In den Sozialen Medien gilt Worms als aussterbende Stadt
Wenn in den Sozialen Medien über Worms gesprochen wird, dann wird diese gerne als aus- sterbende Stadt bezeichnet, die sich in einer Abwärtsspirale befindet. Nicht nur, dass das Image der Stadt zwischenzeitlich deutlich besser war, scheint auch das Selbstwertgefühl ihrer Einwohner aktuell nicht sonderlich stark ausgeprägt zu sein.
Regelmäßige Bahnfahrer aus der Region berichten gerne, dass es vor allem zwei Bahnhöfe gibt, an denen man nachts nur äußerst ungerne einen längeren Aufenthalt verbringt. Der eine ist in Ludwigshafen, der andere in Worms, weil man dort zumeist auf Gestalten treffe, denen man nicht unbedingt alleine im Dunkeln begegnen möchte. In Ludwigshafen hat man zusätzlich das Problem, dass die Stadt, die zu einem nicht unerheblichen Teil aus der BASF besteht, als nicht sonderlich schön gilt, was ihr in diversen Rankings der „hässlichsten Städte Deutschland“ stets konstante Spitzenplätze bescherte. In Worms befinden sich dagegen sehr viele schöne und touristisch interessante Plätze, die einem allerdings nicht gleich ins Auge springen, wenn man, vom Bahnhof aus, die Fußgängerzone betritt. Dass aber Worms in der näheren Umgebung zudem lange Zeit als raues Pflaster galt, diesen Ruf hatte sich die Stadt über Jahrzehnte hinweg erworben. Auch wenn beispielsweise das Starefest heutzutage gerne glorifiziert wird, vergisst man gerne, dass es auch dort zu später Stunde regelmäßig zu Schlägereien kam. Dieses mulmige Gefühl Auswärtiger beim Besuch von Wormser Veranstaltungen, speziell in den 80er und 90er Jahren, manifestierte den zweifelhaften Ruf der Stadt. Das Problem ist also schon länger bekannt und tatsächlich hat man Anfang der 2000er sicht- bare Versuche unternommen, diesem Image entgegenzusteuern. Damals wie heute war es ein Ziel der Stadt, mehr gutverdienende Neubürger in die chronisch klamme Stadt zu locken. Rückblickend gesehen kann man sagen, dass es zumindest ein Jahrzehnt lang, als Worms als aufstrebende Stadt galt, gelungen ist, die Stadt von ihrem negativen Image zu befreien. Dazu hatten auch die Nibelungen Festspiele beigetragen, die erstmals 2002 ausgetragen wurden und seitdem jedes Jahr fast 20.000 Besucher zu den Aufführungen vor dem Wormser Dom locken. Neben dem Jazzfestival (seit 1991) stellte Worms damit erneut unter Beweis, dass es hier, fernab von Volksfesten, durchaus auch ein kulturaffines Publikum gibt. Als dann ein Jahr später – nach 16 Jahren Gernot Fischer – ein neuer junger OB namens Michael Kissel gewählt wurde, hat das neue Stadtoberhaupt seinen Einwohnern frisches Selbstvertrauen eingeimpft. Plötzlich wurde die Stadt, die im Rhein-Main-Neckar-Kreis ein wenig untergeht zwischen großen Städten wie Mannheim, Mainz, Darmstadt, Wiesbaden oder Frankfurt, auch anderswo stärker wahrgenommen. Im März 2005 erschien die erste Ausgabe unseres WO! Stadtmagazins als fünfte Zeitschrift am Wormser Printmarkt und auch wir haben in dieser Zeit von dem neuen Glanz der Stadt profitiert. Ein Jahr zuvor war die Kaiserpassage eröffnet worden und sollte als Besuchermagnet Konsumenten aus der Umgebung in die Nibelungenstadt locken. Gleichzeitig fanden die Bauarbeiten statt für das Wohn- und Gewerbegebiet „Liebenauer Feld“. Dort, wo früher die US Army ihre Liegenschaften besaß, sollte nun jungen Familien und Zugezogenen eine neue Heimat geboten werden. 