Donnerstag, 23. Juli 2020 | WOpen Air-Arena:
Corona sei Dank gab es in diesem Jahr keine Nibelungen-Festspiele. Auch für die Nibelungenhorde e.V., die seit knapp 15 Jahren fester Bestandteil der Festspiele ist, stellte sich zunächst die Frage, ob ein Workshop in diesem Jahr möglich ist? Die Antwort lautet: Ja!
Natürlich forderte das Corona Virus auch die Organisatoren raus. Klar war, dass der Workshop, der unterteilt war in vier Gruppen, nicht in seiner üblichen Form durchgeführt werden konnte. Übungen mussten angepasst und die Form der abschließenden Vorstellung überdacht werden. Statt einer Bühneninszenierung entschied man sich, einen Film zu drehen. Unter dem vorgegebenen Motto „Kein Plan B!?“ beschäftigten sich die 18 Teilnehmer mit den Sorgen und Nöten junger Erwachsener. Gemeinsam verfasste man zwölf Kurzfilme, die von einem Erzähler zusammengehalten wurden. Die Szenen drehte man mit maximal zwei Jugendlichen an den unterschiedlichsten Orten, wie z.B. auf dem verlassenen Werksgelände des früheren Schlachthofs am Rhein, in der Fußgängerzone oder auf der Bühne des Lincoln Theaters. Vorgeführt wurde der rund einstündige Film auf der großen Leinwand, nämlich in der WOpen Air Arena in der Alzeyer Straße. Ermöglicht wurde der Leinwandstream durch Karantena TV. Deren „Senderleiter“ Peter Englert war zugleich Dozent beim diesjährigen Workshop und ließ es sich nicht nehmen, selbst in dem Film aufzutreten. Englert spielt darin Karl, den Archivar des Lebens, der über die Menschen wacht und darüber zum übel gelaunten Zyniker wurde („Ich bin der, der das Chaos, welches die Menschen verursacht haben, wieder reparieren muss!“). Im launigen Plauderton klagt er darüber, dass sich die Menschen nicht mit der wahren Zukunft beschäftigen, sondern sich lieber Fantasien wie fliegenden Autos, Robotern und der Marsbesiedlung hingeben („Die neue Welt sieht nicht aus wie bei „Star Wars“ oder „Star Trek“. Es wird sich nichts ändern, die Menschen werden immer noch kacken, scheißen, pissen, fressen!“). Als Kommentator hält er die zwölf Filme zusammen. Die Filme beschäftigen sich mal heiter, poetisch oder nachdenklich mit den Zukunftsängsten und Visionen der jugendlichen Teilnehmer. Freilich waren auch die jeweiligen Schwerpunkte der Workshops unschwer zu erkennen. Betreut wurden die Jugendlichen durch Uwe John (Regie), Peter Englert (Co-Regie), Richard Weber (Choreografie) und Josh Maccoy (Songwriting). Der studierte Schauspieler Englert war zugleich auch als Schauspielcoach dabei. Für die Horde war insbesondere das Schauspielern in dieser Form eine neue Erfahrung. Schließlich erfordert das Theaterspiel eine andere Ausdrucksart als das Spiel vor der Kamera. Umso mehr beeindruckte einmal mehr das Ergebnis, das zugleich einen Blick in die Gedankenwelt junger Leute gewährte. So vermengte man in einem Film die Angst vor der Pandemie mit der Angst davor, was mit sensiblen Daten passiert. In einer nicht näher definierten Zukunft haben sich die Menschen einen Chip implantieren lassen. Ein Virus, der den Chip befällt, sorgt allerdings für eine Epidemie, während das Unternehmen sich weigert, ein Update zu Verfügung zu stellen. Um die Vorherrschaft von Unternehmen geht es auch in einem Werbeclip der Firma „Ocean Cities“, die in einen Wettkampf gegen Regierungen treten möchte und dafür wirbt, dass Bürger zu „Shareholdern“ werden. Es ist die Angst vor einer totalitären Zukunft, die immer wieder durchschimmert. So z.B. auch in der Szene über die Partnersuche in naher Zukunft. Was, wenn das Datingportal nicht nur empfiehlt, sondern mit absoluter Gewissheit entscheidet, wer der Zukünftige sein soll und Liebe keine Rolle mehr spielt? Da kann man schon mal zur Erkenntnis kommen, dass „die Komödie des Lebens ist, dass alles Tragödie ist!“ Egal wie pessimistisch die Erkenntnisse der Jugendlichen jedoch ausfallen („Jedes Problem ist immer das wichtigste, aber ich habe nie erlebt, dass jemand mit Sachverstand an die Zukunft geht!“), es stimmt optimistisch, dass es immer wieder junge Menschen gibt, die sich mit der Lust am Spiel und Experimentieren mit ihrer Gefühlswelt auseinandersetzen. Insofern ist die Nibelungenhorde nicht nur eine Brücke zu möglicherweise kreativen Berufen, sondern auch eine Brücke zur Zukunft unserer Gesellschaft. Und sie zeigten, dass man auch mit Abstand Nähe schaffen kann.