Für nicht wenige Menschen ist die Sache klar, die Wormser Innenstadt ist eine schmutzige Angelegenheit. Überall liegt Unrat. Neben den Bürgern, die den Müll verursachen, ist für viele Wormser dennoch der Schuldige klar, nämlich die Stadt, die zu wenig im Kampf gegen den täglichen Müll unternimmt. Doch wer kümmert sich eigentlich um den Unrat, wie oft passiert das und ist die Stadt wirklich so dreckig? Deshalb beschloss ich, meinen nächsten Arbeitseinsatz – nach meinem „Schnuppertag“ in der Kunsthandlung Steuer – in den Straßen von Worms zu verbringen. Wie fühlt es sich an, sich täglich professionell um den Müll anderer Menschen zu kümmern?
Für die Stadt bzw. die ebwo AöR, die die Müllbeseitigung im Auftrag der Stadt übernimmt, ist es eine Herkulesaufgabe, die oft Sisyphos‘ Bemühungen gleicht, einen Felsen immer und immer wieder hinaufzurollen. Vermeintlich am Ziel angekommen, entgleitet ihm der Stein und er muss von vorne beginnen. Abgesehen davon, dass der Königssohn dies als Strafe auferlegt bekam, muss sich die Arbeit der Reinigungstrupps in der Innenstadt ähnlich anfühlen. Gerade da das Müllthema ein Thema ist, zu dem jeder eine Meinung hat, ohne zu wissen, was im Hintergrund passiert. Doch bevor ich mir die bekannte orangefarbene Arbeitskleidung der ebwo überstreifen konnte, galt es erstmal, verschiedene Mails zu schreiben, eine Art Vorstellungsgespräch zu absolvieren, wieder Mails zu schreiben, zu telefonieren und schließlich die Arbeitskleidung in Empfang zu nehmen.
Zwei Tage sollten es sein, an denen ich die Reinigungstrupps begleiten wollte. Einmal in der Innenstadt sowie einmal in der Altstadt. Zudem wollte ich eine der wenigen Mitarbeiterinnen kennenlernen, die in rund einem Jahr ebenfalls den Besen schwingt und damit zeigt, dass auch Frauen Herausforderungen nicht scheuen, über die der ein oder andere vielleicht seine Nase rümpft. Zunächst führte mich mein Weg allerdings in die Innenstadt, genauer gesagt auf die Rückseite des Haus zur Münze, denn dort befindet sich der Treffpunkt der Straßenkolonne, die sich täglich um die Innenstadt kümmert.
Mit dem Reisigbesen durch die Stadt
Es ist früh, sehr früh, als mein Wecker klingelt, nämlich 4:30 Uhr. Um 5:30 Uhr soll ich schließlich die Kolonne treffen, die täglich ihren Weg durch die Fußgängerzone zurückliegt, um dem Slogan „Sauberes Worms“ zumindest für wenige Stunden gerecht zu werden, ehe ihre Mitbürger wieder beginnen, achtlos ihren Abfall zu verteilen. Es ist ein Montag, den ich mir als Tag ausgesucht habe. Denn in meiner Vorstellung muss es nach einem Wochenende gerade im Bereich des Bahnhofs besonders übel aussehen. Doch das Wetter hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht und den Mitarbeitern die Arbeit ein wenig erleichtert, denn das Wetter war zuvor schlecht. Dennoch bin ich gespannt, was mich erwartet. Die erste Überraschung erfolgt bereits bei meiner Ankunft am Treffpunkt der fünf Männer, die die Innenstadtkolonne bilden. Nach einer Vorstellung meinerseits bekomme ich zunächst mitgeteilt, dass mein Ansprechpartner noch nicht da ist und seinen Dienst später beginnen wird. Ganz pragmatisch werde ich von einem mir zunächst noch unbekannten älteren Mitarbeiter einem deutlich jüngeren Kollegen zugeteilt. Keine Zeit verlierend, geht es dann auch gleich schon mit einem Reisigbesen auf die Straße. Mein Begleiter ist Christian.
