Die Stufen der Mikwe im Synagogengarten in der Altstadt hinabzusteigen, heißt, Geschichte zu sehen, zu spüren und zu atmen. Zugleich bedeutet es für das 1185/86 erbaute jüdische Ritualbad, mehr als 800 Jahre der Witterung ausgesetzt zu sein. Und das hat Folgen.
Die Wormser Mikwe wurde als Grundwasser-Mikwe erbaut und bis ins frühe 19. Jahrhundert rituell genutzt. Später wurde sie jedoch als Senkgrube für Abwasser zweckentfremdet, umgebaut und ihrer natürlichen Belüftung beraubt. So entstand ein extrem feuchtes Klima in dem Bad, das zu Schäden am aufgehenden Mauerwerk und zur Bildung von Schimmel und Grünbefall (Algen und Moos) führte. Deshalb ist die Mikwe schon seit 2016 für Besucher nicht mehr zugänglich. Damit sich das wieder ändert und der Erhalt der Mikwe gesichert ist, wird unter Aufsicht der Unteren Denkmalschutzbehörde und der Objektplanung Hochbau nun ein Gerät verwendet, das speziell für die Bedürfnisse in Worms angepasst wurde. Im Zuge wissenschaftlicher Untersuchungen des Schadens in der Mikwe, wurde für eine bauphysikalische Untersuchung eine temporäre Belüftungsanlage, die sogenannte „Weitwurfdüse“, eingebaut. Durch den Betrieb soll festgestellt werden, ob durch die Belüftungsanlage eine Verbesserung des Raumklimas erreicht werden kann. Die Düse, die auf einem früheren Lichtschacht der Mikwe installiert ist, saugt Außenluft ein, verteilt sie im Raum und stößt sie aus einem zweiten Schacht wieder aus. Oder wie Oberbürgermeister Adolf Kessel es für Laien erklärte: „Es funktioniert eigentlich wie ein Riesenfön“. Die eingebauten Sensoren messen die Belüftung im gesamten Raum und zeichnen die relevanten Werte auf. Entwickelt und gebaut wurde das Gerät passgenau für Worms von einem Münchner Büro für Bauphysik. Gesteuert und kontrolliert wird die Temperatur und Feuchtigkeit in der Mikwe per Smartphone, PC oder Tablet von München aus. Anberaumt ist die Testphase mit zwölf Monaten. Sollten die Testergebnisse nicht die gewünschten Ergebnisse liefern, ist ein erneuter Anlauf notwendig. Der Erhalt der Mikwe ist letztlich nicht nur aus historischer Verantwortung heraus wichtig, sondern gilt auch als verpflichtend für den Unesco-Welterbe-Titel. Schließlich ist die Mikwe ein wesentlicher Bestandteil des SchUM-Erbes.
BEDEUTSAMES BAUWERK
Parallel zu diesen Maßnahmen finden rings um die Mikwe Ausgrabungen statt. Diese wurden notwendig, nachdem man Mauerreste entdeckte, die womöglich auf den ursprünglichen Eingang zur Mikwe verweisen. Teile gehören zudem zu einem Gebäude, das im 19. Jahrhundert abgerissen wurde. Wie Aquilante De Filippo, stellvertretender Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde, erläuterte, hofft man, in den nächsten Monaten die Grabungen be- enden und damit die Gerüste und Planen wieder entfernen zu können. Danach soll die Fläche – wie bereits zuvor – begrünt werden, sodass der Synagogengarten wieder besucht werden kann. Die Mikwe selbst wird allerdings dann immer noch geschlossen sein. Die Mikwe in Worms gilt neben der in Speyer, die beim Bau als Vorbild diente, als eines der bedeutendsten Bauwerke aus romanischer Zeit im deutschen Sprachraum. Symbolisch stellt eine Mikwa die rituelle Reinheit her und steht per Definition für eine Neugeburt. Genutzt wurde sie vor dem Schabbat oder Feiertagen. Sie diente ausdrücklich nicht der körperlichen Reinigung, zu- mal Männer und Frauen sich vor dem Eintritt in das Badehaus gründlich waschen müssen. In Worms wurde das Bad bis Anfang des 18. Jahrhunderts gemeinsam genutzt. Danach wurde es für weitere 100 Jahre von Frauen weitergenutzt, ehe es von der jüdischen Gemeinde als „Kultbad“ aufgegeben wurde. Danach folgten Zweckentfremdung und Zerstörungen in der Reichspogromnacht 1938. Erst in den späten 50er Jahren wurde sie wieder zugänglich gemacht. Während die Mikwe in Speyer in den vergangenen Jahrzehnten bereits umfänglich saniert wurde, stehen dem historisch bedeutsamen Bauwerk in Worms noch spannende Zeiten bevor.
Text: Dennis Dirigo, Fotos: Andreas Stumpf