Nach drei Jahren Albert Ostermaier war man in Worms ob der Nibelungen Festspiele doch ein wenig ernüchtert. Groß waren die Vorschusslorbeeren für den hochgelobten Münchner Autor. Allerdings neigte der Bajuware dazu, seine Stücke ein wenig zu überfrachten. Ein türkischstämmiger Autor und ein Schweizer Regisseur sollten im Jahr 2018 das hinbekommen, was zuvor nur Karin Beier vergönnt war, nämlich ein stimmiges Stück vor der Kulisse des Wormser Doms zu inszenieren, das sowohl Publikum als auch Presse gleichermaßen begeisterte.

Wieder einmal Streit ums Geld
Dabei fing das Jahr für die Nibelungen Festspiel GmbH gar nicht so gut an, denn im Februar wurde einmal mehr über das Budget gestritten. Hintergrund war, dass die Festspiel GmbH für die nächsten fünf Jahre einen jährlichen Zuschuss von 200.000 Euro forderte. Begründet wurde dies mit steigenden Kosten bei Personal, Sicherheit und Lärmschutz. Alles durchaus nachvollziehbare Posten, dennoch sind die Festspiele von Beginn an ein sensibles Thema in Worms. Erschwerend kam hinzu, dass Richard Grünewald (Bündnis 90/Die Grünen) im Stadtrat monierte, dass die tatsächlichen Kosten bereits deutlich höher seien als angegeben. Grünewald bezog sich dabei auf die Aufwendungen für den Heylshofpark, die Oberbürgermeister Michael Kissel mit einer Summe von 503.000 Euro bezifferte. Zwar betonte Kissel, dass die Zahl dem Gesellschafterausschuss bekannt war, das dürfte den Bürger hingegen wenig interessieren, da diese Summe öffentlich bisher nicht kommuniziert wurde. Umso wichtiger war es, dass die Festspiele in diesem Jahr gelingen mussten.

Ein talentiertes Kreativteam und viele bekannte Namen
Mit dem Schweizer Regisseur Roger Vontobel hatte man einen talentierten Mann engagiert und mit Feridun Zaimoglu einen namhaften Autoren, der gemeinsam mit Günter Senkel eine Fortsetzung ersann und sich damit erstmals vom starren Korsett des Nibelungenliedes entfernte. Hoffnung machte auch die Besetzungsliste. Mit Jürgen Prochnow hatte man sogar einen Hollywood erfahrenen Schauspieler verpflichten können, der zugleich mit der diesjährigen Inszenierung sein Freilichttheaterdebüt gab. Mit erhabener Gravitas spielte Prochnow einen von Rachegelüsten angetriebenen König Etzel, der nach dem Massaker an seinem Hof nach Worms reist, um sein Erbe einzufordern. Dort begegnet er einer Brünhild, die – gezeichnet von den Demütigungen vergangener Tage – zynisch über die verbliebenen Wormser herrscht. Umgeben von Verfall und Tod spielte die österreichische Schauspielerin Ursula Strauss eine gleichermaßen kraftvolle, wie auch verletzte Frau. Strauss gehört zu jenen Schauspielern, die erfolgreich zwischen Leinwand und Fernsehauftritten pendeln und die zudem eine Menge Nibelungenerfahrung mitbrachte, wie sie im Interview mit unserem Magazin erläuterte. Letztlich überzeugte ihre Darstellung auch die Jury des in diesem Jahr erstmals verliehenen Mario-Adorf-Preises.

