Wie kann man die Leute in Wahlkampfzeiten ruhig halten? Der Klassiker ist wohl, dass man vor der Wahl etwas verspricht, was man dann nach der Wahl plötzlich nicht mehr halten kann. Eine ganz neue Variante haben SPD und CDU nun in der immer währenden Streitfrage um ein „Haus am Dom“ angewandt, denn hier hat man Anfang 2014 zur Bürgerberuhigung einen Stadtratsbeschluss gefasst, an den sich heute keiner mehr erinnern, geschweige denn, daran halten will. Die FWG Bürgerforum wirft dem Stadtvorstand deshalb eine „beispiellose Ignoranz bei der Umsetzung von Ratsbeschlüssen“ vor.
Am 29.01.14 beschloss der Stadtrat in einem von SPD und CDU initiierten Antrag „die Verwaltung zu beauftragen, den südlichen Domvorplatz und den ehemaligen Kreuzgang“ neu zu gestalten. Dabei sollte sich eine „offene Projektgruppe“ aus Denkmalpflege, Architekten, Stadtplanern, bürgerschaftlich engagierten Organisationen (z.B. Bürgerverein Dom-Umfeld) und Grundstückseigentümern konstituieren, die das gesamte Domumfeld im Hinblick auf dessen historische und heutige Bedeutung, unter Berücksichtigung der Wirkung des Wormser Kaiserdoms, bewerten und einer neuen und veränderten Gestaltung zuführen sollten. Seitdem sind fast zwei Jahre vergangen, in denen in dieser Hinsicht rein gar nichts passiert ist. Es hat weder eine Projektgruppe noch eine Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern gegeben. Auch der überraschende Fund einer Taufpiscina vor wenigen Monaten hat gezeigt, dass sich in diesem Domumfeld vielleicht noch weitere, das Domumfeld aufwertende Schätze verbergen könnten, was eine Gesamtplanung noch dringender erforderlich macht. Der Fraktionsvorsitzende von FWG-Bürgerforum, Mathias Englert, wollte nun wissen, wie weit der Ratsbeschluss vom Januar 2014 umgesetzt wurde und hatte zur letzten Stadtratssitzung am 18. November 2015 eine entsprechende Anfrage gestellt. Die Antwort von Oberbürgermeister Kissel war für Englert und seine Fraktion ernüchternd. Die Verwaltung sieht weder einen „fachlichen Sinn“ noch „Ansätze für eine Neugestaltung des südlichen Domumfeldes“. Für Englert und seine Fraktion ist klar, dass die Stadtverwaltung aus dem Konflikt um das geplante „Haus am Dom“ nichts gelernt und kein Interesse hat, wenigstens den jetzigen Status an der Südseite des Domes zu verbessern.
„Wenn morgen ein der Domgemeinde und dem OB gewogener Investor kommt und an der Andreasstraße vor dem Domplatz, ein fünfstöckiges Gebäude errichten will, so wird die Verwaltung das genehmigen müssen, da es dort keine Instrumente zur bauplanerischen Gestaltung gibt“,
so FWG-Stadtratsmitglied Steffen Landskron. Sein Parteikollege Mathias Englert geht noch einen Schritt weiter, er wirft dem OB vor, „in feudalabsolutistischer und selbstherrlicher Manier“ Stadtratsbeschlüsse zu ignorieren.
„Dabei teilt der OB dem Rat nicht einmal mit, weshalb dessen Beschlüsse vorgeblich nicht umgesetzt werden können. Er sitzt das Ganze einfach aus, will uns dumm sterben lassen und hofft, dass Gras über die Sache wächst. Mit demokratischer Kultur hat das längst nichts mehr zu tun, ich habe mich seit 2003 für mehr direkte Demokratie eingesetzt, werde das auch weiterhin tun und OB Kissel an seinen Taten messen.“
FWG-Bürgerforum kritisiert, dass der damalige Antrag von SPD und CDU nur dazu gedient habe, die Bürgerschaft zu täuschen und einzulullen.
„Für diese Parteien ist Bürgerbeteiligung nur vor irgendwelchen Wahlen wichtig. Wenn sie dann gewählt sind, ist den OB-hörigen Stadtratsmitgliedern der Bürgerwille völlig egal. Schließlich standen damals Kommunalwahlen an, da wollten Dr. Klaus Karlin (CDU) und Timo Horst (SPD) „das Thema vom Tisch haben“,
so Mathias Englert abschließend. Erschwerend kommt hinzu, dass die vier Monate nach dem Stadtratsbeschluss stattgefundene Kommunalwahl gar nicht den viel befürchteten Denkzettel für die beiden größten Parteien im Wormser Stadtrat gebracht hatte. Von daher wird man sich erst recht nicht gedrängt gefühlt haben, den damaligen Beschluss umzusetzen und muss jetzt nur noch den Widerstand derer aushalten, denen der Dom und sein Umfeld immer noch am Herzen liegen. Alle anderen haben sowieso längst resigniert und abgehakt, dass der Bürgerwille auch nur irgendeine Rolle in diesem unsäglichen Streit spielen könnte.