Krisensitzung der „Letzten Generation“ in Worms
Zweifellos wurde mit den teils drastischen Protesten, mit denen Mitglieder der „Letzten Generation“ mit Klebeaktionen auf öffentlichen Straßenkreuzungen oder durch das Beschmutzen von Kunstwerken auf den Klimawandel aufmerksam gemacht haben, in kürzester Zeit eine große Öffentlichkeit erreicht. Das war und ist auch das erklärte Ziel der Gruppe. Zusammenkünfte, wie kürzlich in Worms, werden von den Aktivisten selbst als „Krisensitzungen“ bezeichnet. Ebenso sieht man sich längst nicht mehr als reine Jugendbewegung, sondern sei bunt gemischt durch alle Altersklassen.
Als Mitglieder der „Letzten Generation“ am 31. März in Worms zu einer „öffentlichen Krisensitzung“ über die Notwendigkeit und Aussichten von friedlichem zivilem Widerstand einluden, hielt sich das öffentliche Interesse in Grenzen, denn nur knapp ein Dutzend Zuhörer fanden den Weg in die Gymnasiumstraße. LEO ELGAS, der für die Letzte Generation Vorträge hält, stellte bereits im Vorfeld klar: „Unsere Regierung ist nicht willens, die einfachsten Maßnahmen zum Schutz unserer Lebensgrundlagen umzusetzen. Sie hält sich weder an das Pariser Abkommen, noch setzt sie ihre völlig unzureichenden eigenen Klimaziele um. Wir fordern daher einen verbindlichen Gesellschaftsrat, der erarbeitet, wie Deutschland bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe beendet. Ein Jahr friedlicher Widerstand hat uns gezeigt, dass immer mehr Menschen aktiv werden wollen. Wir weiten daher unseren Protest auf möglichst viele Orte in ganz Deutschland aus.” Leo Elgas, Letzte Generation.
In Worms trat der Schauspieler und Autor RAÚL SEMMLER als Sprachrohr der „Letzten Generation“ auf und ließ keinen Zweifel daran, dass die Zeit dränge und man keine Zeit mehr für Vorträge habe. Semmler ist übrigens hierzulande kein Unbekannter, spielte er doch 2014 bei den Nibelungen-Festspielen den Gernot unter der Regie des verstorbenen Dieter Wedel und ist nun seit fast einem Jahr Vollzeit-Aktivist bei der „Letzten Generation“. Für ihn ist klar, dass der Klimakollaps auf jeden Fall kommen wird, weshalb er auch kein Problem mit den Protestmethoden habe. Mit Demonstrationen oder Petitionen käme man nicht mehr weiter, da sich die Politik davon unbeeindruckt zeige. Stattdessen versuche man, auf friedliche Weise eine größtmögliche Störung der gesellschaftlichen Ordnung zu erreichen.
„Keine Erpressung!“, fordert die AfD
Bekanntlich hatten Mitglieder der „Letzten Generation“ in manchen Orten das Gespräch mit der Stadtführung gesucht und im Vorfeld mit einer Störung der öffentlichen Ordnung gedroht, sofern die Stadt die Forderungen der Klimaaktivisten nicht unterstütze. Städte wie Tübingen, Hannover oder Marburg taten dies und bekamen als Gegenleistung zugesichert, von öffentlichen Aktionen verschont zu bleiben. Die Ankündigung, dass die Klimakleber nun auch Worms ins Visier nehmen, rief wiederum standesgemäß die AfD auf den Plan, die sich diese „Erpressung“ nicht gefallen lassen will. Für die Stadtratssitzung Ende April stellte die Wormser Stadtratsfraktion der AfD den Antrag, dass der Stadtrat die Resolution „Keine Deals mit Klimaklebern“ beschließen solle: „Die Stadt Worms führt keinerlei Gespräche mit „Klimaklebern“, die versuchen die Stadt zu erpressen. Die Stadt Worms lässt sich nicht erpressen. Die Stadt Worms distanziert sich von den Methoden der Klimakleber. Die Stadt Worms weist die Forderung der Klimakleber energisch zurück, statt allein demokratisch gewählte Gremien über Klimamaßnahmen entscheiden zu lassen, Bürger- und Bürgerinnen Räte zu bilden, die über „Klimamaßnahmen“ beraten und entscheiden. Sollten Aktivisten der „letzten Generation“ versuchen, die Stadt Worms zu erpressen, lässt die Stadt Worms die strafrechtliche Relevanz des Vorgehens der Klimakleber prüfen und erstattet gegebenenfalls Anzeige.