gewinne des Vorjahres um mehr als 10 Millionen Euro übersteigt, zusätzlich einer Übergewinnsteuer von 25 Prozent unterwirft. In Deutschland soll der Verbraucher zusätzlich mit einer Gasumlage belastet werden, anstatt mit einer Strom- und Gaspreisbreme zu verhindern, dass nicht nur viele Unternehmen kollabieren, sondern auch zahllose private Haushalte.

Kaum Geld für die Bürger

Dass es zwar rumort, aber trotzdem bisher noch verhältnismäßig ruhig in Deutschland ist, liegt daran, dass viele Bürger immer noch denken oder eher hoffen, dass der Kelch irgendwie an ihnen vorübergehen wird. Dagegen sprechen die ersten Berichte über neue Gasabschlagszahlungen von Bürgern aus Worms, die diese ab Jahresende zu leisten haben. Wer bisher glaubte, sein solidarischer Beitrag zum Uk- raine Krieg bestünde aus einer moderaten Energiepreiserhöhung, sieht sich getäuscht, fällt doch für eine Familie mit eigenem Haus und Garten zukünftig die 3 bis 6-fache monatliche Summe für Gas an. Wohnen in Deutschland, sofern man es gerne etwas wärmer zu- hause hat, wird dadurch für viele Familien nahezu unbezahlbar. Vor diesem Hintergrund sind die im September ausgezahlten 300 Euro (brutto!) Energieprämie des Staates an Arbeitnehmer wahrlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch das vom Bund angekündigte Entlastungspaket für die Bürger wird nicht ausreichen, um die sozialen Folgen der Energiekrise abzufedern. Das wird nicht einfach mit einem Finanzminister Christian Lindner, der auf die Schuldenbremse des Bundes beharrt und gerne beteuert, dass man nun mal kein Geld für weitere „Geschenke an die Bürger“ habe, zumal die Corona-Pandemie den Staat schon sehr teuer zu stehen kam.

Viel Geld für die Bundeswehr

Dabei ist an anderer Stelle dann doch Geld da, um beispielsweise die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro aufzurüsten, damit Deutschland eine militärische Führungsrolle in Europa übernehmen könne, wie Verteidigungsministerin Lambrecht jüngst angekündigt hatte. Dazu gehört natürlich auch die Lieferung von Waffen und Panzern an die Ukraine, um einen Krieg zu verlängern, der tausende Menschen das Leben kosten wird und der im schlimmsten Fall noch weiter eskalieren kann. Die einzigen, die von einem Krieg pro?tieren, sind die Rüstungsunternehmen. Dabei wäre jeder Cent, der in die militärische Aufrüstung investiert wird, besser beim eigenen Volk aufgehoben – egal ob bei Privatpersonen oder Unter- nehmen, die allesamt in den nächsten Monaten um ihre Existenz kämpfen werden. Da fragt man sich schon, was in die einstige Friedenspartei, die Grünen, gefahren ist, aus deren Reihen am häu?gsten die Forderung nach einer militärischen Aufrüstung der Ukraine kommt? Wäre es nach einem halben Jahr kriegerischer Auseinandersetzungen nicht an der Zeit, nach diplomatischen Lösungen für einen Waffenstillstand zu suchen, anstatt den Krieg künstlich weiter zu verlängern? Wer argumentiert, dass man mit Putin nicht reden könne, wird aber auch akzeptieren müssen, dass man irgendwann mit ihm reden muss. Die Frage ist nur, wie viele Menschen bis dahin sinnlos sterben müssen? Von dem verstorbenen Altbundeskanzler Helmut Schmidt stammt der Satz: „Lieber tausend Stunden verhandeln, als eine Minute schießen…“ Vielleicht sollte man dieses Zitat mal Annalena Baerbock vorlegen.

 

Ein Kommentar von Frank Fischer

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