Es war einmal eine stolze, sozialdemokratische Volkspartei, die einst schillernde Bundeskanzler wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt stellte und für Ideale wie Frieden und eine soziale Markwirtschaft stand. Doch dann kam der Hannoveraner Gerhard Schröder und alles wurde anders. Gemeinsam mit seinem Parteikollegen Franz Münterfering legte er mit seiner alternativlosen Politik den Grundstein für den Neoliberalismus und den damit verbundenen Abstieg der SPD, der seinen vorläufigen Höhepunkt am 24. September 2017 fand. Ein Ende des langen Leidensweges scheint dagegen noch nicht in Sicht zu sein.
20,5% lautete das amtliche Wahlergebnis bei der Bundestagswahl am 24.09.17 und war damit das schlechteste der Nachkriegszeit. Kanzlerkandidat Schulz erklärte noch am Wahlabend, dass man für eine GroKo nicht zur Verfügung stehe. Unisono erklärten die geschockten Politiker des ungeliebten Zweckbündnisses CDU/CSU und SPD, dass man den Willen des Wählers verstanden hätte. Die GroKo war abgewählt! Da ändert auch die Tatsache nichts, dass immer noch rund 50% der Wähler ihre Stimme für die sogenannten Volksparteien abgegeben hatten. Die Verluste wogen schwerer, weswegen die Sozialdemokraten reflexhaft ihre neue Rolle in der Opposition suchten. Das wiederum verführte die Rheinland- Pfälzerin Andrea Nahles zu dem vollmundigen Ausspruch: „Und ab morgen kriegen sie in die Fresse“. Gemeint waren die gerupften Wahlsieger der CDU/CSU Fraktion. Heute, vier Monate später, ist von dem selbstbewussten „Nein“ zur Groko und dem „Ja“ zur programmatischen Erneuerung in der Opposition nicht mehr viel übrig geblieben. Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen der sogenannten Jamaika-Koalition redete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den rebellischen Parteigenossen ins Gewissen und rang ihnen das Zugeständnis zu erneuten GroKo Gesprächen mit der Kanzlerin ab. Da war sie wieder, die ungeliebte Koalition, die das Land bei den vergangenen beiden Versuchen gesellschaftlich weiter gespalten und die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert hat.
Die Agenda 2010 und ihre Folgen
Eine Kluft, die Schröder und Müntefering mit ihrer berühmt-berüchtigten Agenda 2010 schufen. In Folge dessen kehrten Gewerkschaften, enttäuschte Arbeitnehmer und frustrierte SPD-Genossen der Partei den Rücken. In diesem Umfeld entstand die WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit), die später mit der PDS fusionierte und zur heutigen „Die Linke“ führte. Die SPD hat sich davon nie erholt, auch wenn manche Genossen die düstere Vergangenheit der Nullerjahre gerne verdrängen. Kandidaten wurden im Laufe der nächsten Jahre verschlissen und krampfhaft nach einem Ausweg aus dem Dilemma gesucht. Von der unglücksbringenden Agenda 2010 wollte man sich indes nie distanzieren. Martin Schulz räumte zwar beim beginnenden Wahlkampf im letzten Jahr etwaige Fehler bei der Konstruktion ein, weitreichende Korrekturangebote blieben jedoch aus. Während Kanzlerin Merkel im Laufe ihrer Amtszeit immer weiter nach links rückte, was auch einigen CDU Politikern einiges abverlangte, begann die SPD händeringend, ihr soziales Profil zu suchen, ohne bis heute fündig geworden zu sein. Anders lässt sich das Ergebnis der Sondierungsgespräche nicht deuten. Korrekturen auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im Niedriglohnsektor, sucht man vergebens. Es wird von einem europäischen Mindestlohn geredet, ob sich Deutschland dann jedoch nach oben angleicht, das bleibt offen.
Ist Deutschland ein gerechtes Land?
Zwar steigen die Gewinne der DAX Unternehmen und die Exportüberschüsse übertreffen sich immer wieder selbst, bei einem Großteil der arbeitenden Menschen kommt das jedoch nicht an. Da nützt auch das mantraartig wiederholte Glaubensbekenntnis, uns ging es noch nie so gut wie heute, wenig. Rund 840.000 Menschen sind in Deutschland, eine der reichsten Industrienationen, wohnungslos. Zahllose Menschen schuften in der Unsicherheit von befristeten Arbeitsverhältnissen, die Altersarmut schwebt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen Millionen Deutscher. Kombilohn, Zweit- und Drittjobs sind längst Normalität in einem Land, das die eigene soziale Schieflage noch durch den verhängnisvollen Sommer 2015 verschärfte, als Angela Merkel die Grenzen für Flüchtlinge aller Couleur öffnete. So ehrenwert das Ansinnen war, Menschen aus den umkämpften Gebieten in Syrien und Afghanistan Asyl zu gewähren, so stümperhaft war das Vorgehen der damaligen Regierung, zu der auch die SPD gehörte. Mehr als 1,5 Millionen Menschen, längst nicht alle aus den genannten Ländern, strömten nach Deutschland und verschärften die gefühlte Ungerechtigkeit noch mehr.