Zwei Jungstars für die Teenieherzen
Aber auch für die jüngeren Zuschauer hatte man in diesem Jahr zwei Namen im Angebot. Mit der Besetzung von Jimi Blue Ochsenknecht als Siegfrieds Sohn dürfte manches Teenieherz deutlich höher gesprungen sein. Es war schon drollig zu beobachten, als der Promisohn einer aufgeregten Schülerin ein Interview für eine Schülerzeitung gab und diese merklich aufgeregt in Tränen ausbrach. Ganz wohlerzogener Sohn nahm er die junge Dame in den Arm und tröstete sie. Schauspielerisch geriet sein Theaterdebüt nicht ganz so überzeugend. In vielen Szenen wirkte er etwas unbeholfen und sein Spiel etwas steif. Allerdings hatte er den spektakulärsten Abgang in dieser Inszenierung. Sein Feuertod überraschte und berührte, da der überhebliche Heldenbub einen solch brutalen Tod nicht verdient zu haben schien. Neben seinem Engagement bei den Festspielen outete sich der Jungstar auch bald als Rheinhessen-Fan, der gerne von den Vorzügen unserer Region und natürlich Worms schwärmte. Die nächste Jungmimin im Ensemble war Linn Reuße, die Ochsenknechts Schwester Swanhild spielte. Die durfte immerhin bis zum Schluss mitspielen, ehe auch sie einen qualvollen Tod erlitt. Wirkte Linn Reuße zu Beginn der Aufführung noch ein wenig blass, fand sie im Laufe des Stücks immer besser in die Rolle und wusste schließlich als Motor der Intrige sehr gut zu gefallen.

Ein WOW! Effekt und ausverkaufte Festspiele
Unbestrittener Höhepunkt der diesjährigen Inszenierung war jedoch ein ganz besonderer Effekt. So manch einer traute seinen Augen nicht, als ein leichtes Zittern durch den Wormser Dom ging und sich schließlich eine Fratze aus selbigem herausschälte. Der sensationelle computergenerierte Effekt wurde von dem Videokünstler Clemens Walter und seinem Team geschaffen. Noch heute ziert die Startseite seiner Homepage das eindrucksvoll verfremdete Antlitz des Wormser Doms. Neben all den bekannten Namen und technischen Gimmicks überzeugte das Stück aber auch dramaturgisch. Manch erfahrener Festspielbesucher verstieg sich sogar zu der Aussage, dass es in Sachen Spannung in all den Jahren kein ebenbürtiges Stück gab. Das sprach sich schnell herum und alsbald konnte die Festspiel GmbH stolz ein „ausverkauft“ vermelden, was in den letzten Jahren nicht unbedingt selbstverständlich war. Die Messlatte liegt für die Inszenierung „Überwältigung“ dementsprechend hoch. Ab 12. Juli werden wir wissen, ob Regisseurin Lilja Rupprecht den Erfolg von Roger Vontobel wiederholen kann. Verfasst wird das Stück von dem renommierten Dramatiker Thomas Melle.

…und der Mario-Adorf-Preis geht an…
Preise sorgen gemeinhin für Aufmerksamkeit, insofern war es eine konsequente Entscheidung, als man 2018 wieder damit begann, einen Preis für besonders kreative Leistungen zu verleihen. Ermöglicht wurde dies durch Geschäftsmann Harald Christ. Der geborene Wormser, der mittlerweile in Berlin lebt und dem Festspiel Kuratorium angehört, regte zu dieser Wiedereinführung an und stellte auch die Summe von 10.000 Euro bereit, während der Schauspieler Mario Adorf als Namenspate und Überreicher zur Verfügung stand. Dieser durfte den Preis verdientermaßen an Ursula Strauss überreichen. Neben dem Geldpreis gab es auch eine gläserne Stele mit einem Drachenmotiv, die von dem Spezialglashersteller SCHOTT hergestellt und gestiftet wurde. Auch wenn die Schauspielerin den Preis absolut verdient mit nach Hause nehmen durfte, waren es jedoch zwei andere, die den Titel „Preisträger der Herzen“ verdient hätten. Da wäre zum einen das Team um Videokünstler Clemens Walter gewesen und besagten WOW-Effekt, aber vor allem der stets sympathisch auftretende Sänger Enkhjargal Dandarvaanchig. Der mongolisch stämmige Kehlkopfsänger sorgte mit seiner Stimme immer wieder für Gänsehautmomente. Komponiert wurden die musikalischen Vorlagen von den beiden erfahrenen Theatermusikern Keith O’Brien und Matthias Herrmann. Insgesamt fügte sich auch die musikalische Umsetzung nahtlos in die gehobene Qualität der Inszenierung von „Siegfrieds Erben“ ein.