“ Leider fand die Stadtratssitzung, in der über den An- trag abgestimmt wurde, erst nach unserem Redaktionsschluss statt. Man muss aber kein Prophet sein, um zu erahnen, dass die meisten anderen Parteien im Wormser Stadtrat dies anders sehen werden. (UPDATE: In der Stadtratssitzung am 26. April zog AfD Stadtrat Ludger Sauerborn seinen Antrag zurück)
Kritik an den Full-Time-Klebern
Wie Raúl Semmler bei der Krisensitzung in Worms berichtete, sei die Anzahl der Mitglieder „Letzten Generation“ in den letzten Monaten sprunghaft gestiegen. Von anfangs knapp zwei Dutzend Personen sei die Bewegung mittlerweile auf einige tausend Mitglieder angewachsen. Einst hatten die Aktivisten der „Letzten Generation“ ihr Umweltengagement damit begonnen, dass man der Fonds womöglich reiche Leute stecken, die sich mit dem Thema Klimaschutz noch mehr die Taschen vollmachen wollen, ist wohl noch keiner gekommen. Denn auch das zählt zur Wahrheit: Im Kampf gegen den Klimawandel werden Regierungen weltweit in den nächsten Jahren Milliardensummen zur Verfügung stellen und es lauern überall Unternehmen, die nur dar- auf warten, einen Teil des großen Kuchens abzuschöpfen.
Zustimmung bröckelt
Aber unabhängig davon, wie sehr die Professionalisierung dieser Bewegung fortgeschritten ist, bleibt das Anliegen der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt und haltbare Lebensmittel aus Supermarktmülltonnen gefischt hatte. Mit zunehmender Bekanntheit verschob sich der Fokus zunehmend hin zum großen Ganzen, hatte man doch nun den welt- weiten Klimawandel im Visier. Zur Kritik an der Bewegung gehört auch, dass man es keineswegs nur noch mit Idealisten zu tun hat, die der drohenden Klimakatastrophe den Kampf an- gesagt haben, denn man kann als Klimaaktivist damit mittlerweile seinen Lebensunterhalt bestreiten. Wie die „Welt am Sonntag“ berichtete, wirbt die Gruppe gezielt Nachwuchs an für eine sozialversicherungspflichtige Festanstellung in „Vollzeit, Teilzeit oder auf 520-Euro-Basis“. Zu der Professionalisierung dieser Bewegung gehören auch interne Schulungsprogramme, wie man sich festklebt oder wie man gegenüber Kritikern der Maßnahmen argumentiert. Für die Berliner Innenministerin IRIS SPRANGER (SPD) geht es hierbei um einen „umfassend organisierten Zusammenschluss von Personen, die Straftaten begehen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen“. Dagegen stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz, das die Aufgabe hat, die Verfassung der Bundesrepublik zu schützen, die Klimaschutzbewegung derzeit nicht als extremistisch ein, auch wenn das Beschmieren eines Denkmals, auf dem die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland abgedruckt ist, mit Öl durchaus ein Statement ist. Dazu kommt ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Als ein Aktivist der Letzten Generation in Stern TV darauf angesprochen wurde, dass Lützerath das Ergebnis eines politischen Kompromisses gewesen sei, antworte dieser, dass man zivilen Ungehorsam leisten würde, wenn man eine politische Entscheidung nicht akzeptiere. Allerdings sollte man dann auch bereit sein, die rechtlichen Konsequenzen des eigenen Handels zu tragen und sich nicht die von den Gerichten verhängten Strafen durch Zahlungen aus Spendengeldern übernehmen lassen. Eine berechtigte Frage lautet deshalb, wer diesen kostspieligen Kampf gegen die Klimakrise überhaupt finanziert?
