Als Kaleu wurde der junge Jürgen Prochnow (geb. 1941) 1980 auf einen Schlag weltberühmt. Wolfgang Petersen engagierte den Schauspieler für die Rolle eines U-Boot Kommandanten in der Romanverfilmung „Das Boot“ gegen den Willen der Produzenten. Vor allem Starproduzent Bernd Eichinger lehnte ihn zunächst ab, weil er kurz zuvor (1977) unter Regisseur Wolfgang Petersen einen Homosexuellen gespielt und damit einen kleinen Skandal ausgelöst hatte. Homosexualität war damals noch strafbar und nicht gerade der Stoff, aus dem Hits gemacht wurden. Produzent des Films war ausgerechnet Bernd Eichinger selbst. Der konnte sich aber einen vermeintlichen Homosexuellen nicht als kernigen U-Boot Kapitän vorstellen. Der Rest ist Geschichte. Petersen konnte sich durchsetzen, der Film wurde ein Welterfolg und kassierte sechs Oscar Nominierungen. Jürgen Prochnow drehte danach in Hollywood mit Regisseuren wie David Lynch, Michael Mann oder Tony Scott. In den letzten Jahren wurde es auf der Leinwand etwas ruhiger um ihn. Vor zwei Jahren verließ er schließlich seine Wahlheimat USA und kehrte wieder nach Deutschland zurück, wo er mit seiner Frau in Berlin lebt. Mit seiner Kinorolle in dem Film „Leanders letzte Reise“ begeisterte er Kritik und Publikum gleichermaßen und zeigte zugleich, dass er noch längst nicht zum alten Eisen gehört. Tatsächlich präsentierte sich am Tag der Pressekonferenz ein äußerst agiler Jürgen Prochnow gegenüber unserem Kulturredakteur. Sitzt man ihm gegenüber, mag man kaum glauben, dass der geborene Berliner am 10. Juni bereits seinen 77. Geburtstag feiert. Ab 20. Juli steht er auf der Bühne vor dem Wormser Dom, um für zwei Wochen „Siegfrieds Erbe“ einzufordern.


WO! Wie fühlt es sich an, wieder in Deutschland zu sein?
Sehr gut. Ich freue mich darauf, dass jetzt endlich der Frühling kommt und sehe, wie alles sprießt nach diesem langen dunklen Winter. In Los Angeles gab es das alles nicht, da ja mehr oder weniger immer die Sonne durchschien.

WO! Sie haben das Glück, in einer der wärmsten Regionen Deutschlands Theater zu spielen…
Ja, ich habe gehört, dass es hier im Sommer sehr heiß werden soll. Aber wir spielen ja abends. Da hoffe ich, dass es erträglicher ist (lacht).

WO! Wie bereitet man sich auf so eine aufwendige Proben- und Festspielzeit vor?
Ich kann Ihnen sagen, für mich ist das ja erst mal komplett Neuland. Ich habe noch nie Freilufttheater gespielt, weswegen ich zunächst das Angebot ablehnte, weil ich mir das nicht zutraute. Es ist schon eine große Herausforderung für einen Schauspieler, diesen Raum vor dem Dom zu füllen. Das war etwas, das mir zunächst Angst machte. Am Theater ist man in einem geschlossenen Raum. Da habe ich gelernt, wie man Spannung herstellt, wie man mit dem Publikum interagiert und von diesem dann auch getragen wird.

WO! Ich denke, auch die Technik, z.B. mit Mikrofonen zu spielen und zu sprechen, spielt eine Rolle.
Ja, das kommt hinzu. Das ist etwas, das ich nicht kenne. Als Schauspieler verlasse ich mich auf meine Artikulation, etwas, was sich durch die Benutzung von Mikrofonen ändert. Durch Sprache und die Art, wie ich betone oder variiere, erreiche ich normalerweise das Publikum. Insofern ist mir im Moment noch nicht klar, inwiefern man durch die Technik dazu in der Lage ist.

WO! Was hat Sie dazu bewegt, die Rolle dennoch anzunehmen?
Die Rolle selbst war sofort reizvoll für mich. Ich führte Gespräche mit Regisseur Roger Vontobel, die sehr konstruktiv und inspirierend waren und die mich dann überzeugt haben, bei dem Stück mitzuspielen. Und ich freue mich auf die bestimmt sehr intensive Zusammenarbeit in Worms.

WO! Haben Sie die Kulisse des Wormser Doms bereits gesehen?
Nein, ich bin ja zum ersten Mal in Worms und lediglich gestern mit dem Auto kurz daran vorbeigefahren. Man hat mir bereits davon erzählt und gesagt, dass sozusagen der Dom auch mitspielt. Bilder von diesem Bauwerk, und wie es während der Festspiele ausgeleuchtet ist, wurden mir gezeigt. Das Spannende ist, das die Nibelungensage eine aufregende Geschichte ist, die mit diesem Ort verbunden ist.

