Wormser stellt Strafanzeige gegen Oberbürgermeister Kessel

Ja, es gibt sie, die Menschen, die der Meinung sind, dass die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch nicht weit genug gehen und ja, es gibt auch jene, die am liebsten sofort alle Maßnahmen beenden würden. Das richtige Maß zu finden, das ist nicht einfach, wie zuletzt eindrucksvoll die Bund-Länder-Konferenz und der Umgang mit der Osterruhe aufzeigten. Auch Worms möchte seinen Teil dazu beitragen und entschied ein weiteres Mal, in die Grundrechte der Bürger einzugreifen. Das finden nicht alle gut, weshalb der Wormser Mathias Englert nun Strafanzeige stellte.

BÜROKRATIE VERSUS CORONA

Für Bürokraten kann das Leben manchmal sehr einfach sein, da man glaubt, mit Paragraphen das Leben regulieren zu können. Im Kampf gegen Corona ist die Rechnung im Grunde simpel. Das Mantra der Pandemie lautet schlicht und ergreifend: KONTAKTE BESCHRÄNKEN UND MASKEN TRAGEN. Instrumente, die im Laufe der letzten zwölf Monate zu einem beliebten Instrument wurden und natürlich den entsprechenden bürokratischen Rahmen bekamen. Auch in Worms! Bereits Ende Oktober 2020 verabschiedeten OB Kessel und die Stadtverwaltung erstmals eine Allgemeinverfügung mit dem Schwerpunkt einer Maskenpflicht in der Fußgängerzone. Dass diese in irgendeiner Form Einfluss auf die Fallzahlen genommen hätte, ist bis heute nicht belegbar. Gebracht hat sie letztlich der Stadtverwaltung ein paar tausend Euro Einnahmen und einem Polizisten Kopfschmerzen, der von einem Masken unwilligen Bürger einen Schlag verpasst bekam. Für viel Aufmerksamkeit sorgte Mitte Januar 2021 die erstmals verhängte Ausgangssperre, die abermals mit einer Maskenpflicht einherging. Die Fallzahlen waren hoch (Spitzeninzidenzwert: 326,2) und Kessel stand unter Beobachtung des Landes. Dass die Fallzahlen nichts mit wilden Corona Partys in den Abendstunden zu tun hatten, war zwar allen Verantwortlichen bewusst, spielte aber keine Rolle (siehe WO! FEB 2021). Man hatte ja schließlich Notfallmaßnahmen beschlossen, also müssen diese auch umgesetzt werden. Obwohl die Fallzahlen bereits zur Einführung der Sperre stark zurückgingen, hielt man noch einige Wochen daran fest. Bei der Einführung der Sperre präsentierten sich die Stadtoberen bei einer großangelegten Open-Air-Pressekonferenz als Macher. HANS-JOACHIM KOSUBEK, Dezernent für Sicherheit und Ordnung, zeigte sich als harter Hund, der allen Anwesenden klar machte, dass Verstöße gegen die Ausgangssperre kein Kavaliersdelikt seien. Ganz dem Kunden verpflichtet, lobte Kosubek der Wormser Zeitung Wochen später gegenüber, dass die Zahlungsmoral der Erwischten immerhin sehr gut sei. Es zeigte sich, dass die Allgemeinverfügung auch ein einträgliches Geschäft sein kann. Während im vergangenen Jahr von März bis Dezember, wo es lediglich ab Ende Oktober eine Allgemeinverfügung gab, 1.000 Verstöße registriert wurden, wurden in dem deutlich kürzeren Zeitraum von Mitte Dezember bis Mitte Februar ebenfalls 1.000 Verstöße dokumentiert. Verwunderlich? Mitnichten! Schließlich hatte man die Maßnahmen verschärft , während immer mehr Bürger diese in Frage stellten. Kurz zusammengefasst: auf die pandemische Entwicklung hatten die Entscheidungen keinen Einfluss, aber auf die Stadtkasse.

HAUTINFEKTIONSQUELLE TÜRKLINKEN UND EINKAUFSWAGEN?

