Vontobels erneuter Nibelungen Triumph
Nachdem die Festspiele mit den beiden letzten Inszenierungen „Überwältigung“ und „Luther“ weder die Kritik noch das Publikum überzeugen konnten, hofften die Verantwortlichen mit der Rückkehr von Roger Vontobel auf den Regiestuhl auf einen ähnlichen Erfolg wie 2018 mit „Siegfrieds Erben“.
Der Schweizer sorgte damals vor allem aufgrund seiner bildgewaltigen Sprache für viel Aufsehen, insbesondere der Einsatz modernster Mapping Technik beeindruckte. Der Lohn waren damals viel Kritikerlob und ausverkaufte Festspiele. Ein schweres Erbe, dem der erfahrene Theaterregisseur 2022 erfolgreich trotzte. Mit Ferdinand Schmalz hatte man zudem einen Autor gefunden, der es verstand, dem oft erzählten Nibelungenlied neue Facetten abzugewinnen und den Darstellern wortmächtige Dialoge in den Mund zu legen. Das Ensemble dankte es wiederum mit intensiven Leistungen. Der wahre Star der diesjährigen Festspiele war jedoch die Bühne. Statt auf den Brettern zu spielen, die die Welt bedeuten, hieß es für die Schauspieler, in das Nass der Seebühne vor dem Wormser Dom zu springen. 100.000 Kubik Liter fasste die Swimmingpool-Bühne. Das stellte das Team vor die Herausforderung, neue, wasserdichte Mikrofone zu entwickeln. Am Ende der Festspiele wurde das Team rund um den Tontechniker Marius Feth für diese Leistung mit dem 10.000 Euro dotierten Mario-Adorf-Preis belohnt. Der bekannte Namensgeber des Preises hatte im Übrigen auch einen kleinen Auftritt in der Inszenierung, allerdings in Gestalt einer Computeranimation, die zur fortgeschrittenen Stunde auf den Dom projiziert wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Vontobel längst einen psychedelischen Bildersturm entfesselt, in dem ein düsterer Märchenwald zum Leben erwachte und die Nibelungen am Ende entweder tot oder wahnsinnig waren. Während die Darsteller nach zwei Wochen anspruchsvollen Schauspiels wahrscheinlich erleichtert waren, die nächsten Abende trocken verbringen zu können, zeigte man sich bei den Festspielen glücklich ob einer Auslastung von 95 Prozent.
Da bekanntlich nach den Festspielen vor den Festspielen ist, richtet sich allerdings der Blick schon wieder auf das kommende Stück. Das hört in diesem Jahr auf den Namen „Brynhild“ und feiert am 7. Juli 2023 seine Premiere. Nach über 20 Jahren Nibelungen Festspiele hat man für das Stück erstmals eine Autorin verpflichtet. Die Dramatikerin Maria Milisavljevi? konzentriert sich in ihrer Erzählung auf die erstmalige Begegnung von Sigurd (Siegfried) und Brynhild (Brünhild). Wie die Autorin bei einem ersten Pressetermin erklärte, orientiert sie sich bei ihrer Erzählung weniger am Nibelungenlied. Vielmehr möchte sie die nordischen Wurzeln der Sage tiefer ergründen und ausformulieren, was im Nibelungenlied nur angedeutet wird. Die Aufgabe, die Worte in Bilder zu fassen, hat die Regisseurin Pinar Karabulut. Damit befinden sich erstmals zwei Frauen an der Kreativspitze der Festspiele. Karabulut gehört derzeit zu den gefragtesten Theater- und Opernregisseurinnen im deutschsprachigen Raum. Für die Regisseurin, die für ihre poppig, bunte Bildsprache bekannt ist, ist es zugleich ihr Debüt, auf einer Open Air Bühne zu inszenieren.
Text: Dennis Dirigo Foto: Andreas Stumpf