Die Welt verändert sich und das tut sie im rasanten Tempo. Die Krisen scheinen sich zu multiplizieren, während sich die Politik vom Gestalter zum Verwalter wandelt. Stets scheinen die Krisen einen Schritt voraus zu sein. Die Bürger fühlen sich indes oft ohnmächtig, was sich wiederum in ungewöhnlichen Protestformen entlädt. Im besten Falle gingen die Menschen einfach spazieren, im nervigsten Fall klebten sich junge Leute auf dem Asphalt fest und im schlimmsten Falle planten sie gar den Sturz der Regierung.
Während auf Deutschlands Straßen in den letzten zwölf Monaten viel Chaos herrschte, blieb Worms zumindest bisher von Klebstoffexperten und potentiellen Putschisten verschont. Dafür sorgte das Phänomen der montäglichen Spaziergänge für jede Menge Gesprächsstoff. Der Generalverdacht war schnell ausgesprochen. Bewegen sich die Spaziergänger im ungesunden Umfeld rechter Schergen? Besonders unheimlich für die wehrhafte Bürokratie war der Umstand, dass es sich hierbei um unangemeldete Versammlungen handelte. Wormser aus Politik, Gesellschaft und zum Teil der Presse waren sich schnell einig, dass diese Form des Protests unterbunden werden muss. Oder dem zumindest die gesamte Bandbreite staatlicher Härte widerfahren sollte. Die Botschaft war klar. Man kann den Staat zwar kritisieren, aber bitte sehr in bürokratisch geordneten Bahnen. Leider war das mit der Härte so eine Sache, denn wirklich viel zu tun gab es für Polizei und Ordnungsbehörden entlang der Spaziergänge nicht. Ihre Hochzeit erlebten die „Spaziergänger“ im Januar und Februar 2022, als die Diskussion um eine Impfpflicht ihren Höhepunkt erreichte. Nach offizieller Meldung versammelten sich rund 500 bis 600 Teilnehmer am Lutherplatz, um von dort durch die Innenstadt zu spazieren. Nach Angaben der „Spaziergänger“ kamen rund 1.000 Menschen zusammen. Zwischenfälle gab es kaum, außer dass sich Anwohner durch Trillerpfeifen genervt fühlten. Härte konnte der Staat lediglich beim Ahnden von Verstößen gegen die Maskenpflicht bei Versammlungen zeigen. Die rechte Unterwanderung blieb indes aus. Zwar wollten Polizei und Stadt einige „einschlägige Personen“ erkannt haben, doch mit Fakten konnten wiederum beide nicht aufwarten.
Wunsch nach Dialog
Aber wer waren denn nun eigentlich die Menschen, die sich heute noch zum Teil montags treffen? Diese Frage stellten sich offenbar nur WO! und Bürgermeisterin Stephanie Lohr, in deren Dezernat die „Spaziergänger“ fielen. Die Antwort zu finden, war eigentlich gar nicht so schwer. Bei Gesprächen mit Teilnehmern zeigte sich schnell, dass diese eine große Bandbreite der Gesellschaft abbildeten. Vom Rentner bis zum Studenten, vom Arbeitslosen bis zum Selbständigen. Die meisten davon waren Menschen, die bisher eher nicht auf Demonstrationen zu finden waren. Was sie einte, war die Ablehnung der damaligen Corona-Politik, insbesondere einer Impfpflicht, die bekanntermaßen nur als einrichtungsbezogene Pflicht umgesetzt wurde. Nach Ge- sprächen mit Teilnehmern und der Veröffentlichung einer Stellungnahme der „Spaziergänger“, kam es schließlich zu einem ersten Treffen zwischen Politik und Vertretern der Spaziergänger. Seither folgten drei weitere Gespräche, an denen aus der Politik noch Jan Metzler (CDU) und bei einem letzten Treffen Jens Guth (SPD) teilnahm. Für Stephanie Lohr zeigte sich schnell, dass sich hinter der Gruppe keine extremistischen Protagonisten verbergen, sondern vielmehr der Durchschnitt der Wormser Bevölkerung. Aus den Treffen entwickelte sich schnell ein Dialog, wie Politik und Bürger wieder zueinander finden können. Es ist ein Thema, das weit über Corona hinausgeht, weshalb sich ein harter Kern von „Spaziergängern“ auch weiterhin montags trifft. Grün- de dafür, weiterhin laufen zu gehen, gibt es derzeit schließlich viele. In der Bevölkerung sind sie weitestgehend akzeptiert, werden freundlich gegrüßt oder es ergeben sich Gespräche. Dennoch scheint damit auch dieser Protest an Wirkung eingebüßt zu haben.
Text: Dennis Dirigo Foto: Andreas Stumpf