Christian ist der jüngste in der Truppe, was Alter und Zugehörigkeit angeht. Seit ca. fünf Monaten gehört er der Innenstadtkolonne an. Zuvor arbeitete er bereits seit mehreren Jahren für die Stadt Worms in verschiedenen Bereichen. Christian erklärt mir sodann den Arbeitsablauf. Jeder der Kolonne hat einen vorgegebenen Weg durch die Fußgängerzone. Die Aufgabe in der ersten Runde durch die Stadt ist es, Müll und Laub in die Mitte der Wege zu kehren, damit ein wenig später das Kehrauto selbiges aufnehmen kann. Während der Tag zu dämmern beginnt, ziehen wir bereits durch die Stadt. Das Tempo, das die Truppe vorgibt, ist erstaunlich hoch. Jeder Handgriff am Besen sitzt. Christian erklärt mir, dass es für Straßenreinigung eher unüblich ist, mit Reisigbesen zu arbeiten. Andere Städte machen dies mit herkömmlichen Straßenbesen. Auch wenn die vermeintlichen „Hexenbesen“ durchaus skurril aussehen, betont Christian, dass in diesen weniger Dreck hängen bleibt und man zudem damit gut in die Fugen der kleinen handverlegten Steine am Obermarkt oder am Lutherplatz kommt. Der Weg führt uns zunächst durch die Kämmererstraße. Anfangs scheint meine Vermutung zu stimmen, dass schlechteres Wetter auch weniger Müll Mülleimer, das hinderte aber offenbar die Freunde eines wärmenden Kaffees nicht daran, die Becher im Anschluss auf den Boden zu verteilen.
Ähnlich verhält es sich mit den verbliebenen Zigarettenresten. Doch während hier ein Besen noch hilft, soll sich später zeigen, dass insbesondere dieser Kippenmüll ein ganz besonderes Problem ist. Über den Ludwigsplatz geht es Richtung Parmaplatz und von dort durch die Wilhelm-Leuschner-Straße an den Busbahnhof. Auf unserem Weg entdecken wir auch arglos rumliegende Flaschen, die von Christian zertreten werden. Auf meinen verwunderten Blick folgt die Erklärung, dass intakte Flaschen das Kehrauto beschädigen natürlich kein Freibrief ist, Flaschen wahllos zu zerdeppern. Selbiges gilt für einen halbierten Tretroller, den wir am Busbahnhof entdecken. Wir räumen ihn zur Seite. Wie Christian ausführt, wird dieser beim zweiten Rundgang mitgenommen, wenn gezielt die Mülleimer geleert und kleinere Grünflächen gereinigt werden. Dazu gehört auch der Grünstreifen hinter den Bänken am Bahnhofsvorplatz. Während es vor den Bänken erstaunlich sauber aussieht, offenbart ein Blick ins Grüne kleine Schnapsflaschen, zahllose Taschentücher, achtlos weggeworfene Feuerzeuge und mehr. Doch das ist eben ein Fall für die zweite Runde. Nach rund zwei Stunden sind wir schließlich durch.
Kippen, immer wieder Kippen
Unterwegs begegnet uns in der Wilhelm-Leuschner-Straße ein nahezu unlösbares Problem, nämlich arglos weggeworfene Kippen rund um die Bäume, die diese Strecke säumen. Wegkehren ist nicht möglich, da die Kippen zwischen den kleinen Steinen um die Bäume kaum zu erreichen sind. Einzeln auflesen würde wahrscheinlich den ganzen Tag in Anspruch nehmen. Ernst, ein ande- rer Kollege der Kolonne, erzählt mir, dass man auch bereits mit Saugern versucht habe, diesen Dreck zu beseitigen. Das Problem hierbei, der Sauger saugt eben auch die Steine und die Erde auf. Für die Stadt ist das ein lästiges Problem. Während einer sogenannten „Kippenwoche“ sammelte man rund 6.000 dieser giftigen Hinterlassenschaften ein. Für mich eine unverständliche Handlung von Rauchern, zumal die ebwo AöR zwischenzeitlich auch vereinzelt transparente Aschenbecher aufgehängt hat und Aschenbecher „to go“ verteilte. Zunächst geht es aber erstmal wieder zurück.
