Text: Dennis Dirigo, Peter Englert, Frank Fischer, John Evangelium (aber nur Andy’s Sister) |
19.-21. August 2016
Diverse Plätze rund um den Wormser Kaiserdom:
Vor 25 Jahren öffnete das Jazz and Joy Festival zum ersten Mal seine Tore. Damals stand noch ganz klar der Jazz im Vordergrund. Zwischenzeitlich hat sich die drei Tage Veranstaltung zu einem Musikfestival für die ganze Familie entwickelt. Zwar leidet das Festival in den letzten drei Jahren unter etwas mittelprächtigen Wetterbedingungen, dennoch hat es sich im Herzen vieler Wormser und Nicht-Wormser längst etabliert. Laut offizieller Zählung besuchten rund 21.000 Menschen die Konzerte, einschließlich des Sonderkonzerts. Beliebt ist Jazz and Joy vor allem wegen seines entspannten Flairs. Daran konnten auch die verschärften Sicherheitsvorkehrungen nichts ändern, die von den meisten Besuchern ohne Murren hingenommen wurden. Musikalisch wurde einmal mehr ein weltmusikalisch bunter Cocktail serviert, der zumeist wohl schmeckend angerichtet war. Die WO! Redaktion machte sich auf den Weg, um drei Tage lang ausgiebig von dem Musikcocktail zu probieren. Die Erfahrungen der drei (+1) Schreiber finden Sie in dem nachfolgenden Text, ebenso mundgerecht aufbereitet.
DIE ERÖFFNUNG
Es waren die besten Voraussetzungen für ein ungetrübtes Jazz und Joy 2016 Vergnügen, die sich am Startfreitag zeigten. Das Wetter präsentierte sich sommerlich mild und vor allem trocken. Während der Marktplatz bereits prächtig gefüllt war, strömten Musikbegeisterte in großen und gut gelaunten Mengen auf den Weckerlingplatz, um dort eines der viel gepriesenen Konzerte der britischen Band Incognito zu sehen. Inocgnito, das ist in erster Linie der Gitarrist und Komponist Jean Paul „Bluey“ Maunick, der sich mehr als Trainer denn als Bandleader sieht. Er selbst spricht von ca. 1500 Musikern, die mit ihm in den vergangenen 27 Jahren die Bühne geteilt haben. „Bluey“ will es nicht anders, er sieht sich als Musikentdecker, der den Weg ins Musikbusiness ebnet. Auch an diesem Abend hatte er eine Ausnahmeband auf der Bühne versammelt, die es vom Start weg verstand, das Publikum dank ihrer Virtuosität in ihren Bann zu ziehen. Überall auf der Bühne und auf dem Weckerlingplatz pulsierte es. Nichts blieb still, unweigerlich wollten die Beine mitwippen. Vorne wurde ausgelassen getanzt, was nicht alle an den Biergarnituren erfreute. Der Sound war glasklar, jede Nuance, jeder Ton hörbar. Und am Ende? Ein restlos begeistertes Publikum. Gerne hätte man mehr gehört, aber die Lärmschutzauflagen machten dies nicht möglich. Erste Risse zeigte jedoch das Wetter, das für einen kurzen Moment einen Ausblick auf das bot, was am nächsten Tag folgen sollte.
DER SAMSTAG
Als hätte der Himmel noch nie den Ausspruch „der Petrus muss’en Wormser soi“ gehört, regnete es am darauffolgenden Samstag wie aus Kübeln. Ein paar hundert wasserfeste Wormser wagten sich trotzdem zur Sparkassenbühne auf dem Marktplatz, um dem Singer Songwriter Pop des Nordrhein-Westfalen, Pohlmann, zu lauschen. Pohlmann, dessen erfolgreichste Zeit schon ein paar Jahre zurückliegt, spielte schon einmal in Worms. Damals an der Jugendherberge und bei deutlich besserem Wetter. Der Musik konnte die Dusche von oben freilich nichts anhaben. Pohlmann hat ein Händchen für Melodien und vor allem dafür, wie man diese zugleich kraftvoll und gefühlvoll rüberbringt. Doch auch er stieß einmal an seine Grenzen, als er rund 15 Minuten lang gegen das ohrenbetäubende Geläut der Dreifaltigkeitskirche anspielen musste. Zwar machte er gute Miene zum erschwerenden Spiel, das änderte jedoch nichts daran, dass er große Schwierigkeiten hatte, aufgrund der eigenwilligen Taktgebung der Kirche in den nächsten Song hineinzufinden. Kirchliche Toleranz sieht sicherlich anders aus. Mit solcherlei akustischen Hindernissen hatten die Grandseigneur des Jazz, Heinz Sauer und Bob Degen, nicht zu kämpfen. Das Wetter war zwar genauso mies und bescherte ihnen zu Beginn nur wenige Zuschauer, die Glocken hingegen, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits aufgehört zu läuten. Wer sich, bewaffnet mit Regenschirm, zur Bühne auf dem Platz der Partnerschaft verirrte, bekam neben der Möglichkeit, eine geschmackvolle Paella vom Wormser Fischgeschäft zu genießen, Jazz vom Feinsten zu hören. Wahre Könner zeigten sich da am Piano und am Saxofon. Nicht immer einfach, aber intelligent aufbereitet. Zeitgleich schlugen die Wormser Rapper von 8m breit auf der Bühne vor der Jugendherberge auf und sorgten für nichts weniger als das „Jahrtausend-Comeback“, wie der künstlerische Leiter, David Maier, schmunzelnd in einem Pressegespräch erklärte. Wie Phoenix aus der Asche tauchten sie im Programmheft auf, kamen, rappten und begeisterten auch viele Jahre nach ihrem letzten Auftritt das regenfeste Publikum an der vollbesetzten Jugendherberge. Front-MC Hennes Elbert, der neben Thorsten Wirthwein das Herz der Gruppe bildet, wurde extra aus München eingeflogen. Mit Songs wie „Funkmashine“ erinnerten 8m breit an die frühen Jahre von Fanta 4 und Fettes Brot und das in kompletter Bandbesetzung. Herrlich!
