Längst ist es ein wiederkehrendes Ritual für die regionale wie auch die überregionale Presse, wenn Anfang April die Nibelungen-Festspiel gGmbH zur großen Pressekonferenz lädt, bei der – unter Anwesenheit des Kreativteams und eines Teils der Darsteller – das bevorstehende Stück vorgestellt wird. Das hört auf den Namen „Überwältigung“ und wurde von dem deutschen Schriftsteller Thomas Melle („Die Welt im Rücken“) geschrieben.

Zum ersten Mal seit Karin Beiers gefeierten Nibelungen Inszenierungen in den Jahren 2004 und 2005 nimmt in Worms wieder eine Frau das Regiezepter in die Hand. Lilja Rupprecht heißt sie und gehört derzeit zu den angesagtesten Regietalenten an deutschen Theaterbühnen. Zuletzt inszenierte sie u.a. in Stuttgart Kafkas Romanfragment „Amerika“, das Stück „Jeff Koons“ an der Schaubühne Berlin oder auch „Antigone“ in Karlsruhe. Thomas Laue, künstlerischer Leiter, freute sich dann auch, erklären zu können, dass Lilja Rupprecht mit ihren vielfältigen Arbeiten gezeigt hat, dass sie in der Lage ist, mit überraschenden Mitteln und viel Energie eine große Bühne zu bespielen. Ähnlich wie in den letzten Jahren Nuran David Calis und Roger Vontobel hat auch die geborene Hamburgerin einen Hang zum bildmächtigen Erzählen und betont: „Film ist ein Element meiner künstlerischen Sprache“, was heißt, dass auch in diesem Jahr zusätzlich mit Kameras und Leinwänden gearbeitet wird. Inhaltlich möchte man indes neue Wege gehen. Schmunzelnd erzählte die Regisseurin im Dialog mit Autor Melle und Thomas Laue dem anwesenden Publikum: „Wir überlegten, ob wir ein Stück über Geld, Sex und Macht machen!“ Einen inhaltlichen Ansatz, an den sich Melle jedoch nicht erinnern konnte. Der gefeierte Autor interessierte sich mehr für die Frage, ob Schicksal die Gesamtdynamik der menschlichen Psyche ist und erklärte, dass die Nibelungen schon eine harte Nuss für ihn waren, da die Charaktere sich seltsam kontraproduktiv verhalten. Tatsächlich könnte man das Verhalten mit dem Satz „sehenden Auges in den Untergang“ umschreiben. Dementsprechend versuchte der Autor, die Lösung dieses ambivalenten Verhaltens mit einem Blick zurück zu entschlüsseln. Die Geschichte wird mit dem Massaker am Hofe König Etzels beginnen, bei dem unter anderem auch Etzels Sohn Ortlieb ermordet wird. Kurz vor diesem vermeintlich unausweichlichen Tod fordert der Knabe die Protagonisten auf, innezuhalten, um ihrem Schicksal vielleicht zu entgehen. Ganz in diesem Sinne erklärt der Star der Aufführung, Klaus Maria Brandauer: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden!“

DIE DARSTELLER
Der Hollywood erprobte Darsteller („James Bond – Sag niemals nie“, „Jenseits von Afrika“) wird in der Aufführung die gewichtige Rolle des Hagen übernehmen und betonte dann gleich auch, dass er die Rolle frisch und neu angehen wolle. Dementsprechend verorte er diesen Charakter weder bei Gut oder Böse. Brandauer gilt als einer der besten Schauspieler seiner Generation, was zahlreiche Preise untermauern. Weltstar Status errang er mit seiner Rolle in dem Oscar gekrönten Drama „Mephisto“ (Ein Gespräch mit dem sprachgewaltigen Schauspieler lesen Sie in der WO! Juni-Ausgabe). Zwar sind die weiteren Namen für die breite Öffentlichkeit nicht ganz so glanzvoll wie der des Österreichers, dennoch zählt die weitere Besetzung zu den darstellerischen Hochkarätern an deutschen Theatern. Intendant Nico Hofmann betonte in diesem Zusammenhang, dass die Zeiten vorbei wären, in denen eine Lottofee auf der Bühne stünde oder ein halbnackter Erol Sander auf die Bühne reite: „Diese Zeiten sind vorbei“. Ein Wiedersehen mit einer Darstellerin aus der Wedel Ära gibt es dennoch. Inga Busch spielte 2009 die Rolle der Frigga, Brünhilds Amme. Zehn Jahre später erhält sie nun die Beförderung, in dem sie dieses Mal die mächtige Brünhild selbst verkörpern darf. Neben ihren hochgelobten Theaterauftritten ist sie auch aus zahlreichen Filmen („Alles auf Zucker“, „Bibi Blocksberg“) und Serien („Tatort“) bekannt. Unter der Regie von Nico Hofmann spielte sie 1995 an der Seite von Götz George in dem Film „Der Sandmann“. Der weibliche Gegenpart, also die Rolle der Kriemhild, wird von Kathleen Morgeneyer übernommen. In der Fachpresse wird sie immer wieder für ihr sensibles Spiel gelobt und tatsächlich wirkt sie mit ihrem feenhaften Äußeren fast wie die idealtypische Besetzung der Kriemhild. Die Rolle ihrer Brüder werden von dem ehemaligen „Tatort“ Darsteller Boris Aljinovic als Gernot und Moritz Grove (König Gunter) übernommen. Grove spielte auch prominente Rollen in dem preisgekrönten Drama „Der Vorleser“ und dem Kinohit „Krabat“.

DIE FESTSPIELE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR WORMS
Seit 2015 ist der Star-Produzent Nico Hofmann Intendant der Festspiele. Bei der Pressekonferenz betonte er sichtlich stolz, dass die Festspiele längst über Deutschlands Grenzen hinweg großes Ansehen genießen und damit Worms in der öffentlichen Wahrnehmung ein ganzes Stück bekannter gemacht haben. Die renommierte Theaterseite nachtkritik.de wählte im letzten Jahr das Stück „Siegfrieds Erben“ zusammen mit zwei Inszenierungen der Salzburger Festspiele zu den „must see“ Stücken des Jahres 2018. Auch der scheidende Oberbürgermeister Michael Kissel betonte einmal mehr die Bedeutung und unterstrich dies mit dem Satz, dass die Festspiele auch eine kulturelle Inspiration für Worms seien. Zwar sind die Festspiele auch im Jahr 2019 bei einem Teil der Wormser umstritten, das ändert jedoch nichts daran, dass diese längst eine immense wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt haben. Nachdem besonders Vontobel mit seiner letztjährigen Inszenierung Publikum und Presse gleichermaßen begeistern konnte, verriet Hofmann bei der Konferenz, dass man Vontobel für das Jahr 2020 erneut verpflichtet hätte. Zuvor dürfen wir jedoch gespannt sein, wie Regisseurin Rupprecht im Schatten des Wormser Doms für „Überwältigung“ sorgen wird.

* Die Festspiele finden vom 12. bis 28. Juli auf der Nordseite des Wormser Doms statt. Nähere Infos und Tickets: nibelungenfestspiele.de