Zwischenzeitlich ist auch mein Ansprechpartner Jürgen angekommen, der bereits seit mehr als 30 Jahren in den Straßen von Worms unterwegs ist, ebenso wie sein Kollege Ernst, mit dem ich nach der Frühstückspause auf Tour gehe. Ernst ist 60 Jahre alt und läuft bereits seit 27 Jahren dieselbe Strecke von Montag bis Freitag durch die Stadt. Und wer nun glaubt, dass die Innenstadt am Wochenende sich selbst überlassen ist, täuscht sich. Denn wie mir erklärt wird, sind auch Kollegen an diesen Tagen unterwegs. Zudem gibt es noch Sonderreinigungen auf Bedarf oder Bestellung. So erfahre ich, was passiert, wenn die zahlreichen Besucher von Jazz and Joy selig zuhause vom zurückliegenden Abend träumen. Denn danach gehören die Plätze den „Jungs von der Straßenreinigung“. Doch während Jazz and Joy an diesem Tag noch in der Zukunft liegt, ist der Müll vom Wochenende Gegenwart.
Ausgestattet mit Stoßeisen für Unkraut, Schaufel und Müllbeutel, säubern wir kleinere Grünflächen, während die größeren – wie der Lutherplatz – vom der Grüntechnik der ebwo AöR gereinigt werden. Dazu gesellen sich sechs kleinere Mülleimer, die nicht zu verwechseln sind mit den Müllsystemen, die noch unter der Erde über ein Auffangbecken verfügen. Am Ende der Tour haben wir stattliche 240 Liter gesammelt, also eine komplette Tonne voll. Angesprochen darauf, ob sich das Müllaufkommen verändert hat, bejaht dies Ernst. Inwiefern, das werde ich auf meiner nächsten Tour sehen. Zunächst verabschiede ich mich aber zur Mittagszeit. Einerseits fühle ich mich gut, meinen Teil zum sauberen Worms beigetragen zu haben, andererseits verändert es den Blick auf die gelebte Ignoranz vieler Mitmenschen. Vor allem aber bin ich müde nach diesem Tag.
Ein Vormittag in der Altstadt
Mein zweiter Tag führt mich um 6 Uhr morgens zur Hauptstelle der ebwo Aör am Hohenstaufenring, direkt neben der Feuerwehr. In Anbetracht der zahl- reichen Menschen, die bereits zur frühen Stunde um sechs Uhr das Gelände säumen, Müllautos und anderen Fahrzeugen, die vorgefahren werden, erscheint mir zunächst der Innenstadttreff der dortigen Kolonne wie eine kleine friedliche Enklave. Im Gespräch lerne ich ebenfalls Kollegen kennen, die sich seit vielen Jahren auf unterschiedliche Weise mit dem Müll beschäftigen. Auch lerne ich dort Yvonne kennen. Yvonne ist eine der wenigen Frauen, die in dieser vermeintlichen „Männerwelt“ zu finden ist. Wie sie mir sagt, ist sie im Oktober seit einem Jahr in Sachen Straßenreinigung unterwegs. Zuvor arbeitet sie 20 Jahre lang bei dem Handelsunternehmen Obi. Offen erzählt sie darüber, dass sich die Arbeit im Einzelhandel in den vergangenen Jahren gravierend verändert hat und es eine bewusste Entscheidung war, dem Handel den Rücken zu kehren, um zukünftig für die Menschen in Worms zu kehren. Eine ihrer Routen ist die Altstadt. Im Gegensatz zur Innenstadt wird diese allerdings nur einmal pro Woche abgelaufen. Aber auch hier gilt natürlich die Ausnahme von der Regel.
