Im letzten Monat sorgte der NPD-Mann im Wormser Stadtrat für einen Eklat, als er im Rahmen einer Haushaltsdebatte das Thema „Sterilisation“ ins Spiel brachte: „Ebenso wird bei Asylanten der Punkt „Hilfe zur Familienplanung“ mit 1.000 Euro angegeben, wobei der benachbarte Punkt Sterilisation ebenfalls mit 1.000 Euro beziffert wird. Hierbei käme jetzt von mir der Vorschlag, die 1.000 Euro für die Familienplanung zu streichen und die 1000 Euro der Sterilisation auf 2.000 Euro aufzustocken, um der Überausländerung unserer Stadt konsequent entgegen zu wirken und gleichzeitig die Ausgaben für die […]“… Dann drehte ihm Oberbürgermeister Kissel den Saft ab, bevor W. noch weiter seine Forderung aussprechen konnte. Spreche man im Zusammenhang mit einem konsequenten Entgegenwirken einer „Überausländerung“ über Sterilisation, sei der Gedanke an die Euthanasie-Philosophie der NS-Diktatur nicht mehr weit, so Kissel weiter. Aber was ist damals tatsächlich passiert? Sogar in unserer direkten Nachbarschaft…

Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg und damit auch das Terrorregime Adolf Hitlers. Sechs Jahre lang überzog die nationalsozialistische Kriegsmaschenerie die Welt mit unfassbaren Gräueltaten. Aber auch das eigene Volk musste unter der menschenverachtenden Ideologie der Nazis leiden. Mit Blick auf die rassenhygienische Vorstellungen Adolf Hitlers erließ 1933 Reichsinnenminister Dr. Wilhelm Frick das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVen). Die menschenverachtende Argumentation Fricks: „Zur Erhöhung der Zahl erbgesunder Nachkommen haben wir zunächst die Pflicht, die Ausgaben für Asoziale, Minderwertige und hoffnungslos Erbkranke herabzusetzen und die Fortpflanzung der schwer erblich belasteten Personen zu verhindern.“ Konkret bedeutete dies die Unfruchtbarkeitmachung gegen den Willen der Betroffenen, sprich der Sterilisierung. Als nicht fortpflanzungswürdig galten Personen, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass deren Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Schäden leiden. Die Liste der Krankheiten umfasste Diagnosen wie angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem Irresein (manisch-depressiv), Fallsucht, Blind- und Taubheit, sowie auch schwerer Alkoholismus. Das Prozedere sah vor, dass ein Kreisarzt den Antrag auf Unfruchtbarkeitmachung stellte. Die Begutachtung des Patienten erfolgte durch die LHPA Alzey, der heutigen Rheinhessen Fachklinik. Das Urteil über die Zwangssterilisierung wurde schließlich in einer nichtöffentlichen Sitzung des Erbgesundheitsgerichts beim Amtsgericht Worms gefällt. Neben den psychischen Erkrankungen führten auch andere rassenhygienische Begründungen zu diesem massiven Eingriff. So zum Beispiel in einem dokumentierten Fall eines Mannes, der „zum Wohl des Volkesganzen“ sterilisiert wurde, obwohl bereits seine Frau sterilisiert war. Es wurde ihm vorgeworfen, dass ihm eheliche Fehltritte zuzutrauen wären. Als Begründung führte man an: häufigere, kleine Strafsachen, Tagelöhner, Trunksucht, 13 Kinder, sowie starker Onanist (Selbstbefriedigung).

In der Zeit zwischen 1934 und 1941 wurden durch das Amtsgericht Worms 329 Zwangssterilisierungen ausgesprochen, von denen 31 im Wormser Stadtkrankenhaus und 274 in Mainz durchgeführt wurden. Das ist allerdings eine vorläufige Zahl, da 900 „Erbgesundheitsakten“ des Gesundheitsamtes Alzey noch nicht ausgewertet wurden (Stand 2008). Nach Schätzungen wurden in den Jahren 1934 bis 1945 ca. 300.000 Menschen in Deutschland zwangssterilisiert. Die Überlebenden wurden erst 1988 endgültig als NS-Opfer anerkannt und entsprechend entschädigt. Ein weiteres düsteres Kapitel in diesem Zusammenhang ist die Großaktion T4 in den Jahren 1939 bis 1941. Hierbei wurde Menschen aufgrund ihres Krankenzustandes der „Gnadentod“ in der „Mordanstalt Hadamar“ gewährt. Eine eigens dafür eingerichtete Arbeitsgruppe, die sich mit der Aufarbeitung der Geschehnisse befasst, ermittelte bisher 450 Patienten, die aus rund 120 rheinhessischen Gemeinden kamen, die in Hadamar vergast wurden und später auch, in der sogenannten dezentralen „Euthanasie“, in anderen Anstalten. Seit 2005 erinnert ein Mahnmal auf dem Gelände der Rheinhessenfachklinik an die Opfer des nationalsozialistischen Krankenmordes. Dieser Krankenmord war der Endpunkt einer Entwicklung, die nicht nur aus rassenpolitischen Gründen stattfand, sondern auch aus wirtschaftlichen. Anders ausgedrückt handelte es sich um eine pervertierte Form von Sparpolitik, da zum Beispiel ein verkrüppelter oder Taubstummer das Reich 5.- bis 6.- RM am Tag kostete, während – im Gegensatz dazu – ein Beamter lediglich 4.- RM zur Verfügung hatte!

Quellen: „Festschrift zum 100jährigen Gründungsjubiläum der Rheinhessen Fachklinik“ und Homepage: www.lagrlp.de