Er ist gerademal 23 Jahre alt, der Münchner Jesper Munk. Es ist kaum zu glauben, dass ein derart junger Mensch über eine solche Röhre verfügen kann, denn Munks Stimme klingt nach mindestens 20 Jahren Whiskey- und Nikotinerfahrung. Überdies ist er auch noch ein ausgefuchster Songwriter, der die Regeln des bluesigen Rock’n’Roll beherrscht. Das bewies er auf dem mittlerweile deutlich besser gefüllten Marktplatz nachdrücklich. Lediglich im Mittelteil zeigte er ein wenig zu viel Gefühl und sorgte dadurch für eine gewisse Stagnation des Gigs. Gefühlvoll zeigte sich auch das Kurt Rosenwinkel Trio. Der 1970 geborene Amerikaner Kurt Rosenwinkel gilt als einer der einflussreichsten Jazzgitarristen seiner Generation. Warum, das zeigte er auf dem Platz der Partnerschaft. Egal, ob gerade oder ungerade Takte, aufgeregt oder einfach relaxt – das Trio beherrschte sein Genre und sorgte für musikalisch anregende Momente. Auch das Wetter zeigte sich zwischenzeitlich entspannter. Während der Regen immer wieder Pause machte, zeigte die Wolkendecke erste Risse und erlaubte der Sonne, ein paar Strahlen Richtung Worms zu schicken. Als wollten Mo’Blow dem Wetter entgegen schleudern, „egal was du machst, wir sorgen für gute Laune“, spielte die Band auf der Volksbank Bühne ein energiegeladenes Set. Die mitreißende Mischung aus Jazz und Funk macht die Band immer wieder zum Liveerlebnis, leider aber zum letzten Mal, denn das Konzert fand im Rahmen ihrer Abschiedstournee statt. Abschied nehmen hieß auch gegen halb zwölf vom Jazz & Joy Samstag, an der Jugendherberge endete im infernalischen Soundgewitter das Konzert der Band Honig. Dabei war der Name Programm. Sanft wie Honig verführte die Stimme des Sängers Stefan Honig das Publikum. Dass der Sänger einst in einer Metalband spielte, schien in diesem Zusammenhang irgendwie abwegig. Dramaturgisch geschickt aufgebaut und ausgeklügelt arrangiert, entwickelten die Songs eine Sogwirkung und empfahlen die Band durchaus für Höheres. Einziger Wermutstropfen war, dass der Sound der Band Mop Mop vom Weckerlingplatz ein wenig zu brachial auf den Platz vor der Jugendherberge herüber schwappte.
