Die Erwartungshaltung im Vorfeld war hoch, nachdem im vergangenen Jahr „Siegfrieds Erben“ begeisterte und man in diesem Jahr mit dem Autor Thomas Melle einen der angesagtesten deutschen Schriftsteller verpflichtete. Der erklärte dann auch noch, dass man die Geschichte ganz neu, ganz offen erzählen möchte und spielte mit dem Gedanken, der wohlbekannten Legende womöglich ein neues Ende zu verpassen. Zusätzlich suggeriert ein Titel wie „Überwältigung“ nichts weniger als eben Überwältigung.
Um es gleich vorweg zu nehmen, die blieb in diesem Jahr am Ende ganz klar aus. Letztlich scheitert das Stück am eigenen Anspruch, die altbekannte Geschichte um Siegfried neu erzählen zu wollen. Neu ist höchstens die Perspektive, aus der die Geschichte um Neid, Missgunst, Mord und Rache erzählt wird. Da Ortlieb, naiv penetrant gespielt von Lisa Hrdina, sein Schicksal nicht einfach so akzeptieren will, nimmt ihn der Spielmann auf einen Zeitstrahl mit in die Vergangenheit. Was folgt ist der klassische Ablauf. Gunter ist ein schwacher König, Hagen der Stratege und Hüter der Macht, Kriemhild frustriert und Siegfried ist irgendwie ein arrogantes Arschloch, das bevorzugt im prächtig funkelnden Silberanzug wie eine Dragqueen durch das gewöhnungsbedürftige Bühnenbild schlurft.
Wer die Festspiele die letzten 17 Jahre begleitet hat, wird insofern keine neuen Aspekte entdecken können. Das gilt leider auch für die Regie, die offenbar mit der visuellen Umsetzung von Melles Erzählung besonders in der ersten Hälft fremdelt. Das Bühnenbild sieht aus als hätte Christo gemeinsame Sache mit den Wormser Wäschereien gemacht. Die Szenen in Island ergeben im visuellen Kontext mit diesem seltsam anmutenden Berg aus Tüchern vielleicht noch Sinn, im Verlauf der restlichen Handlung wirkt die Bühnenbild eigenartig unmotiviert und will so gar nicht überwältigen. Da Sommertheater natürlich auch Spektakel sein möchte, brechen nach der Pause visuell dann doch noch alle Dämme. Auge und Hirn werden die folgenden 60 Minuten mit virtuellen Kraken, Schlangen, Giraffen, Ranken und Füchsen konfrontiert. Eine ordentliche Feuersbrunst darf da natürlich genauso wenig fehlen, wie stimmungsvolle Aufnahmen im Dom. Dennoch, besonders im Kontrast zur minimalistischen ersten Hälfte, wäre eine gewisse visuelle Mäßigung sicherlich von Vorteil gewesen.
Bei der Pressekonferenz im April erklärte die Regisseurin Lilja Rupprecht, dass sie eigentlich bei den Nibelungen an eine Geschichte mit Sex, Drugs und Rock’n’Roll dachte, so ganz abgestreift hat sie wohl den Gedanken nie. Gegen Ende entwickelt Autor Melle schließlich noch erzählerischen Mut und macht die Nibelungen zu seiner Geschichte. Diesen Mut hätte man sich allerdings schon deutlich früher gewünscht. Großes Lob gebührt übrigens dem mit Laien aus der Region besetzten Chor, der Melles anspruchsvolle Textkaskaden eindrücklich in die Nacht hinausbrüllt und dem Stück so doch noch einen kleinen Hauch von Überwältigung verschafft. Am Ende der Aufführung fiel die Reaktion des Premierenpublikums entsprechend zurückhaltend aus. Ein höflicher Applaus und ein paar stehende Ovationen und schon ging es hinaus in die mittlerweile regenbefreite Nacht.
Text: Dennis Dirigo
Foto: Dennis Dirigo
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