Das Gespräch führten: Dennis Dirigo und Frank Fischer

WO! Welche Bedeutung hat Kissels Niederlage für die SPD?
GUTH: Wenn man als Volkspartei drei Jahrzehnte den Oberbürgermeister gestellt hat, zunächst 15 Jahre Fischer, dann 16 Jahre Kissel, ist das schon ein großer Einschnitt für eine Partei. Michael Kissel ist Teil der SPD, aber er ist nicht die SPD. Wir haben in Worms noch 1100 Mitglieder und wir sind ein Team. Wenn eine Amtszeit endet, ist auch immer eine Neuausrichtung der Partei notwendig und das ist uns mit dem letzten Parteitag auch gelungen. Unsere Kandidatenliste enthält einen Generationenwechsel mit vielen neuen Gesichtern.
HORST: Man merkt auch, dass eine neue Dynamik innerhalb der Partei herrscht. Wir stellen mehr Anträge im Stadtrat und wollen Themen frühzeitig besetzen. Wir sind mit den Menschen vor Ort im Dialog – egal ob in der Wirtschaft, bei Sozialverbänden oder bei Kitas – um den Draht zu der Bevölkerung herzustellen und zu zeigen: Wir sind da und wir sind auch wichtig für die Stadt! Es gibt eine gute Sozialstruktur in der Stadt und dafür wollen wir auch weiterhin kämpfen.

WO! War es wirklich nur eine persönliche Niederlage Kissels und warum fiel diese so eindeutig aus?
GUTH: Das hat verschiedene Gründe. Wenn man 16 Jahre OB ist, tritt man manchen Leuten auf die Füße, man kann es nicht allen recht machen. Es gab auch Themen in der Stadt, die polarisiert haben, „Hoher Stein“ beispielsweise. Beim Thema „Haus am Dom“ hat er sich frühzeitig an die Spitze der Befürworter gestellt und ignoriert, dass es auch 16.000 Stimmen dagegen gab, unter anderem auch meine. Andererseits hat er aber die Stadt in vielen Dingen voran gebracht, auch das gilt es rückblickend zu bewerten. Eine Wahl ist aber kein Erntedankfest, denn die Wähler wollen auch wissen, wie es zukünftig weiter geht. Wenn man mit Mitte 60 noch einmal antritt und wird dann für acht Jahre, nicht etwa nur vier, gewählt, hat das bei vielen zu der Bewertung geführt, dass man einen Wechsel möchte.

WO! Die Wahl fiel sehr deutlich auf Adolf Kessel. Wie ist Ihr Verhältnis?
GUTH: Mit Adolf Kessel, mit dem ich seit zehn Jahren im Landtag zusammenarbeite, pflege ich ein gutes bis freundschaftliches Verhältnis, d.h. wenn wir beide etwas vereinbaren, dann gilt das. Von daher ging mein erster Gang nach der Wahl zu Adolf Kessel, um ihm zu gratulieren und ihm zukünftig die Zusammenarbeit – im Sinne der Stadt – anzubieten. Wir haben als SPD noch einiges vor und wollen, dass an manchen Stellen das Rad nicht zurück gedreht wird. Ich habe bereits auf dem Parteitag betont, dass ohne uns die Wohnungsbau schon privatisiert worden wäre, so wie in anderen Städten geschehen. Heute brauchen wir die Wohnungsbau GmbH dringender denn je, um sozialen Wohnraum zu schaffen.

WO! Herr Horst, Sie hatten in diesem Zusammenhang mal das Thema Wohnraumbindung erwähnt…
HORST: Es geht darum, dass man bei Neubauvorhaben eine Klausel mit einbaut, die den Bauträger verpflichtet, mindestens 25% sozialen Wohnraum zu schaffen. Die Mainzer machen das sehr erfolgreich und wir fordern das auch.

WO! Ist das bei der jetzigen Konstellation des Stadtrates überhaupt durchsetzbar?
GUTH: In vier Monaten wird gewählt, dann findet sich eine neue Mehrheit im Stadtrat und wir hoffen, dass wir dabei mit am Tisch sitzen. Solche Dinge würden wir in eine Kooperationsvereinbarung mit einbringen.