DER SONNTAG
Los ging es bereits um 13 Uhr an der Jugendherberge mit den Lokalmatadoren von Andy’s Sister. Da die Band am Abend zuvor noch in Abenheim bei „Rock am Klausenberg“ gespielt und gefeiert hatte, wirkte speziell der Bassist noch etwas angetrunken. Aber die Stimmung war bestens, die Band lieferte soliden Blink 182/Sum 41 Pop-Punk ab und wurde mit lauten Zugaberufen zurück auf die Bühne geholt. Dort gab es zum Abschluss ein Ramones-Cover, ehe der Drummer noch ein Mikro geschrottet hat. Nach diesem Heimgig von Andy’s Sister hatte auch der Musiker Mats Heilig so etwas wie ein Heimspiel, schließlich spielte er bereits im letzten Jahr zwei Konzerte in Worms. Besonders in Erinnerung blieb dabei das Schaufensterkonzert in der Galeria Kaufhof im Rahmen des ersten Pop up Festivals. Musikalisch bewegt sich der Badener auf sicherem Terrain. Gefällige Melodien, smarte Stimme und fluffige Arrangements konnten jedoch nicht über die Stromlinienförmigkeit seiner Musik hinwegtäuschen. Deutlich mehr Temperament gab es nebenan auf dem Weckerlingplatz. Passend zu dem deutlich sommerlicheren Wetter sorgten Nice Brazil & Group für schweißtreibende Rhythmen. Geradewegs aus Sao Paolo kommend, verwandelten sie den historischen Platz mit ihren lebendigen Samba und Salsa Rhythmen in einen brasilianischen Tanzpalast. Deutlich abstrakter wurde es auf dem Platz der Partnerschaft. Dort entführte das Trio Three Fall das Publikum in einen eigenwilligen Klangkosmos, in dem die klassischen Instrumente durchweg elektronisch verfremdet wurden, was für Faszination, aber auch Anstrengung sorgte. Konzentration war angesagt. Leichtere Kost gab es derweil an der Jugendherberge, wo The Necronautics aufspielten. Die Band aus Mannheim beschäftigt sich mit sogenanntem Surf-Rock, der vollkommen ohne Gesang auskommt und hauptsächlich von melodiösen Gitarrenriffs lebt. Ihre Songs wie „Everybody Up“ gehen ein wenig in die Richtung von Tito & Tarantula oder den Razorblades. Das Publikum wackelte jedenfalls eifrig mit den Köpfen und applaudierte den vier Herren in Hawaiihemden kräftig. Volle Konzentration forderte Sebastian Studnitzky auf dem Platz der Partnerschaft ein mit seinem „Orchestral Experience“, wenn auch in deutlich konventionelleren Formen. Mit einem klaren Bekenntnis zur Melodie, sorgte der Berliner – unterstützt von einem Streichertrio – für ein entspannt melancholisches Soundgefüge, das gelegentlich an den Minimalismus von Max Richter oder Philip Glass erinnerte. Musik zum Träumen. Auf der Bühne am Schlossplatz wartete derweil Big Daddy Wilson mit seiner Band auf das Publikum. Mit seiner Kombination aus Blues, Soul und Folk sorgte er für riesige Begeisterung unter den Zuhörern. Sein Erfolgsgeheimnis ist seine unvergleichliche Stimme, die zuweilen mit der eines Barry White zu vergleichen ist. Schon die Ansage von Wilson war legendär: „My Name is Wilson. I come from North Carolina and they call me big daddy. I don’t know why.“ Toller Künstler. Ebenso wie Myles Senko am Weckerlingplatz, der die komplette Bandbreite des Jazz, vom melodischen Soul-Jazz, über Acid-Jazz bis hin zum tanzbaren Feelgood-Jazz zeigte. Die Ehre, das Festival als letzter Künstler von Jazz & Joy 2016 beenden, oblag diesmal Andreas Kümmert, der sich mit seiner Band überwiegend dem Blues verschrieben hat. Kümmert wurde vor allem durch zwei Dinge bekannt. Zum einen hat er aufgrund seiner überragenden Bluesstimme 2013 die dritte Staffel des TV-Casting-Formats „The Voice of Germany“ gewonnen. Zum anderen hat er beim Eurovision Songcontest-Vorentscheid 2015 gewonnen, aber seinen Titel an die Zweitplatzierte Ann-Sophie abgetreten, die wiederum ein Fiasko in Wien erlebte (letzter Platz, null Punkte). Nach eigenen Angaben hatte sich Kümmert nicht in der Verfassung gefühlt, die Wahl anzunehmen. Dass er jemand ist, der nicht hundertprozentig für die große Bühne gemacht ist, stellte er auch auf dem Marktplatz unter Beweis. Da zündete nicht jeder Gag, manchmal dreht sich Kümmert gedankenlos mit dem Rücken zum Publikum oder schien sonst wie in seinen Bluessongs verloren zu sein. Wenn er jedoch anfängt zu singen, dann gibt es nur wenige, die ihm das Wasser reichen können. Bei „The Voice of Germany“ fiel Kümmert zum ersten Mal in den Blind Auditions mit einer Interpretation von Elton Johns „Rocket Man“ auf. Dies war auch gleichzeitig der Schlusssong des diesjährigen „Jazz & Joy“. Und obwohl es immer noch angenehm sommerlich und trocken war, jagte einem der Kümmert dann doch noch einen Schauer über den Rücken. Toller Schlusspunkt.
FAZIT: Entspanntes Festival mit Weltmusik aus allen Richtungen, das leider unter wechselhaften Wetterbedingungen und anderen kleinen Schönheitsfehlern litt, aber ordentliche 21.000 Besucher anlockte. Aus kommerzieller Sicht kann man zufrieden sein. Musikalisch war das meiste ziemlich hochklassig.