WO! Welche Berührungen hatten Sie zuvor mit den Nibelungen?
Als junger Mensch, der in Deutschland aufgewachsen ist, bin ich mit der Geschichte dieser Sage sehr vertraut. Es ist vielleicht die deutsche Sage / Mythologie überhaupt. Ich habe auch noch die Bilder der Verfilmung von Fritz Lang vor Augen und auch von dem Hammerwerfer Uwe Beyer, der den Siegfried spielte, aber ich wunderte mich immer wieder, dass die Leute irgendwie doch die Finger von dem Stoff gelassen haben. Aber nun habe ich gehört, dass bereits seit vielen Jahren immer wieder Autoren im Rahmen der Festspiele neue Stücke aus diesem Stoff entwickeln.

WO! Mich verwundert immer wieder, dass die Nibelungen als deutsches Nationalepos gelten, obwohl es eine sehr düstere Geschichte ist, die voll von Mord und Totschlag ist. Sind wir ein so dunkles Volk, dass wir unser Selbstverständnis auf so eine Geschichte beziehen?
Vielleicht könnte man es tatsächlich so deuten, dass unsere Nation gegründet ist auf Hass und Gewalt. Je schlimmer der Hass und die Bösartigkeit eines Charakters wie Hagen sind, leuchtet die Heldenfigur, also Siegfried, umso mehr. Vielleicht muss man auch einräumen, dass die deutsche Volksseele schon etwas dunkel ist.

WO! König Etzel war bisher eine der wenigen positiv gezeichneten Figuren in der Geschichte, der fast bis zuletzt an das Gute glaubt und eher passiv agiert. In dieser Geschichte wird er nun zum Motor und begibt sich selbst aktiv in einen Konflikt. Warum macht er das?
Etzel hat nach den Ereignissen mit den Burgundern die Schnauze voll. Sein einziger Erbe, sein Sohn, ist vor seinen Augen von Hagen ermordet worden. Das Stück beginnt auch mit einem trauernden Etzel, der beschließt, im Anschluss an die Beerdigung nach Worms zu reisen, um den Nibelungenschatz einzufordern, den er als sein Erbe betrachtet. Aus politischen und taktischen Gründen beschließt er, mit Siegfrieds Tochter Swanhild eine Allianz einzugehen.

WO! Versucht er dies mit Brünhild auch?
Er streckt zwar seine Fühler aus, aber in erster Linie möchte er erreichen, dass Ute und Brünhild ihm verraten, wo der Schatz versteckt ist. Er glaubt nicht, dass mit dem Massaker an seinem Hof auch das Wissen um das Versteck des Schatzes erloschen ist.

WO! Wie nähert man sich einer Rolle wie der des König Etzel?
Ich beschäftige mich nun seit zwei Monaten mit der Rolle. Ich lese viele historische Bücher und versuche, in die Gedankenwelt dieser Person einzutauchen. Vielleicht lese ich auch das Nibelungenlied nochmal, aber das ist in seiner Sprache auch sehr anstrengend.

WO! Zum Ende ein kurzer Schlenker in Ihre eigene Filmvergangenheit. Schauen Sie sich Ihre Filme an, wenn sie zufällig im Fernsehen laufen?
Nein, das mach ich nicht. Dann beschäftige ich mich lieber mit neuen Filmen anderer Filmemacher. Ich bin Mitglied der deutschen Filmakademie. Einmal im Jahr bekomme ich ein Paket mit 50 Filmen. Daraus wählen wir die Vorschläge für den deutschen Filmpreis, Lola, und auch den Beitrag für den Oscar aus. Das ist mitunter sehr anstrengend.

WO! Wie bewerten sie als erfahrener Schauspieler die derzeitige Situation des deutschen Films?
Eins ist schon mal klar, es wird niemals wieder eine Filmindustrie geben, wie sie Deutschland vor dem zweiten Weltkrieg hatte. Vor allem beherrschen mittlerweile die Amerikaner den Weltmarkt.

WO! Ich habe den Eindruck, dass sich viele europäische Produktionen ästhetisch kaum noch von Hollywood-Produktionen unterscheiden.
Ja, das ist durchaus so. Dennoch ist es natürlich trotzdem gut, dass es eine deutsche Filmindustrie gibt, die auch immer wieder tolle Filme hervorbringt. Leider aber nicht sehr viele (lacht).

WO! Sicherlich ist auch die Politik der Filmförderung hierbei ein Problem.
Da haben sie Recht. ich denke auch, dass in Deutschland Kino zu wenig Unterstützung erfährt. Was ich dagegen toll finde, ist unser Theatersystem. Dass dies derartig subventioniert wird und Leuten die Möglichkeit gibt, künstlerisch zu arbeiten, das gibt’s in keinem anderen Land.

WO! Das führt aber auch zu Diskussionen, wie man am Beispiel der Nibelungen-Festspiele sieht…
Trotzdem ist die deutsche Theaterlandschaft eine wichtige Errungenschaft und ich hoffe, dass das so bleibt. aber wie gesagt, im Gegenzug müsste auch mehr für die Filmförderung getan werden. Ich glaube, die gesamte deutsche Filmförderung verfügt über ein Budget, das der Oper in Berlin alleine zur Verfügung steht.

Herr Prochnow, wir danken Ihnen für das Gespräch!