Es mag etwas pathetisch klingen, wenn man im Falle einer Innenstadt von der Seele einer Stadt spricht. Über Jahrzehnte hinweg funktionierten Fußgängerzonen gleichermaßen als Einkaufsstraßen als auch als Orte der Begegnungen. Doch die Zeiten ändern sich und damit die Bedeutung. Dennoch bleibt sie das Herzstück einer Stadt. So gesehen ist sie auch ein Spiegelbild der jeweiligen Entwicklung einer Stadt, und das zeigt derzeit kein schönes Gesicht.

Ohnehin von einer jahrelangen Negativentwicklung geprägt, wirken die politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus zusätzlich wie ein Brandbeschleuniger, der das Leben zunehmend in den virtuellen Raum verschiebt und Internetanbietern und Transporteuren Rekordumsätze beschert. Es bedarf keines fachmännischen Blickes, um bereits nach einem Gang durch die Fußgängerzone die Probleme selbiger zu erkennen. Leerstände, Billigläden, wenige inhabergeführte Geschäfte, Obdachlose, die sich in der KW häuslich eingerichtet haben, eine Bauruine namens Kaufhof, ein Teil-Lockdown, der alle Gastronomen und Kulturtreibenden abermals zur Zwangspause verdonnert, sowie die Pflicht, in der Stadt eine Maske zu tragen, lassen die Innenstadt in einem wenig attraktiven Licht erscheinen. Spricht man mit Händlern, macht sich eine große Unzufriedenheit breit. Die Umsatzeinbrüche sind enorm. Die Modebranche spricht von einem Einbruch um die 40 Prozent. Manche Wormser Geschäftsleute vermelden gar einen Rückgang der Geschäfte um mehr als 50 Prozent. Nicht wenige hätten sich gewünscht, dass man abermals einen Komplettlockdown verhängt hätte, sodass man wenigsten 75 Prozent der Novembereinnahmen des vergangenen Jahres hätte beantragen können. Das Weihnachtsgeschäft scheint ruiniert, sollte es nicht noch zu einem kleinen vorweihnachtlichen Wunder kommen. Die Zukunft ist indes ungewiss und die Politik scheint ohnmächtig gegenüber den knallharten Gesetzen des Marktes zu sein. Landtagsabgeordnete STEPHANIE LOHR (CDU) und IRIS MUTH, Vorsitzende der Vereinigung MIT (Mittelstands- und Wirtschaftsunion), luden unter dem Titel „Bald tote Hose in Worms? Nicht mit uns!“ zu einer Videokonferenz, an der unter anderem der Wormser Professor Dr. JÖRG FUNDER teilnahm.

Online Handel ist nicht für das Innenstadtsterben verantwortlich
Funder, der als Experte für Handel und Unternehmensführung an der Hochschule Worms doziert, erklärte zu Beginn, dass es eine falsche Annahme sei, dass der Online Handel die Innenstädte aussterben lasse. Nach wie vor würden 80 Prozent der Waren noch stationär gekauft werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass bei dieser Berechnung auch die Lebensmittelkäufe einfließen. Prinzipiell sei laut Funder zu beobachten, dass sich das Kaufverhalten geändert hätte und zunehmend ältere Kunden ins Internet abwandern würden, da sie dort ihre Einkäufe sozusagen barrierefrei erledigen können. Problematisch sah er vielmehr, dass sich die Städte zunehmend ähneln und die Aufenthaltsqualität darunter leiden würde. Die Folge sei ein Abnehmen der Kundenfrequenz. Für Worms sah er zusätzlich das Problem, mit zwei Metropolregionen konkurrieren zu müssen, sowie die Größe der Fußgängerzone, die letztlich zu groß sei. Auch sah er Schwierigkeiten im administrativen Bereich der Politik, sprich den Stadtverwaltungen, die den Geschäftstreibenden das Leben oftmals nicht leicht machen. Zusätzlich erschweren die zahlreichen Leerstände ein attraktives Erscheinungsbild. Das alles resultierte im Fazit, dass die Wormser ihre Innenstadt offenbar wenig interessant finden.

