19. Januar 2019 | Gut Leben am Morstein in Westhofen:Sechshundert Mal spielte, besser gesagt versank der Wormser Schauspieler André Eisermann in den vergangenen zwanzig Jahren in der Rolle des jungen Werther, dessen Herz an einer unerfüllten Liebe leidet. Mitte Januar tat er das ein letztes Mal im ausverkauften Gewölbekeller von Gut Leben am Morstein.

Das Debüt dieser ungewöhnlichen Lesung, die nicht umsonst den Untertitel „Spoken Word Performance“ trägt, fand seinerzeit in Hamburg statt. Seitdem bereiste der Schaustellersohn gemeinsam mit dem Musiker Jakob Vinje die Welt, um diese an der Zeitlosigkeit von Goethes Briefroman teilhaben zu lassen. Mit seinen ausladenden Gesten, dem unverhohlenen Hang zu Theatralik, ohne dabei in barocken Kitsch abzudriften, schaffte es Eisermann, der Geschichte einen modernen Anstrich zu geben, fast ist man verführt, das Wort „Rock’n’Roll“ im Zusammenhang mit Eisermanns entfesselter Performance in den Mund zu nehmen. Passend hierzu wirkten sich die tropischen Temperaturen auf der Bühne aus, die den Mimen ungehemmt schwitzen ließen, sodass man als Zuschauer schon bald mitleidvoll dem Wimmern des Vortragenden lauschte und sich dabei wünschte, man hätte einen Ventilator dabei, um dem Leidenden Abhilfe zu verschaffen. Doch ehe es so weit kam, schien das Schicksal es doch noch gut mit Werther zu meinen. Eisermanns Werther blühte plötzlich wieder auf, jubilierte, kokettierte und erging sich in Goethes geschliffenen Wortkaskaden, in der Zuversicht, doch noch Lotti für sich zu gewinnen. Das Ende ist natürlich unweigerlich, denn Goethe meinte es nicht gut mit seiner Figur, die eine reale Entsprechung im Freitod eines Freundes des Dichters hat. Vinje geriet da fast schon zum schmückenden Beiwerk, obwohl diesem die nicht unwichtige Position zukam, die emotionalen Höhen und Tiefen einem Soundtrack gleich zu untermalen. Mit minimalistischen Melodien machte er das so geschickt, dass im Zusammenspiel mit Eisermann das nahezu Unmögliche gelang. Beide erschufen an diesem Abend ein letztes Mal großes Kino in einem ganz intimen Rahmen.

Fazit: Nach dieser rund zweistündigen Tour de Force fragt man sich unweigerlich, warum dieser kraftvolle Schauspieler bei den Nibelungen-Festspielen immer nur in der zweiten Reihe agieren durfte. Die Zuschauer zeigten sich restlos begeistert und folgten gebannt der Ankündigung, dass die beiden Künstler ab Ende März mit einem neuen Programm auf Tour gehen werden.