22. und 23. September 2017 | Worms – Innenstadt:
Es gab eine Zeit, da hing die Fortführung des Pop-Up-Festivals in der Schwebe. Nachdem Pop-Up-Kopf David Maier eine Stelle im Kulturamt Offenbach annahm, stellte sich die Frage, wie sich das Festival nun organisieren lässt. Die Antwort war bald gefunden: einfach ein bisschen kleiner, dafür aber exquisit. So konnte die dritte Auflage in der letzten September Woche an den Start gehen.
Allerdings gab es eine weitere Neuerung. In den ersten beiden Jahren basierten die Veranstaltungen auf Spendenbasis. Leider tendierte die Spendenbereitschaft nahezu gegen Null, wie David Maier bei einem Pressegespräch enttäuscht erklärte. Aufgrund dieser Erfahrungen beschloss man in diesem Jahr, Eintritt zu verlangen, da die Sponsorengelder alleine nicht für die Gestaltung eines ambitionierten Programms reichen. Ambitioniert zeigte sich dann auch die Auftaktveranstaltung. Hierfür gelang es der Festival Crew, den früheren „RTL Samstag Nacht“- Star Wigald Boning und seinen musikalischen Partner, Roberto Di Gioia, zu engagieren. Neben außergewöhnlichen Veranstaltungen sind auch außergewöhnliche Orte ein Markenzeichen des Festivals. Es war wahrscheinlich das letzte Mal, dass dem früheren Bowling-Center in der Schönauer Straße nochmal Leben eingehaucht wurde. Einst rollte dort die Kugel, bald wird es die Abrissbirne sein, die das Nibelungen-Center dem Erdboden gleich macht. Zuvor fanden sich allerdings zu diesem Auftakt ca. 100 Gäste ein, um sich auf einer Leinwand Filme aus den Kindertagen des Kinos anzuschauen. Genauer gesagt, Filme des französischen Filmpioniers Georges Méliès. Der schuf vor 115 Jahren u.a. den Film „Die Reise zum Mond“ und damit auch das ikonografische Bild einer Rakete, die im Auge des Mondes landet! Boning und Gioia schufen live zu den Bildern den passenden Soundtrack. Während Gioia am Klavier klassische Stummfilmuntermalung lieferte, spielte Boning Querflöte oder unterstützte durch Vokalisen und anderen, mit der Stimme erzeugten Geräuschen das Geschehen. Zwar wirkte der Ansatz der Beiden auf Dauer etwas redundant, dafür faszinierten die Bilder umso mehr. Méliès war ein früher Meister der Illusion, der mit dem einen oder anderen Trick auch heute noch faszinieren kann. Mit einer großen Begeisterung am Experimentieren drehte er im Laufe der Zeit rund 500 Filme zwischen 2 und 12 Minuten. Für das Kino waren diese Filme ein gewaltiger Schritt und für das Pop Up-Festival eine bezaubernde Eröffnung.
Deutlich brachialer ging es ein Tag später bei der Theateraufführung „Hass – La Haine“ zu. Gespielt in den Räumen der ehemaligen Back Factory im Europahaus, faszinierte das Stück mit einer eindringlichen Intensität wie sie selten im Theater zu erleben ist. Das Stück basiert auf dem gleichnamigen französischen Film aus dem Jahr 1995. Dieser nahm etliche gesellschaftliche Entwicklungen vorweg und genießt heute zurecht einen Klassikerstatus. Regisseur Linus König verdichtete das Geschehen auf drei Schauspieler, folgte im Wesentlichen der Story des Films und baute zusätzlich eine Metaebene eines „Stück im Stück“ ein, bei dem die Schauspieler vor dem Publikum einem Casting für das Stück „Hass“ unterzogen wurden. Zentrale Themen sind, wie der Titel bereits verrät, Hass, Gewalt und Rassismus. Die simple wie auch effektive These: Gewalt erzeugt eine Spirale von Gewalt, aus der es kein Entrinnen gibt. Dass es das Stück ernst meint, verdeutlichten schon zu Beginn real dokumentierte Aufnahmen von Gewaltexzessen, wie der Fall Rodney King oder die Unruhen in Berlin 1967, als Unterstützer des damaligen Schahs von Persien mit Latten auf Demonstranten einprügelten. Während diese verstörenden Bilder liefen, bahnten sich drei Männer lautstark polternd ihren Weg durchs Publikum, das sie mit Pöbeleien überzogen. Die drei waren jedoch keine Wormser Möchtegerngangster, sondern die Darsteller dreier Kleingangster, die offensichtlich aus einem prekären Milieu kommen und natürlich allen gängigen Klischees entsprachen. Die herausragenden Darsteller schufen im schäbigen Ambiente dieser leerstehenden Immobilie ein beklemmend wirkendes Szenario, das den Zuschauer kompromisslos gefangen nahm. Gebrochen wurde diese Stimmung durch abrupte Szenenwechsel, bei denen sich der Zuschauer plötzlich inmitten einer absurden Casting Situation wiederfand. Hierbei ging es um das Spiel mit Vorurteilen, wie wir Menschen auf Grund ihres Äußeren in ein Raster pressen. Am Ende dieses Theaterberserkers zeigte sich das Publikum restlos begeistert und belohnte das sichtlich erschöpfte, aber gerührte Schauspielertrio mit stehenden Ovationen und „Bravo“ Rufen. Das Stück wird in den Herbstmonaten übrigens in Frankfurt weiterhin aufgeführt. Wer es nicht zum Pop Up-Festival geschafft hat, sollte unbedingt eine Reise in die Hessenmetropole unternehmen. Zu sagen, dass es sich einfach nur lohnt, ist in diesem Fall weit untertrieben.