„Wir müssen uns von der KW verabschieden“
JENS BUSCHBACHER, Centermanager der Kaiser Passage, beschäftigte sich in seinem Beitrag ebenfalls mit der Größe der Fußgängerzone und hatte dabei das innerstädtische Sorgenkind, die Wilhelm-Leuschner-Straße, besonders im Blick: „Wir haben in der Innenstadt zu viel Fläche. Ich sage es mal provokativ: wir müssen uns von der KW verabschieden.“ Gemeint hatte er damit, sich bei Aktionen zur Belebung der Innenstadt vermehrt auf den Bereich ab dem Parmaplatz zu konzentrieren. Seine Kernfrage lautete: „Wie werden wir attraktiv für jemanden, der zu Worms keinen Bezug hat?“ In diesem Zusammenhang kritisierte er, dass man in der Kämmererstraße nichts von Leuchtturmthemen wie Nibelungen und Wein sehen würde. Selbstreflektierend räumte er ein, dass die ITG mit der Entwicklung der Passage und dem WEP sicherlich nicht ganz unschuldig an der aktuellen Situation sei. Der Grünstädter Unternehmer STEFFEN JOST, der auch in Worms eine Filiale seines Modehauses betreibt, ergänzte hierzu, dass er genau das vor Jahren prognostiziert hatte, aber ihm niemand glauben wollte. Zudem beobachte er, dass die Städte um Worms herum sich entwickelt hätten, während Worms selbst unattraktiver geworden sei: „Es kann doch nicht sein, dass die Menschen aus Worms nach Grünstadt fahren, um dort einzukaufen!“

Nur ein schönes Umfeld generiert gute Preise
Für Worms prophezeite er, dass viele Betriebe den März kommenden Jahres nicht überleben werden. Dennoch sieht er Chancen, wenn die Stadt bereit ist, in ihr Erscheinungsbild zu investieren. Ganz in diesem Sinne hält es Funder sowieso für unumgänglich, dass alle Akteure (Handel, Gastronomie, Wirtschaftsförderung, Immobilienbesitzer) an einem Strang ziehen. Für die Immobilieneigner lautet die Botschaft, nur ein schönes Umfeld generiert auch gute Preise. Da ist man an einigen Stellen in der Innenstadt derzeit weit entfernt. Zudem gilt es, „Kaufkraft in die Stadt zu holen“, indem man hochwertigen Wohnraum für eine ältere, aber einkommensstarke Klientel schafft, meinte Funder. Projekte wie das Gerberquartier und die Entwicklung des Valckenbergareals könnten hier sicherlich Schlüsselfunktionen einnehmen. Denkbar hält der Hochschulprofessor auch die Schaffung eines sogenannten Business Improvement District. Darunter versteht man einen räumlich klar umrissenen Bereich, in dem die Grundeigentümer und Gewerbetreibenden gemeinsam versuchen, die Standortqualität durch Maßnahmen zu verbessern, die aus dem Aufkommen einer selbst auferlegten und zeitlich befristet erhobenen Abgabe finanziert werden. Ein Projekt, das in den letzten 15 Jahren von zahlreichen Städten erfolgreich umgesetzt wurde. Alleine in der Stadt Hamburg sind bisher 23 solcher Räume entstanden. Die rechtlichen Grundlagen wurden in Rheinland-Pfalz 2015 geschaffen, nun müssten diese mit Leben gefüllt werden. Stephanie Lohr und der CDU Fraktionsvorsitzende Christian Baldauf, der ebenfalls an der Videokonferenz teilnahm, betonten, dass es notwendig sei, dass das Thema auch in der Landespolitik vorangebracht wird.

Abgrenzen vom Internet durch Service
Primär gilt es natürlich, attraktive Händler und eine ebenso attraktive Gastronomie anzusiedeln. Positive Beispiele gibt es schon jetzt. So profitieren kleine spezialisierte Geschäfte wie das Familienunternehmen Lützenkirchen, die Kunsthandlung Steuer oder das Schuhhaus Frobese von einem kundenfreundlichen Service und einem ausgewählten Angebot, das die Konkurrenz im Internet kaum zu fürchten braucht. Ob ein externer Berater, wie es die SPD und CDU vorgeschlagen haben, die Probleme von Worms lösen kann, scheint fraglich, da diese hinreichend bekannt sind. Ein ungelöstes Problem ist auch die Zukunft des leerstehenden Kaufhofgebäudes. So ehrenwert der jüngste Vorschlag der Grünen Stadtratsfraktion ist, in dem Gebäude die Volkshochschule und/oder die Jugendmusikschule anzusiedeln, so wenig umsetzbar dürfte dieser im Angesicht des klammen städtischen Geldbeutels sein. Begrüßenswert ist wiederum die aktuelle Nutzung der Kaufhof Schaufenster als Adventskalender, um ein wenig weihnachtliche Atmosphäre in die Innenstadt zu zaubern.