Ich gebs zu. Alle vier Jahre, wenn mal wieder eine Fußball-Weltmeisterschaft ansteht, bin ich erst mal skeptisch ob der zu erwartenden Leistung der deutschen Nationalmannschaft. Und wenn es dann losgeht und die Deutschen spielen besser als gedacht, wandelt sich auch der heftigste Kritiker im Vorfeld schnurstracks zum größten Fan während der WM. Insgeheim hoffe ich, dass das diesmal wieder genauso ist.
Was war ich pessimistisch, als 2006 die WM im eigenen Land stattfand und Jürgen Klinsmanns Truppe hat die letzten Vorbereitungsspiele jämmerlich vergeigt. Und dann haben Poldi & Co. bei der WM plötzlich guten Fußball gespielt und bis zum Halbfinale richtig Spaß gemacht. Dann kam Italien und ganz Deutschland ist kollektiv wieder aus seinem Traum erwacht. Auch bei der WM 2010 in Südafrika hätte ich nicht unbedingt mein Erspartes auf Jogis Jungs gesetzt. Aber nach ein paar Problemen in der Vorrunde, wurden erst die Engländer (4:1) und dann die Argentinier (4:0) weggeputzt und plötzlich stand auch ich wieder wie eine Eins hinter Jogis Truppe. Dann kam im Halbfinale Spanien – und wieder hatten Jogis Bubis zu wenig „Cojones“, um die Spanier zu bezwingen. Diesmal, bei der WM in Brasilien, soll es endlich mit der 4. Weltmeisterschaft klappen. Eigentlich ist es mir zu billig, in die gleiche Kerbe wie so viele selbst ernannte Fußballkritiker zu schlagen, dass es uns an echten Typen in der Nationalelf mangelt, um mal wieder einen großen Titel zu gewinnen. Aber immer dann, wenn ich an frühere Schlachten zurückdenke, sehe ich einen Stefan Effenberg, wie er sich in der 7. Minute eine dunkelgelbe Karte abholt, weil er die Mannschaft wachrütteln will. Oder ich sehe einen Mathias Sammer, wie er blutverschmiert bei der EM 1996 in England in die Schlacht zieht. Ich sehe Kalle Rummenigge, wie er sich 1982 im Halbfinale gegen Frankreich trotz Verletzung in der Verlängerung einwechseln lässt und prompt den wichtigen 2:3-Anschlusstreffer erzielt. Oder einen Leader wie Franz Beckenbauer, der sich bei der WM 1970 in Mexiko im Jahrhundertspiel gegen Italien mit einer Armschlinge über den Platz schleppt, weil er sich kurz vorher das Schlüsselbein gebrochen hat. Ja, ich erwische mich sogar manchmal dabei, wie ich mir ein Interview mit Lothar Matthäus nach Spielschluss zurückwünsche, wie er einen Reporter anschnauzt, weil der gerade eine unpassende Frage gestellt hat. Und dann denke ich an den heutigen Kader und sehe vor meinem geistigen Auge Mario Götze neben einem natürlich grinsenden Schweini sitzen, wie sie im Trainingslager gerade Playstation gegen Mesut Özil und Marco Reus spielen. Während Günther Netzer und Paul Breitner vor 40 Jahren nachts aus dem Trainingslager der Nationalmannschaft ausgebüxt sind und um 5 Uhr noch in einem Nachtklub gesichtet wurden, werden Götze & Co allenfalls von Oliver Bierhoff morgens beim heimlichen Zocken von „FIFA 2014“ in ihren Zimmern erwischt. Und so jemand soll am nächsten Tag den Spaniern oder Italienern Paroli bieten? Vermutlich male ich nur wieder genauso schwarz wie vor jeder WM, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir ausgerechnet in der südamerikanischen Hitze als erste Europäer Weltmeister werden. Als echte Turniermannschaft kommen wir maximal ins Halbfinale. Aber wie so oft gilt: Ich lasse mich sehr gerne eines Besseren belehren!
Der vorläufige 27-köpfige Kader der deutschen Nationalmannschaft:
(4 Spieler wurden bis 2. Juni noch gestrichen!!)
Tor: Manuel Neuer (FC Bayern München), Roman Weidenfeller (Borussia Dortmund), Ron-Robert Zieler (Hannover 96)
Abwehr: Per Mertesacker (FC Arsenal), Jérôme Boateng, Philipp Lahm (beide FC Bayern München), Erik Durm, Kevin Großkreutz, Mats Hummels, Marcel Schmelzer (alle Borussia Dortmund), Matthias Ginter (SC Freiburg), Benedikt Höwedes (Schalke 04), Shkodran Mustafi (Sampdoria Genua)
Mittelfeld: Lars Bender (Bayer Leverkusen), Julian Draxler (Schalke 04), Mario Götze, Toni Kroos, Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger (alle FC Bayern München), Christoph Kramer (Borussia Mönchengladbach), Sami Khedira (Real Madrid), Mesut Özil, Lukas Podolski (beide FC Arsenal), Marco Reus (Borussia Dortmund), André Schürrle (FC Chelsea)
Angriff: Miroslav Klose (Lazio Rom), Kevin Volland (1899 Hoffenheim)
Die Spiele der deutschen Mannschaft in der Vorrunde:
MO, 16. Juni: Portugal (18 Uhr)
SA, 21. Juni: Ghana (21 Uhr)
DO, 26. Juni: USA (18 Uhr)