Autor: Frank Fischer
9. August 2013
Platz der Partnerschaft in Worms:
Wer im Vorfeld befürchtet hatte, das Wormser Wahrzeichen würde den missionarischen Religionseifer von Xavier Naidoo nicht verkraften, kann beruhigt sein. Der Wormser Dom stand auch nach dem Sonderkonzert von „Jazz & Joy 2013“ noch immer…
Um die Mittagszeit wurde die Presse vom Management persönlich angerufen, dass das Konzert eine halbe Stunde früher beginnt, weil der Künstler darauf bestand, 120 Minuten anstatt der vereinbarten 90 Minuten spielen zu wollen. Wie kann man so jemanden nicht mögen, der seinem Publikum mal eben 30 Minuten mehr schenkt, obwohl er das eigentlich gar nicht müsste? Denn das Konzert war sowieso ausverkauft und zwar bereits einen Tag nach der Ankündigung, dass Xavier Naidoo nach Worms kommt. Und dann kam er auf die Bühne, völlig unprätentiös, mit einem Outfit, das er vermutlich vorher noch schnell bei Engelhorn in Mannheim gekauft hatte. Nein, so einen kann man nicht unsympathisch finden, das bestätigen auch immer wieder Leute, die auf den gänzlich ohne Starallüren auftretenden Naidoo treffen. Und dass Mannheims berühmtester Sohn richtig gut singen kann und am Anfang seiner Karriere Songs geschrieben hat, die dank seiner begnadeten Stimme auch den kältesten Eisberg zum Schmelzen bringen, bestreitet ebenfalls keiner. Auch seine Begleitband, die diesmal nur als Quartett nach Worms gekommen war, dürfte über jeden Zweifel erhaben sein. Umso trauriger, dass diese wirklich exzellenten Musiker den immer gleichen Soul-R’n’B-HipHop-Mix spielen müssen, der seit mindestens den letzten drei Platten so innovativ ist wie ein Commodore-C64 im Zeitalter eines i-Phones. Das ist so ein bisschen wie Burger essen bei McDonalds. Schmeckt dir einer, schmecken alle, denn die Unterschiede sind sowieso nur in Nuancen auszumachen. Genauso wie bei Naidoos Liedern. Wer diese vor musikalischen Klischees nur so wimmelnde Musik mag, klopft sich vermutlich auch bei dem hundertsten abgestandenen Witz von Mario Barth zum Thema „die typisch deutsche Frau“ auf die Schenkel, weil er selbst ein Exemplar zuhause sitzen hat, das so ziemlich jedes weibliche Klischee erfüllt. Alle anderen schütteln ratlos ihren Kopf.
ABER….und ich kann diesbezüglich einfach nicht die Klappe halten – das Schlimmste sind nun mal die Texte, handelt es sich doch größtenteils um eine gruselige Ansammlung von religiösen Kalendersprüchen, „bitte-reim-dich, auch wenn’s noch so beschissen klingt“-Versen und Pseudo-Lebensweisheiten wie: „Alles kann besser werden, wir holen uns den Himmel auf Erden“, „Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen“ oder „Dieser Weg wird kein leichter sein“. Im Titelsong seiner neuesten CD rät Xavier: „Du musst dein Leben leben – oder dieses Leben macht mit dir was es will“. Da fragt man sich unweigerlich, ob das der Soundtrack für „Familien im Brennpunkt“ auf RTL sein soll? Scheiß drauf, dass dir schon wieder die Stütze gekürzt wurde, Hauptsache Xavier ruft dir hinterher: „Bitte hör nicht auf zu träumen von einer besseren Welt“. Ganz ehrlich, da beweist so mancher Grundschüler mehr Kreativität, wenn er ins Poesie-Album seiner Banknachbarin schreiben muss.
Um aber auf das Konzert zu kommen….
Es war wie bei so vielen Künstlern, die es irgendwann mal nach ganz oben geschafft haben und die nur noch ihren Status halten müssen. Bei den bekannten Liedern – zu den Höhepunkten zählten sicherlich „20.000 Meilen“, „Wo willst du hin?“ „Ich kenne nichts“ oder „Sieh mir noch einmal in die Augen“ – ist die Menge kollektiv ausgeflippt und der Platz der Partnerschaft hat zeitweise gebebt; bei den neuen Stücken herrschte gepflegte Langeweile, weil die aktuelle CD „Bei meiner Seele“ einfach grottenschlecht ist und vollkommen zu Recht von Musikkritikern quer durch die Republik in der Luft zerrissen wurde. Da konnte auch der Spontanauftritt von Moses P. nichts rausreißen, der – warum auch immer? – gefeiert wurde, als sei der Leibhaftige auf der Bühne erschienen. Erschwert wird das ganze Dilemma noch dadurch, dass Xavier Naidoo mittlerweile, dank seiner Präsenz in Formaten wie „The Voice of Germany“, derart tief im Mainstream verwurzelt ist, dass man auch in Zukunft nichts Großartiges mehr erwarten darf. Spätestens jetzt, wo auch die 12-jährige Jaqueline die Musik ihrer Mama hört, braucht er nur noch das eigene Erbe zu verwalten. Eine musikalische Weiterentwicklung oder wenigstens ein Versuch, mal aus dem üblichen Schema „F” auszubrechen, wäre ab hier zu viel verlangt. Wer das nicht glaubt, kann gerne mal Dieter Bohlen zu diesem Thema befragen. Der schreibt schon seit 30 Jahren immer den gleichen Song und die Leute kaufen trotzdem weiter fleißig seine Platten.
PS: Wenn ein Besucher eines Konzertes des selbst ernannten Hüters der Nächstenliebe zwei Frauen, die aufs Klo müssen, das nun mal dummerweise links von der Bühne war, anschreit: „Haut ab, hier kummt kääner durch – mir stehn schun zwo Stund do!“ spricht das eine ziemlich deutliche Sprache, was man von der Aufrichtigkeit dieser Veranstaltung halten kann…
Fazit: Ein Konzert mit Höhen und Tiefen, das in der Liste der teilweise fantastischen Sonderkonzerte in der zweiundzwanzigjährigen Geschichte von „Jazz & Joy“ einen soliden Mittelfeldrang einnehmen wird.