Frage: Wissen Sie, liebe Leserinnen und Leser, was derzeit genau erlaubt ist und was nicht? Nein? Dann geht es Ihnen wie vielen anderen Bürgern. Nach gerade mal sechs Wochen der Krise, wobei sich diese bereits nach einer Ewigkeit anfühlt, gibt es in Rheinland-Pfalz schon die 5. Corona Bekämpfungsverordnung RLP (5. CoBeLVO). Für den Laien erschließt sich allerdings nicht jedes Geheimnis hinter den Paragrafen.

Es ist eines der Schlagworte im Kampf gegen das Corona Virus: Social Distancing oder die Kontaktsperre, die ein weitreichender Eingriff in das Leben vieler Bürger ist, um die Pandemie einzudämmen. Eine Maßnahme, die, mit wenigen Ausnahmen, in allen betroffenen Ländern Anwendung findet. Doch wie weit darf ein demokratischer Staat in das Leben seiner Bürger eingriffen, um das Leben anderer zu schützen? Unterhält man sich mit Menschen auf der Straße und durchstreift die Sozialen Netzwerke, merkt man schnell, dass die Meinungen weit auseinandergehen. Nicht erleichtert wird die Diskussion durch bundesweit unterschiedliche Verordnungen. Gilt im Saarland aktuell noch eine Ausgangssperre, beschränkt sich in Rheinland-Pfalz der Kampf gegen Corona auf eine Kontaktsperre. Auch kommunal unterscheiden sich die Verordnungen im Detail.

Aber wo genau gilt die Kontaktsperre?
Klar ist, dass nach §4 der 5. CoBeLVO im Absatz 1 der Aufenthalt im öffentlichen Raum eingeschränkt ist. Dort heißt es, dass der Aufenthalt nur alleine oder mit einer weiteren, nicht im Haushalt lebenden Person und im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands zulässig ist. Ebenfalls hat man in der Öffentlichkeit, wo immer möglich, bei Kontakt mit anderen Personen einen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Doch was heißt das für den privaten Bereich? Wir stellten Politikern und anderen Wormsern diese Frage und bekamen erstaunlich unterschiedliche Antworten. Während die Landtagsabgeordnete Stefanie Lohr (CDU) die Auffassung vertrat, dass zumindest eine weitere Person als Besuch gestattet sei, stand für Stadtrat Timo Horst (SPD) fest, dass die Kontaktsperre auch für den häuslichen Bereich gilt. Immer wieder geisterten zusätzlich Gerüchte durch die Straßen und im Internet, in denen von illegalen Grillpartys im heimischen Garten berichtet wurde, die von der Polizei aufgelöst und mit einem Bußgeld belegt wurden. Auch Oberbürgermeister Adolf Kessel stellten wir diese Frage und baten um Aufklärung. Die Antwort: „Nein, es gibt keine Kontaktsperre für den häuslichen Raum!“ Kessel erklärt hierzu, dass eines der höchsten Grundrechte in unserem Rechtsstaat die Unverletzlichkeit der Wohnung sei (Artikel 13), sprich, die Einflussnahme des Staates endet vor der eigenen Haustür, außer es liegt ein richterlicher Beschluss vor.

Wie konnte es zu dieser Unklarheit kommen?
Natürlich macht eine Kontaktsperre im Kampf gegen eine Pandemie nur Sinn, wenn man auch die Kontakte zuhause auf ein Minimum beschränkt und keine Corona Abrissparty feiert. Im Wissen um das hohe Gut der räumlichen Privatsphäre hat die Politik einen rhetorisch geschickten Weg gewählt, insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel. In ihrer Rede am 22. März zu den beschlossenen Maßnahmen sprach sie auch von der Kontaktsperre, vom Verzicht und von Opfern, die zu erbringen seien, und sie unterstrich dies mit dem Satz, dass das alles keine Empfehlungen, sondern Regeln seien. Einen Hinweis darauf, dass das im Privaten nicht gilt, ließ sie einfach weg. Den Rest erledigte die Furcht der Bürger vor Covid-19. Schon kurz darauf wurde bei Facebook munter darüber diskutiert und mit der Unerschütterlichkeit der Gewissheit von Einzelnen in Großbuchstaben erklärt: „Wir haben KONTAKTSPERRE!“. Wer zusätzlich noch die Verordnung las, wurde möglicherweise durch den zweiten Absatz des §4 verunsichert. Dort heißt es in juristisch fachgerechter Sprache: „Jede übrige, über Absatz 1 Satz 1 hinausgehende Ansammlung von Personen (Ansammlung) ist vorbehaltlich des Selbstorganisationsrechts des Landtags und der Gebietskörperschaften untersagt“. Ein zweideutiger Satz, der Raum zur Interpretation bietet. Wo genau sollen diese Ansammlungen nicht stattfinden? Ist damit womöglich die eigene Wohnung gemeint? Nein, sagt Kessel und erläutert, dass auch diese Regel nur für den öffentlichen Raum gilt. Letztlich war es im Sinne der Politik, dass die Kontaktsperre ungefragt auf den privaten Bereich ausgedehnt wurde und Millionen von Bürgern darauf verzichteten, sich mit Freunden zu treffen. Dennoch ist es ein Musterbeispiel dafür, wie sich Dinge verselbstständigen und Interpretationen zu vermeintlichen Wahrheiten werden.