Keine Visionen, aber ganz viel Europa
Mit der Folge, dass sich mit der AfD eine weitere Partei etablieren konnte. Genau die ist es auch, die seitdem, ohne etwas zu tun, die Parteien vor sich hertreibt. „Wir werden sie jagen!“ polterte Alexander Gauland mit Blick auf die etablierten Parteien. Doch das müssen sie offenkundig gar nicht. Getrieben von der Angst, dass bei möglichen Neuwahlen die AfD zweitstärkste Kraft im Bundestag werden könnte, setzt die Machtelite der SPD alles daran, genau dies zu vermeiden. Das Problem allein ist, dass die Argumente für eine Neuauflage der alten Hassliebe sehr dünn sind. Das Sondierungspapier weist zwar im Klein-Klein der Bürokratie einige interessante Aspekte aus, wie z.B. hinsichtlich der Investitionen in die Bildungspolitik und der Lockerung des Kooperationsverbots – die große Idee oder Vision, außer für Europa, fehlt aber. Wortgewaltig sind Sätze wie: „Wir wollen ein Europa der Chancen und Gerechtigkeit“. Was ausgerechnet von Parteien gesagt wird, die für die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre stehen und Europa so auch ein bisschen mehr spalteten. Frankreichs Staatschef Macron werden diese Worte freuen. Den Rest, das steuerzahlende Volk, dürfte es bei Sätzen wie: „Wir sind auch zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit“, eher schütteln. Dabei mangelt es der EU weniger an finanzieller Ausstattung, als vielmehr an einem effizient arbeitenden Parlament, siehe das Konkurrenzdenken bei der Steuerpolitik. Anmerkungen zu einer Friedenspolitik Richtung Russland sucht man in dem Papier wiederum vergebens. Auch das ehrgeizige Projekt der Bürgerversicherung zerbröselte während des anstrengenden Gesprächsmarathons. Dass man sich mit der CDU/CSU nicht zu einer Reichensteuer durchringen konnte, war zu erwarten. Aber wie erklärt man einem mittelständischen Arbeitnehmer, warum vererbtes Vermögen bis heute nicht vernünftig besteuert wird, während er ordentlich zahlen darf. Was nützt eine Solidargemeinschaft, wenn einige solidarischer sein müssen als andere? Es mag viele Superreiche geben, die mit ihrem Geld Gutes tun, aber mindestens ebenso viele, die das nicht tun. Wie ist es zu erklären, dass laut der jüngsten Oxfam Studie 45 Deutsche so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung? Das ist die Welt der gelebten Ungerechtigkeit, gegen die die SPD handeln muss.
Knappes Ja für GroKo
Martin Schulz und Andrea Nahles müssen geahnt haben, dass sie mit diesem Papier bei ihrem Sonderparteitag am 21. Januar 2018 keinen Blumentopf gewinnen konnten, anders sind die Reden der beiden derzeitigen Chef SPD’ler nicht zu erklären. Schulz hangelte sich nochmals am Papier entlang und versuchte, es bestmöglich zu verkaufen. Sätze wie: „Der Geist des Neoliberalismus muss endlich ein Ende haben!“, klingen zwar gut, nur glauben möchte man ihm das nicht. Nicht viel besser schneidet Andrea Nahles ab. Die schrie zwar lauter und wirkte deutlich verzweifelter und emotionaler, aber auch sie schaffte es nicht, die versprochene Erneuerung zu vermitteln. Sie möchte zwar verhandeln, bis es quietscht. Vermutlich wird es aber eher ein leichtes Rauschen sein. Womöglich kann es eine Erneuerung bei einer Regierungsbeteiligung geben, aber nicht mit diesem Personal, das sich selbst im Laufe der Vergangenheit als Parteisoldaten ohne große Visionen verbrannt hat. Am Ende stimmte eine enttäuschende Mehrheit von gerademal 56% für Koalitionsgespräche. Die Wormser Delegierten Jens Guth und Timo Horst votierten gegen die Verhandlungsgespräche. Vielleicht wäre die SPD besser damit beraten, Angela Merkels CDU in Richtung einer Minderheitsregierung zu drängen. Dann müsste die seit 2005 amtierende Kanzlerin Allianzen schmieden und Gespräche mit anderen Parteien suchen, aber das wäre vielleicht zu viel Demokratie gewagt. Ob es letztlich zur Wiederauflage dieser Zweckgemeinschaft kommt, hängt nun an den SPD-Mitgliedern selbst, die bei einer basisdemokratischen Abstimmung ihr Votum für oder dagegen abgeben können. Von diesem Votum hängt mehr denn je die Zukunft der einst so stolzen Volkspartei SPD ab. Bei Redaktionsschluss war die Partei laut einer Forsa-Umfrage auf nur noch 17% abgerutscht.