WO! Warum hat die SPD nicht schon früher etwas in diese Richtung unternommen? In Herrnsheim im Neubaugebiet wurden seinerzeit die Grundstücke höchstbietend versteigert…
HORST: Dieses Gebiet war insofern speziell, weil es dort eine Förderung für umweltverträgliches Bauen gab, so dass sozialer Wohnungsbau nicht umsetzbar war. Aber davon abgesehen bin ich bei Ihnen. Die ADD fordert immer wieder von uns, dass wir Grundstücke meistbietend verkaufen sollen. Der richtige Weg wäre aber, unsere Wohnungsbau GmbH öfters an Grundstückskäufen zu beteiligen, denn da wissen wir sicher, dass bezahlbarer Wohnraum entsteht.

WO! Auf der Kandidatenliste der SPD stehen 64 Kandidaten, davon sind 17 Frauen. Auch der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund ist sehr gering. Warum ist so schwer, Menschen mit Migrationshintergrund für Politik zu begeistern?
GUTH: Widerspruch. Wir haben tolle Kandidaten mit Migrationshintergrund auf der Liste, auch auf den vorderen Plätzen. Pavel Zolotarev (Platz 7), Carlo Riva (19), Alexandros Stefikos (20), Serda Uzatmaz (25). Um aber die Frage zu beantworten. Wir können nur das Angebot machen, sich politisch zu engagieren. Es bringt aber nichts, jemanden zu überreden. Es muss die Bereitschaft vorhanden sein, die Stadt mit gestalten zu wollen.

WO! Die Bundes SPD ist im Sinkflug. Wird sich der Negativtrend auch auf die Kommunalwahl auswirken?
HORST: Wir werden wohl eher keinen Rückenwind aus Berlin erhalten. Aber eine Kommunalwahl ist in erster Linie eine Personenwahl. Ich bitte die Wähler deshalb, genau darauf zu achten, mit welchen Personen und welchen Themen die Parteien in die Wahl gehen, wer die Stadt voranbringen will – und nicht, was in Berlin oder Mainz passiert.

WO! Ihr habt auf dem Parteitag erwähnt, dass sich die Partei großen Herausforderungen bei der Kommunalwahl stellen muss. Was ist konkret damit gemeint?
GUTH: Zum einen höre ich die AfD an die Rathaustür klopfen. Ich höre seit drei Jahren im Landtag, wo die AfD vertreten ist, immer wieder, welche widerlichen Positionen dort vertreten werden….

WO! Was bedeutet aber die AfD auf kommunaler Ebene? Was kann die AfD bewirken?
GUTH: Wir müssen zunächst die Leute überzeugen, dass sie mit der Wahl der AfD keinen Gewinn für die Gesellschaft bewirken. Ich höre immer wieder von Wählern, dass sie AfD wählen aus Protest gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Man muss an dieser Stelle aber mal ganz klar sagen: Wenn die AfD im Stadtrat vertreten ist, wird sie keinen einzigen Flüchtling verhindern und erst recht keinen abschieben.

WO! Das Mobilitätskonzept 2030 der Stadt sieht vor, dass man den Anteil an Autos im Straßenverkehr von derzeit 64% auf 50% senken will. Wie will man das schaffen?
HORST: Man kann den Anteil an Radfahrern nur erhöhen, in dem man ihnen Angebote macht. Wir fordern seit langem eine ordentliche Radverbindung zwischen Heppenheim und Pfeddersheim, so eine, wie sie zwischen Horchheim und Pfiffligheim existiert. Wir überlegen seit längerem, wie man Pfiffligheim besser an Pfeddersheim anbindet. Es gibt auch viele Fahrradwege, die irgendwann im Nirgendwo enden, die es zukünftig anzubinden gilt.
GUTH: Wir dürfen aber auch die Autofahrer nicht verteufeln. Zu einem stimmigen Verkehrskonzept gehört auch die B47 neu, die den Verkehr erheblich entlasten wird.

WO! Herr Guth, Sie haben auf dem Parteitag auch Kritik am Bürgerservice geübt. Was läuft dort konkret schief?
GUTH: Das liegt zum einen natürlich an den räumlichen Gegebenheiten. Wir haben mit den Plänen für das Rathaus 2 bereits die Grundlage für einen Umzug gelegt. Das Andreasquartier ist bereits gekauft, aber es fehlt noch ein wenig Dynamik in der Sache. Zum anderen arbeiten die Mitarbeiter dort größtenteils noch mit Papier. Da fragen wir: Warum kann man die meisten Sachen nicht online erledigen?
HORST: Es liegt auch nicht an den Mitarbeitern. Die machen im direkten Kontakt mit den Bürgern einen Knochenjob – nicht jeder ist immer freundlich zu ihnen. Von daher wird man über kurz oder lang den Bürgerservice nur mit höherem Personal aufrecht erhalten können, damit die langen Wartezeiten der Vergangenheit angehören. Unser Ziel muss es sein, eine gute Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürgern zu erreichen. Der Kontakt zum Bürgerbüro ist oftmals die erste Begegnung mit der Verwaltung, dabei muss alles reibungslos funktionieren.