2008 feierte der Wormser Einkaufspark, besser bekannt als WEP, seine Neueröffnung und füllte damit eine jahrzehntelang brachliegende Fläche der Bundeswehr wieder mit Leben. Zu der Goldgräberstimmung passte auch, dass dem höchsten Fußballklub der Stadt, Wormatia Worms, im selben Jahr die Qualifikation für die Regionalliga West gelang, was anfangs große Euphorie auslöste. Im ersten Regionalligajahr 2008/2009 kamen durchschnittlich 1.663 Besucher zu den Heimspielen (im Jahr des Abstiegs 2019 waren es im Schnitt nur noch 1.104 Zuschauer). Höhepunkte waren die beiden DFB-Pokalschlachten 2012 gegen Hertha BSC Berlin und den 1. FC Köln vor insgesamt 13.500 Zu- schauern. Derweil wurde auch die kulturelle Landschaft in Worms im Januar 2011 um das Vorzeigewerk von Oberbürgermeister Kissel bereichert. Dass die Baukosten vom Wormser Kultur- und Tagungszentrum mit dem prägnanten Namen „Das Wormser“ an der 50-Millionen-Euro-Marke kratzten, sorgte jedoch für heftige Kritik. Als dann Kissel im April 2011 erst in einer knappen Stichwahl gegen Dr. Klaus Karlin (CDU) gewann, war dies zugleich ein Vorbote für seine zweite Amtszeit, die von deutlich mehr Widrigkeiten geprägt war. Mit dem aufgrund seiner Finanzpolitik in der Kritik stehenden OB waren verstärkt Logistiker in die Stadt gekommen und hatten die letzten freien Gewerbeflächen in Beschlag genommen. Auf der Suche nach Gewerbeflächen stieß Kissel auf das Gewerbegebiet „Am hohen Stein“ in Worms-Heppenheim, das aber protestierende Bürger und ein Goldhamster zu verhindern wussten. Nicht verhindern konnten die Bürger – trotz 15.000 Unterschriften, die gegen den umstrittenen Bau gesammelt wurden – das „Haus am Dom“. Obwohl der amtierende OB in seiner zweiten Amtszeit deutlich mehr Bürger gegen sich aufgebracht hatte und kaum noch nennenswerte Impulse für die Stadt setzten konnte, beschloss er, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Rückblickend gesehen wurde damit bei der OB-Wahl 2018 die Chance zu einer Wende verpasst. Ohne Kissels erneute Kandidatur wären SPD und CDU gezwungen gewesen, junge Kandidaten ins Rennen zu schicken, die mit frischen Ideen eine neue Ära hätten einleiten können. Nach Kissels Kandidatur entschied sich die CDU für den langjährigen Landtagsabgeordneten Adolf Kessel, der in der Stichwahl deutlich gegen den bisherigen Amtsinhaber siegte.
Wie ist der Status Quo?
Seit Mitte 2019 ist nun Adolf Kessel der neue Oberbürgermeister der Stadt Worms und hat kein leichtes Amt übernommen. Der von seinem Vorgänger übernommene Schuldenberg engt den städtischen Handlungsspielraum bis heute ein. Vor allem aber ist Kessel ein komplett anderer Typ als sein Vorgänger. Introvertierter, weniger narzisstisch und nicht unbedingt einer, der jede Idee gleich an die Presse raushaut. Dass diese mangelnde Präsenz von Kommentatoren in den Sozialen Medien mitunter als Untätigkeit ausgelegt wird und man dem neuen OB nachsagt, dass es unter ihm zu einem Stillstand in der Stadt käme, ist nicht fair, wenn man Kessels bisherige Amtszeit zugrunde legt, die von unvorhersehbaren Widrigkeiten geprägt war. Wie auch die aktuelle Bundesregierung war Kessel vielfach gezwungen zu reagieren, anstatt tatsächlich zu agieren. Kaum war Kessel im Amt, wurden die Bürger von einer Corona Pandemie gebeutelt, die das Land fast zwei Jahre im Würgegriff hielt. Bekanntlich treffen Krisen diejenigen besonders hart, die es vorher schon schwer hatten. Wie auch in anderen Städten wurden in Worms der ohnehin schwer gebeutelte Einzelhandel und Gastronomiebetriebe existenziell bedroht. Als 2020 der KAUFHOF sein Aus in Worms verkündete, war dies vermutlich nur die berühmte Spitze des Eisbergs und zwang die städtischen Verantwortlichen zum dringenden Handeln. In dieser Situation sprang Kessel in die Bresche und schmiedete eine Lösung für den Fortbestand des Gebäudes. Dass sich die Stadtverwaltung in den Verwaltungstrakt einmietete und nun Bürger an der