Die Finanzierung der Klimaaktivitäten
Die Arbeit der „Letzten Generation“ wird in erster Linie über Spenden finanziert, was mit zunehmender Bekanntheit auch höhere Spendenerträge zur Folge hatte – im letzten Jahr waren es über 900.000 Euro. Einen Großteil der Mittel für „Recruitment, Training und Weiterbildung“ erhält man aus dem Climate Emergency Fund, einem 2019 gegründeten kalifornischen Fond, der disruptiven, gewaltfreien Klima Aktivismus unterstützt und Organisationen bedient, die zivilen Ungehorsam in ihrer Strategie verankert haben. Eine Aktivistin wurde zitiert, dass in diesen Fond hauptsächlich reiche Leute einzahlen würden, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Auf die Idee, dass hinter den Geldgebern dieses kalifornischen Klimaaktivisten berechtigt. Ein Kernproblem ist jedoch, dass man mit den klimapolitischen Klebeaktionen im öffentlichen Straßenverkehr nicht die Hauptverursacher der Klimakatastrophe trifft. Diese sitzen in Firmenzentralen oder in Parlamenten und haben durch die zunehmende Industrialisierung und der damit einhergehenden Verbrennung fossiler Energien wie Braunkohle, Steinkohle und Erdöl dafür gesorgt, dass die doppelte Menge CO2 in die Atmosphäre gelangte, als es ohne Eingreifen des Menschen der Fall gewesen wäre. Unter den normalen Bürgern, denen man den Weg zur Arbeit oder zu einem wichtigen Termin versperrt, sind dagegen ganz viele, die in Sachen Klimaschutz ähnlich denken, aber damit einfach nur verärgert werden. Und das sollten auch Klimaaktivisten wissen, dass man keine Leute überzeugt, indem man sie nervt. Bevor die „Letzte Generation“ mit Protestaktionen auf sich aufmerksam machte, dürfte sie mit ihrem Anliegen gefühlt auf dreiviertel Zustimmung in der Bevölkerung gestoßen sein. In den letzten Monaten ist diese Zustimmung mehr und mehr gebröckelt, weil die Leute nicht mehr über den Klimawandel diskutieren, sondern einzig und allein über die Sinnhaftigkeit des Protestes.
Forderungen der Aktivisten
Von daher kann man es nur begrüßen, dass nun vermehrt auch konkrete Forderungen gestellt werden, wie man dem Klimawandel begegnen will. So fordern die Aktivisten der „Letzten Generation“ die Bildung eines „Bürgerrates“, der ausarbeiten soll, wie man bis 2030 die Nutzung fossiler Brennstoffe beenden will. Diesen Bürgerrat gibt es aber schon längst und nennt sich in Worms „Stadtrat“, worin Menschen sitzen, die von den Bürgern gewählt wurden, um die Politik der Stadt zu bestimmen. Zudem wurden bei der Krisensitzung in Worms der Ruf nach „Tempo 100“ oder einem „9-Euro-Ticket“ laut. Beides sind Maßnahmen, die durchaus diskussionswürdig sein, auch wenn klar sein dürfte, dass hierzu ein gesellschaftlicher Wandel nötig ist, der auf kurz oder lang einen Umstieg vom Auto hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln bedeutet. Für eine Stadt wie Worms heißt dies, dass man einen öffentlichen Nahverkehr anbieten muss, der auch attraktiv für potentielle Nutzer ist. Für die Mitglieder der „Letzten Generation“ gilt es in den nächsten Monaten darum, vermehrt Überzeugungsarbeit zu leisten, wozu es auch gehört, sich mit kritischen Stimmen auseinanderzusetzen und diese bestenfalls zu überzeugen. Vor allem aber sollte man in der Lage sein, einen demokratischen Mehrheitsbeschluss zu akzeptieren. Wenn dann aber offen zum Gesetzesbruch aufgerufen wird, zeigt dies, dass, gefangen im eigenen überlegenen Weltbild, offensichtlich jedes Mittel recht ist, um seine Überzeugung durchzusetzen. Das entspricht aber nicht dem Wesen einer Demokratie.
Kommentar: Frank Fischer