Es war im Grunde eine spannende Idee. Man nehme eine wahre Begebenheit (die abenteuerliche Mission des Hauptmanns Fritz Klein), verknüpft diese mit dem Nibelungenlied, stülpt dem Ganzen noch ein wenig Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ über und verrührt das einmal ordentlich. Heraus kam aus diesem Schmelztiegel der Ideen Albert Ostermaiers dritter und letzter Nibelungenstreich „Glut. Siegfried von Arabien“.
Nichts ist schlimmer für eine Aufführung, als wenn nicht darüber gesprochen wird. Insofern kann sich der Münchner Autor mit dem Abschluss seiner Trilogie stolz auf die Schultern klopfen, denn kalt gelassen hatte das Stück niemand. Ganz im Gegenteil, vielmehr zeigten die Besucher nach der Aufführung einen regen Gesprächsbedarf. Das lag allerdings weniger daran, dass das zweieinhalbstündige Stück besonders kontrovers gewesen wäre, sondern vielmehr an dem Umstand, dass Ostermaier die Geschichte derart überladen erzählte, dass viele Zuschauer nur noch den sprichwörtlichen „Bahnhof“ verstanden. Ostermaier ließ seine Darsteller Erklärung auf Erklärung aufsagen, sodass auch der Letzte irgendwann kapiert hatte, dass man es hier nicht einfach mit Sommerunterhaltung zu tun hatte, sondern dass der Autor uns auch etwas mitteilen wollte. Zwischen Dschihadismus, Rassismus, Vorurteilen, Weltkritik, Gier, Neid, diversen traumatischen Erfahrungen, Schlangenbissen, Visionen und Agentenpoker ging allerdings die Kernbotschaft im Wüstensand verschüttet. Da konnte sich der talentierte Regisseur Nuran David Calis inszenatorisch noch so anstrengen. Calis bemühte sich, dem wortlastigen Treiben etwas Unterhaltung abzugewinnen, aber man merkte ihm an, dass dies keine leichte Aufgabe war.
Als Albert Ostermaier bereits Monate vor Probenbeginn erzählte, dass er zur Vorbereitung etliche Filme ansah, die in Zügen spielen, drängte sich die Frage auf, wie man eine Geschichte, die zu großen Teilen auf engstem Raum spielt, auf einer riesigen Bühne vor dem Dom publikumswirksam inszenieren kann. Es gibt wahrscheinlich einen Grund, warum man Agatha Christies Literaturklassiker „Mord im Orient-Express“ nicht unbedingt fürs Freilufttheater aufbereitet. Da halfen auch die Videoeinspieler nicht viel, die eigentlich für das Erzeugen von Intimität zuständig waren. Als inszenatorisches Problem erwies sich, dass Calis in die Überraschungskiste der letztjährigen Aufführung griff und glaubte, dass jene Gimmicks, die im letzten Jahr funktionierten, auch dieses Stück aufwerten könnten. Das funktionierte jedoch nur eingeschränkt. „Gold. Der Film der Nibelungen“ lebte von seinem Tempo und der damit erreichten inszenatorischen Dynamik, die einen schlicht und ergreifend so schnell mitriss, dass man kaum Zeit hatte, über Sinn oder Unsinn der Geschichte nachzudenken. Da Ostermaier sich allerdings in diesem Jahr darauf konzentrierte, den „Erklärbär“ zu geben und somit das Tempo erheblich drosselte, blieb für die Dynamik nicht mehr viel übrig. Ein wenig flotter wurde es nach der Pause. Der Zug war weg und die Truppe an ihrem Ziel angekommen, dem Königshof von Scheich Omar alias König Etzel alias Mehmet Kurtulus. Was folgte, waren orientalische Tänze nebst Musik, kraftvoller Operngesang und schließlich der große Auftritt des Wormsers Uwe Haas. Bewaffnet mit einem echten Flammenwerfer durfte er vor dem Dom noch ein paar ordentliche Feuerstrahlen in die sommerliche Nacht jagen, ehe der verdutzte Zuschauer in das traumhaft schöne Ambiente des Heylhofparks entlassen wurde.
Doch es gab natürlich auch Positives von der Aufführung zu berichten. Trotz schleppendem Tempo und verwirrender Erzählweise punktete das Spektakel auf der visuellen und akustischen Seite. Farbenprächtige Kostüme, eine raffinierte Ausleuchtung, die den Platz der Partnerschaft (inklusive Dom) für 14 Tage in eine persische Wüste verwandelte, ein von Irene Schicketanz liebevoll entworfener „Bagdad-Express“, eindrucksvoll dargebotene Opernarien und vor allem das gut aufgelegte, prominente Schauspielerensemble entschädigten für das zähe Treiben vor dem Westchor des Wormser Doms. Ebenso stimmig war das mediale Interesse. Selten zuvor gab es so viele Rezensionen über das Stück wie im vergangenen Jahr. Viele von denen waren zwar nicht unbedingt freundlich zu lesen (siehe Pressespiegel WO! 09/17), aber schließlich sagt eine alte Marketingweisheit: „Any PR is a good PR“. Zufrieden zeigten sich auch die Nibelungenfestspiel GmbH und die KVG angesichts einer Auslastung von rund 90 Prozent, sowie der Tatsache, dass man mit dem Mannheimer Modehaus Engelhorn einen neuen potenten Kooperationspartner vorweisen konnte. Für den Steuerzahler gab es die beruhigende Nachricht, dass man den Etat (Gesamtetat: 3,7 Millionen Euro) eingehalten hatte und abermals keine weiteren Zuschüsse der Stadt von Nöten waren. 2016 unterschritt man den Zuschuss sogar um 45.800 Euro. Der endgültige Abschlussbericht liegt allerdings erst im Frühjahr 2018 vor. Auch Intendant und Star-Produzent Nico Hofmann war glücklich über die Resonanz. Zwar räumte er im Gespräch bei den Theaterbegegnungen (06.08.2017) im Rahmen des Kulturprogramms ein, dass seine Mutter von dem Stück ebenso wenig begeistert war wie viele Kritiker, dennoch ist er der Meinung, dass sich die Festspiele auf dem richtigen Weg befinden. Der führt in diesem Jahr erst mal wieder zurück an den Wormser Königshof. Nach dramatischen Scharmützeln in der Wüste oder zuvor an einem Filmset, wird die Geschichte der neuen Aufführung „Siegfrieds Erben“ (20.07 bis 05.08.2018) wohl eher etwas klassischer ausfallen. Feridun Zaimoglu, der im vergangenen Jahr einen vielbeachteten Luther-Roman verfasste, schrieb zusammen mit seinem Autorenpartner Günter Senkel das neue Stück. Als Regisseur verpflichtete man den Schweizer Roger Vontobel, der aktuell Publikum und Presse mit seinen Opern-Inszenierungen „Aida“ und „Fidelio“ am Nationaltheater Mannheim begeistert.
Fazit: Auch wenn für viele Wormser die Festspiele 2017 weiterhin ein finanziell dicker Brocken waren, den man immer wieder reflektieren muss und auch kritisch sehen kann, sind die Strahlkraft und damit auch der wirtschaftliche Nutzen für die Stadt kaum wegzudiskutieren. Kultur ist teuer und oft nicht direkt in Erfolg messbar, dennoch prägt sie die Identität einer Stadt. Und die ist in Worms untrennbar mit der berühmten Burgunderfamilie verbunden.