Nun entschied man sich abermals, steigenden Zahlen mit den fragwürdigen Instrumenten der Maskenpflicht in der Fußgängerzone und einer erneuten Ausgangssperre entgegenzusteuern. Wieder stiegen die Fallzahlen exponentiell. Als Grundlage für die neuerlichen Maßnahmen dient die von Bund und Ländern eigenwillig konstruierte „Corona-Notbremse“, die bei bestimmten Inzidenzzahlen bestimmte Maßnahmen empfiehlt, unabhängig von der individuellen Situation der Kommunen. In Worms ist die Situation derzeit tatsächlich anders als im Januar. Im Gegensatz zum Januar gibt es dieses Mal keinen expliziten Hotspot. Auffällig ist, dass viele Infektionsherde für das Gesundheitsamt nicht nachvollziehbar sind. ADOLF KESSEL äußerte hierzu in der Wormser Zeitung einen abenteuerlichen Gedanken. Obwohl laut Robert-Koch-Institut, WHO und namhaften Virologen der Schmierinfektion eine eher unbedeutende Rolle zugemessen wird, brachte Kessel nun diese für Worms ins Spiel und erklärte, „dass viele Ansteckungen auch über Einkaufswagen oder Türklinken übertragen werden dürft en.“ Sollte Kessel – entgegen der Erkenntnisse von Virologen – richtig liegen, ist die Entscheidung der Ausgangssperre nochmal fragwürdiger, da die letzten geöffneten Geschäfte nun früher schließen müssen und somit die Menschen dazu genötigt werden, sich in weniger Zeit auf engem Raum zu verteilen. Tatsächlich gelten nach wie vor als Hauptinfektionsquelle enge Arbeitssituationen sowie der Kontakt in vollbesetzten Verkehrsmitteln und schließlich der Kontakt zu Hause im privaten Kreis. Die Ausbrüche in Schulen und Kitas legen zudem nahe, dass von dort das Virus in Familien und Nachbarschaften weiter verbreitet wird und umgekehrt. All das verhindert die Allgemeinverfügung nicht, zumal bei der Maskenpflicht die eigentlichen Brennpunkte Ludwigsplatz und Lutherplatz ausgeschlossen sind. Auf Nachfrage unseres Magazins erklärt die Stadt, dass es rechtlich schwer durchsetzbar sei, auf Plätzen, die die entsprechende Fläche hergeben, um problemlos das Abstandsgebot einzuhalten, eine Maskenpflicht anzuordnen. Vielleicht wäre es dann ja mal eine Idee, die Abstandsregel insbesondere auf dem Ludwigsplatz verstärkt durchzusetzen.

ENGLERT ÜBT SCHARFE KRITIK

So viel rechtliches Feingefühl hätte sich der Wormser MATHIAS ENGLERT auch im Umgang mit der Ausgangssperre gewünscht. Bereits bei der letzten Sperre übte er Kritik an der Verhältnismäßigkeit. Nun fragte er erneut den Oberbürgermeister nach einer rechtlich verbindlichen Begründung der am 25. März kommunizierten Allgemeinverfügung, denn die suchte er vergeblich. Zwar lag es auf der Hand, dass die in Verbindung mit dem steigendem Inzidenzwert lag, warum man aber welches Instrument wählte, diese Begründung fehlte und ist unabdinglich. Immerhin hat auch der Landkreis Alzey-Worms mit einem steigendem Inzidenzwert zu kämpfen, dennoch entschied man sich dort gegen eine Ausgangssperre, da der Anstieg der Zahlen auf größere Hotsports (u.a. Firma Sutter in Gau-Bickelheim) zurückzuführen war (zwischenzeitlich wurde der Landkreis vom Land ebenfalls zur Ausgangssperre verpflichtet). In Worms heißt es wiederum in der freitagsabends nachgereichten Begründung: „Die Ausgangsbeschränkungen reduzieren bestehende Anreize, soziale und gesellige Kontakte im privaten Bereich, insbesondere in den Abendstunden zu pflegen, die sich in der Vergangenheit in infektionsbezogener Hinsicht vielfach als besonders gefahrträchtig erwiesen haben.“ Nun ist es so, dass letztlich auch eine Ausgangssperre nicht wirklich soziale Kontakte verhindert. Wer sich treffen möchte, der trifft sich eben nun früher. Wen man trifft, ist der Großteil der Bürger, die sich seit mehr als zwölf Monaten bemühen, weitestgehend alle Auflagen einzuhalten und dennoch immer wieder mit neuerlichen Maßnahmen, die mittlerweile öfters die Grenze zur Unsinnigkeit überschreiten, gegängelt werden. Englert glaubt, dass man dadurch die Glaubwürdigkeit verspielt.

BÜROKRATISCHE TRICKS UND EIN JURISTISCHES NACHSPIEL

Man könnte nun sagen, dass es ohnehin kaum Möglichkeiten gibt, abends was zu unternehmen. Dem muss man entgegnen, dass eine behördliche Vorgabe, wann man einen Fuß vor die Haustür setzen darf, ohne dabei kriminalisiert zu werden, einen unerhörten Eingriff in die Freiheitsrechte darstellt, der gut begründet sein möchte. Diese fehlte, was der Maßnahme eine gewisse Willkürlichkeit verleiht und selbst durch die Nachreichung nicht ausreichend nachvollziehbar ist. Englert stellte zwischenzeitlich eine Strafanzeige gegen den Oberbürgermeister, da eine Verfügung ohne zeitgleiche Begründung unwirksam ist. Das Brisante an der nachgereichten Begründung: Diese wurde offenbar nachträglich verfasst, aber mit einem früheren Datum (25.03.) versehen. Unabhängig des Ausgangs von Englerts Strafanzeige läuft die Politik Gefahr, den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. So zeigen sich immer mehr Menschen von der Regierungsarbeit enttäuscht, nachdem mehr als ein Jahr Verzicht und schmerzliche Einschnitte kaum Fortschritte gebracht haben. Die Gefahr durch Corona ist da, umso wichtiger ist es, diesen Rückhalt in der Bevölkerung nicht zu verlieren. Das setzt Besonnenheit sowie eine gute Kommunikation der Maßnahmen voraus. Beides scheint in Worms derzeit in weite Ferne gerückt zu sein. Stattdessen ist ein Hang zur Symbolpolitik zu erkennen – und das ist gefährlich.