ehemali- gen Laderampe des Kaufhofs ihre Amtsgeschäfte erledigen, brachte ihr zwar den Namen „Hinterhofverwaltung“ ein. Dafür konnte man das Starnberger Unternehmen „ehret + klein“ dazu bewegen, ein Konzept zur Weiternutzung des ehemaligen Kaufhof-Gebäudes zu erstellen. Es wird also an dieser prägnanten Stelle in der Innenstadt „irgendwann“ weitergehen, jedoch liegt die Zukunft in den Händen von „ehret + klein“, die aktuell auf der Suche nach Mietern sind, um das K32 zukünftig mit Leben zu füllen, sprich: mit Einzelhandel, Gastronomie, Pop-up-Stores etc. Alleine das wird schon eine Mammutaufgabe, vor dem Hintergrund steigender Energiekosten und zunehmend abgebrannten Konsumenten überhaupt neue Mieter zu finden. Ende 2021 erschien zum letzten Mal das „Wormser Wochenblatt“, denn nach vier Jahrzehnten musste der Mitbewerber im Zuge der Corona Pandemie die Segel streichen. In diesem Jahr verkündete der Mutterkonzern OTTO, dass alle „My Toys“ Filialen bundesweit geschlossen werden, wovon auch die Wormser Filiale in der Kaiserpassage betroffen ist. Es steht zu befürchten, dass dies nicht die letzte Hiobsbotschaft bleiben wird. Wie verheerend die Auswirkungen von Corona und steigenden Energiepreisen tatsächlich sein werden, wird man in den nächsten Wochen und Monaten noch brutal vor Augen geführt bekommen. Auf jeden Fall bleibt die Wormser Innenstadt der größte Problemfall, der die städtischen Verantwortlichen in nächster Zeit weiter beschäftigen wird. Wenn also in den Sozialen Medien davon gesprochen wird, dass sich Worms auf einem absteigenden Ast befindet, kann man sich in Anbetracht dieser Nachrichten dieses Eindrucks nicht erwehren. Ein wenig könnte man die Situation der Stadt mit der von Wormatia Worms vergleichen. Zwar spielt der VfR nach dem zwischenzeitlichen Abstieg 2019 nun wieder in der Regionalliga, allerdings ohne jegliche Perspektive, weiter nach oben zu kommen. Wenn überhaupt, ist die Regionalliga das Nonplusultra für den Verein. Wie auch der Stadt fehlen der Wormatia die großen Visionen, aber natürlich vor allem das nötige Kleingeld. Von daher ist man verstärkt auf externe Geldgeber angewiesen. Auch die großen Projekte in der Stadt, die derzeit auf ihre Umsetzung warten, werden in den meisten Fällen von privaten Geldgebern finanziert. Der Darmstädter Marc Baumüller will den Al- ten Schlachthof als Erlebniswelt „Matadero“ zu neuem Leben erwecken. Die bereits erwähnten „ehret + klein“ sind nicht nur für die weitere Nutzung des ehemaligen Kaufhof-Gebäudes zuständig, sondern ebenso für das „Licht-Luftbad-Quartier“ auf dem ehemaligen Rheinmöve-Gelände. Und nicht zuletzt sorgt das Starnberger Unternehmen für die Umsetzung des Gerberquartiers auf dem Gelände, wo zuvor der Nibelungencenter stand. Mit der Hotelkette „B & B“ konnte man kürzlich einen ersten Ankermieter verkünden. Damit kommt also endlich das langersehnte Hotel nach Worms, um größere Touristengruppen aufnehmen zu können. Denn es ist ein wenig symptomatisch für Worms, dass das anvisierte Hotel neben dem Kultur- und Tagungszentrum, anstelle des heutigen EWR-Parkplatzes, nie gekommen ist, obwohl es in der Ära Kissel immer wieder Wasserstandsmeldungen zu potentiellen Interessenten gab. Es gibt also durchaus große Projekte für die Zukunft, die nur auf ihre Umsetzung warten. Das gilt im Übrigen auch für den einzigen wirklichen Glücksfall in der Ära Kessel, nämlich die Ernennung zum UNESCO Weltkulturerbe im Jahr 2021. Dieses Erbe gilt es nicht nur mit Stolz nach außen zu tragen, sondern entsprechend zu vermarkten, um Touristen in die Nibelungenstadt zu locken und das angekratzte Image der Stadt wieder aufzupolieren.
Text: Frank Fischer