WO! Die Krux an der Sache ist natürlich, dass die Stadt kein Geld für mehr Personal hat, in anderen Bereichen fehlt dies ja auch. Wie kann aber die Stadt ihren Schuldenberg abtragen und wahlweise entweder sparen oder mehr Einnahmen generieren?
HORST: Wir hatten bereits in den letzten beiden Jahren einen ausgeglichenen Haushalt nach Rechnungsergebnis. Aber wir brauchen auch noch eine stärkere Unterstützung von Bund und Land. Insbesondere vom Bund, der in den letzten Jahren stets einen Milliarden- Überschuss erzielt hat. Der Bund kommt immer öfter zu den Kommunen mit guten Dingen, die sinnvoll sind und die wir dann umsetzen dürfen, aber eben auch zahlen müssen. Der Bund hat viele Probleme, die aber nur im Kleinen von den Kommunen gelöst werden können. Dafür brauchen wir aber die entsprechende Unterstützung.

WO! Immer nur Unterstützung von anderen fordern, klingt aber nicht sehr kreativ…
HORST: Wir haben gerade heute Morgen mit der IHK zusammen gesessen und über die Themen Technologiepark, Digitalisierung und Anziehung von digitalen Unternehmen unterhalten. Diese entwickeln eine relativ hohe Wertschöpfung. Wir waren auch schon bei dem Wormser Spieleentwickler Kalypso Media GmbH. Unser Ziel muss es sein, noch mehr solcher Unternehmen, auch in Zusammenarbeit mit der HS Worms, hierher zu bekommen. Ohne das produzierende Gewerbe zu vernachlässigen, müssen wir das Thema Technologie besetzten. Dadurch können wir höhere Steuereinnahmen generieren. Das ist die Strategie, die ich mir vorstellen kann.
GUTH: Wir müssen viel mehr mit unserer Hochschule kooperieren, die gerade eine Gründerwerkstatt gegründet haben. Da gibt es jede Menge Existenzgründungen und unser Ziel muss es sein, diese in Worms zu halten.
HORST: Wir haben aber auch gegenüber der IHK betont, dass wir nicht an der Gewerbe- oder Grundsteuerschraube nach oben drehen wollen.

WO! Am Parteitag der SPD habt ihr angekündigt, mehr Bürgerentscheide durchzuführen. Warum war das zuvor nicht möglich, schließlich ist die SPD bereits seit vielen Jahren die größte Stadtratsfraktion und stellte überdies den Oberbürgermeister?
HORST: Es ist ja kein Geheimnis, dass die SPD beispielsweise beim Thema „Haus am Dom“ gerne eine Bürgerbefragung durchgeführt hätte. Die Domgemeinde hat dies leider verneint und aus rechtlichen Gründen konnte kein Bürgerentscheid erzwungen werden. Dies hat das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil bestätigt. Wenn es sich künftig um Projekte beispielsweise auf städtischem Grund und Boden handelt, wollen wir Bürgerentscheide auf den Weg bringen.

WO! Gibt es konkrete Gedanken, auf was sich die Bürgerbeteiligung beziehen soll?
GUTH: Was leider bisher nur unzureichend funktioniert hat, war der Haushalt im Dialog. Die Teilnehmerzahl und der Output waren sehr gering. Es gibt in anderen Kommunen beispielsweise einen Bürgerpanel, bei dem Bürgerinnen und Bürger in repräsentativer Zusammensetzung (Alter und Geschlecht) regelmäßig zu bestimmten Themen befragt werden. Außerdem wollen wir mehr Bürgerbeteiligung, insbesondere wenn es um Maßnahmen geht, die das Bild unserer Stadt verändern. Dazu bietet die Digitalisierung neue Möglichkeiten.

WO! Abschließend: Welches Ergebnis strebt die SPD Worms bei der Kommunalwahl an?
GUTH/HORST: Wir wollen wieder stärkste Fraktion im Wormser Stadtrat werden.