Bei dieser Gelegenheit erfahre ich von ihrem Kollegen Rolf, dass die Stadt in drei Reinigungsklassen aufgeteilt ist. Die erste Klasse gehört dem Bereich Fußgängerzone, also täglich. Bei der zweiten Klasse wird einmal pro Woche und bei der zweiten Klasse alle 14-Tage gereinigt. Insgesamt deckt die Kolonne, mit der Yvonne unterwegs ist, ein Gebiet von der Karl- Marx-Siedlung bis nach Rheindürkheim ab. Am Donnerstag, also jenem Tag, an dem ich mit Yvonne und Rolf unterwegs bin, ist die Altstadt dran. Auch hier geht es erstmal mit dem Reisigbesen durch die mit Kopfstein gepflasterten Gassen. Yvonne zeigt mir zu Beginn kurz, wie ich den Besen am besten halte – und schon geht es los. Es dauert nicht lange und Yvonne hat bereits einen ordentlichen Vorsprung. Es zeigt sich mal wieder, dass nicht alles, was einfach aussieht, auch einfach ist. Ebenso finde ich es interessant, dass ich in den verwinkelten Gassen der Altstadt mit einem auf den Boden gerichteten Blick immer mal wieder für einen kurzen Moment die Orientierung verliere und mich frage, wo ich bin, ehe meine Augen wieder ein vertrautes Schild (Hamburger Tor) oder Gebäude (Raschihaus) erblicken. Und auch hier pflastern Kippen unseren Weg.
Das Müllverhalten hat sich geändert
Immer wieder begegnet uns in den Gassen aber auch achtlos weggeworfener Unrat. Mancher Unrat ist notdürftig in eine Plastiktüte verpackt und anderer liegt einfach rum. So auch in der oft diskutierten Rheinstraße, wo ausgerechnet an einem Baum, an dem ein Schild mit „bitte hier keinen Müll ablegen“ befestigt ist, eben jener vorzufinden ist. Dieser wird allerdings nicht von uns entfernt, sondern später, wenn sich das Kehrauto seinen Weg durch die Altstadt bahnt. Eine unangenehme Hinterlassenschaft, die uns immer wieder begegnet, ist aber auch Hundekot. Doch nicht jeder Kot wird sofort beseitigt, wie mir Yvonne erklärt. So muss der frische erstmal liegen bleiben, da sonst die Exkremente sich im Besen verfangen würden. Zwar sei sie ziemlich ekelresistent, was in Anbetracht dieser Tätigkeit durchaus von Vorteil ist, aber das sei doch etwas unnötig Unangenehmes. Insofern kann dieser Unrat erst nach einigen Tagen beseitigt werden. Dabei sollte das eigentlich überhaupt kein Thema sein, da Hundehalter, ebenso wie Zigarettenraucher, dazu aufgefordert sind, diesen selbst zu beseitigen. Ansonsten droht ein Bußgeld, wenn man dabei erwischt wird. Doch Sie kennen das ja, wo kein Kläger ist…. Obwohl Yvonnes Altstadtgebiet flächenmäßig kleiner ist (es geht von der Judengasse bis zur Rheinstraße), als der Weg mit Christian durch die Innenstadt, sind wir mit dieser Reinigung ebenfalls rund 90 Minuten beschäftigt. Danach sammelt uns Rolf ein, der in dieser Zeit die andere Seite zwischen Rheinstraße bis zur Petersstraße gereinigt hat und mit einem ebwo-Transporter bereits wartet.
Im Anschluss geht es direkt weiter mit dem Leeren der Tonnen. Diese Tour führt uns bis hinaus ins „Väddel“. Insgesamt werden die orangenfarbenen Plastikmülleimer zweimal die Woche geleert. Während der Fahrt möchte ich von Rolf, der ebenfalls in Sachen Müllbeseitigung seit vielen Jahren in Worms unterwegs ist, wissen, ob sich das Müllaufkommen verändert hat. Ähnlich wie die Innenstadttruppe kann auch er dies nur bejahen. Tatsächlich sei es mehr geworden und vor allem habe sich auch die Art des Mülls verändert. So werden immer wieder Gegenstände, die eigentlich eher zum Sperrmüll gehören, vermehrt abgelegt. Die ebwo AöR und die Stadt versuchen mit zahlreichen Aktionen darauf aufmerksam zu machen. So gibt es längst die Möglichkeit, illegale Müllablagerungen telefonisch zu melden. Diese Meldungen gehen dann schließlich wieder unter anderem an Menschen wie Yvonne und Rolf, die sich mit vielen weiteren helfenden Händen darum kümmern, dass Worms irgendwie sauber bleibt. Während ich nun wieder an meinen Laptop zurückkehre, müssen die Frauen und Männer dieser Kolonnen weiterhin bei Wind und Wetter die Spuren des Alltags beseitigen.
Eine Reportage von Dennis Dirigo, Fotos: Andreas Stumpf , Dennis Dirigo