MIT GITARREN GEGEN DIE AUTOKRATIE
Kritik zum Konzert von „Bruce Springsteen & The E-Street-Band“
18. Juni 2025 | Deutsche Bank Park in Frankfurt: Den dritten Teil seiner 2023 begonnenen Welttour, die in diesem Sommer 16 Konzerte in Europa beinhaltet, hat Springsteen „Land of hope and dreams“- Tour genannt. Während der Boss jedoch in Amerika aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber dem aktuellen Präsidenten gut die Hälfte seiner Fans verloren hat, wird er in Europa mehr gefeiert denn je. Auch und gerade wegen seiner politischen Einstellung.
Nachdem bereits der Opener „No Surrender“ aufhorchen ließ, begann SPRINGSTEEN das Konzert in Frankfurt, wie auch in den anderen Städten, mit einer flammenden Rede, die auf den riesigen Leinwänden ins Deutsche übersetzt wurde: „The America that I love, the America that I’ve sung to you about, that has been a beacon of hope and liberty for 250 years, is currently in the hands of a corrupt, incompetent, and treasonous administration.“ Trumps Reaktion nach Springsteens ers- tem Konzert Mitte Mai in Manchester ließ nicht lange auf sich warten und seine wenig souveräne Antwort über die Sozialen Medien offenbarte einmal mehr, welch Geistes Kind derzeit das mächtigste Land der Welt wie ein Diktator regiert. Und während der eine gerade dabei ist, die Demokratie und Meinungsfreiheit abzuschaffen, reagierte Springsteen auf seiner Europatour mit der kämpferischsten Setliste seit Langem auf die Entwicklungen in seinem Land. In den letzten beiden Jahren beherrschten Themen wie Erinnerungen an alte Weggefährten, Freundschaft, Tod oder Vergänglichkeit seine Konzerte, diesmal ist der Boss politischer denn je („Gerade geschehen Dinge, die das Wesen der Demokratie in unserem Land verändern und die zu wichtig sind, um sie zu ignorieren“).
Bereits der zweite Song, „Land of hope and dreams“, war ein neunminütiges, flammendes musikalisches Plädoyer für die Grundwerte eines freien Amerika, in dem jeder sein Glück finden kann. Die neuen Songs in der Setlist, wie „Death to my hometown“, „Long Walk home“ oder das sogar eigens für Trump geschriebene „Rainmaker“, sind allesamt politisch aufgeladen, sogar das keineswegs glorifizierende „Born in the USA“ war als Zugabe nach langer Zeit mal wieder fester Bestandteil jeder Show. Aber bei aller Politik ließ es sich Springsteen zwischendurch nicht nehmen, ein obligatorisches Bad in der Menge zu nehmen, Hände abzuklatschen, für Selfies Modell zu stehen oder bei „Promised Land“ seine Mundharmonika an ein kleines Mädchen zu verschenken. Bei „Hungry Heart“ durfte das Publikum den Text weitestgehend alleine singen, und während das Stimmungspegel auf den Rängen auf seinen vorläufigen Höhepunkt zusteuerte, ließen die ersten Mundharmonikatöne von „The River“ die Fünfzigtausend verstummen und man hätte fortan eine Stecknadel fallen hören können.
In „House of a thousand guitars“ singt Springsteen: „The criminal clown has stolen the Crown, he steals what he can never own“. Und erneut wusste jeder, wer gemeint war. Auch das gospelartige „My City of Ruins“, das eigentlich im Nachgang zu „9/11“ entstanden war, passte mit seiner beschwörenden Hookline „Come on, Rise up“ zur aktuellen Situation in Amerika. Nach knapp 90 Minuten, die bei Springsteen gerade mal die Halbzeit seiner Konzerte einläuten, wurde die Politik hintenangestellt, schließlich war der Boss gekommen, um wieder einmal eine tadellose Rock’n’Roll Show abzuliefern, die selbstredend fast drei Stunden gedauert hat. Mit „Because the Night“ aus der Feder von Springsteen, das erst von Patti Smith ein Welthit wurde, begann ein furioses Finale, das nach „The Rising“, „Badlands“ (wo die Ohohohoho-Rufe der Besucher schier kein Ende nehmen wollten) und einem seiner besten Songs, „Thunder Road“, sein vorläufiges Ende fand.
Der Zugabenblock ist beim Boss traditionell Party pur und tatsächlich gehörte die letzte Dreiviertelstunde mit zum Stimmungsvollsten, was man diesen Open-Air-Sommer erleben wird. In einer Zeit, in sich manche Bands bereits nach zwei guten Alben zum Stadionrock berufen fühlen, hätten diese beim Boss eine Lehrstunde erhalten, wie man ein komplettes Stadion nicht nur füllt, sondern auch tatsächlich zum Ausrasten bringt. Ab dem Moment, als der überragende Drummer MAX WEINBERG bei „Born in The USA“ zum ersten Schlag auf die Snaredrum ansetzte, ging das volle Stadionlicht an, ein wahrer Energieschub durchzuckte die Fünfzigtausend und die folgenden Minuten fühlten sich an wie ein einziger Rausch. Bei „Born to run“ streckten jede Menge grauhaarige Männer ihre Faust in die Luft und skandierten lauthals „Tramps, like us, Baby we were born to run“. Anschließend winkten 100.000 Arme zum Abschied von „Bobby Jean“, „Dancing in the Dark“ verwandelte den Deutsche Bank Park bis in die oberen Ränge in eine Tanzarena.
Irgendwie gehörte es auch zur besonderen Dramaturgie des Konzertes, dass man nun ständig unfassbar gut gelaunte Menschen aus dem Publikum auf den Videoscreens sah, inklusive der E- Street-Band, der ihre Arbeit sichtlich Spaß machte. Und so wurden „Tenth Avenue Freeze out“ (mit Bildern auf der Videowall der verstorbenen Ex- Bandmitglieder Danny Federico sowie Saxofonist Clarence Clemons an seinem 14. Todestag) und „Twist & Shout“ geradezu episch zelebriert, ehe „Chimes of Freedom“ von Bob Dylan einen denk- würdigen Abend beendete.
Fazit: Eine 75-jährige Legende mit einer unfassbaren Energie mitsamt seiner grandios aufspielenden E-Street-Band brachten das Frankfurter Stadion zum Beben. Was für eine phantastische Show!
Text: Frank Fischer, Fotos: Dennis Dirigo