WO! Ein Großteil der Fallzahlen und Sterbefällen, die seit Anfang des Jahres verzeichnet werden, stehen in Zusammenhang mit Altenheimen. Eine Ausgangssperre erscheint zunächst das falsche Instrument zu sein. Warum also eine neue Allgemeinverfügung, die alle Bürger betrifft?

Adolf Kessel: Wir haben momentan einen hohen Infektionswert und es zeigt sich, dass seit Jahresbeginn die Zahlen steigen. Aus unserer Sicht bedeutet das, dass natürlich die Gefahr besteht, dass auch Risikogruppen vermehrt infiziert werden können. Zunächst haben wir einen Appell an die Bevölkerung gerichtet, der allerdings nicht zur gewünschten Absenkung der Zahlen führte. Nach einer weiteren Steigerung sahen wir uns gezwungen, eine neue Allgemeinverfügung auf den Weg zu bringen. Ziel ist es, sämtliche Kontakte zurückzufahren und damit die Zahl der Neuinfektionen zu senken.

WO! Dennoch nochmal die Frage, die meisten Fälle stehen in Verbindung mit Pflegeeinrichtungen, warum also eine Ausgangssperre?

Adolf Kessel: Wir haben uns das natürlich nicht einfach gemacht und gemeinsam mit dem Gesundheitsamt Alzey-Worms genau die Entwicklung angeschaut. Dabei fiel uns auf, dass insbesondere in der Innenstadt und Innenstadt-West die Zahlen sehr stark steigen. Das legt den Verdacht nahe, dass es in diesem Bereich in Worms einen Infektionsherd gibt. Eine konkrete Rückverfolgung ist leider kaum noch möglich. Diese Situation haben wir mittlerweile in 90 Prozent aller Fälle. Außerdem müssen wir auch dringend das Klinikum entlasten.

WO! Haben Sie eine Übersicht, wie die Situation derzeit im Klinikum ist?

Adolf Kessel: Hierbei geht es nicht nur um die reine Bettenbelegung. Mein letzter Stand ist, dass sich 39 Personen aus Worms und dem Landkreis zur Behandlung im Klinikum befinden, davon sind 10 Personen auf der Intensivstation, von denen wiederum fünf beatmet werden (Anm. der Redaktion: Das Klinikum Worms verfügt über 34 Intensivbetten, die aber auch für weitere Notfallpatienten benötigt werden. Zusätzlich gibt es 30 Beatmungsgeräte). Wichtig ist uns, das Personal zu entlasten, da diese Zwischenzeitlich „auf dem Zahnfleisch gehen“ und wir natürlich vermeiden wollen, dass Mitarbeiter durch Überlastung ausfallen

WO! Ist es realistisch, mitten im Winter den Inzidenzwert unter die Zielmarke von 50 senken?

Adolf Kessel: Dieser Wert dürfte wahrscheinlich erst im Frühjahr erreicht werden. Allerdings ist es durchaus realistisch, den Wert unter 200 zu bringen. Bei den Maßnahmen orientieren wir uns an Speyer. Die hatten zeitweise einen Inzidenzwert von über 500. Mittlerweile liegt er bei ungefähr 130. Mit einer solchen Zahl kann man die Allgemeinverfügung wieder lockern. Ich kann mir vorstellen, dass die Begrenzung des Bewegungsradius dann wieder wegfällt.

WO! Noch am Wochenende sagten Sie der Wormser Zeitung, dass eine Begrenzung des Radius nicht vorgesehen ist. Nun also doch. Warum?

Adolf Kessel: Wie bereits erwähnt, müssen wir uns mit dem Land abstimmen. Das zuständige Ministerium erklärte uns, dass die Maßnahmen nicht ausreichen. Dort bestand man auf die Begrenzung des Radius.

WO! Wann darf dieser Radius überschritten werden?

Adolf Kessel: Natürlich ist es immer noch möglich, familiäre Besuche zu tätigen. Das Hauptziel ist, das Ansteuern von touristischen Zielen zu vermeiden.

WO! Das heißt, ein Besuch zum Einkauf in der Metro in Ludwigshafen ist auch mit dieser Allgemeinverfügung noch möglich?

Adolf Kessel: Ja, wenn Sie dort einkaufen müssen, ist das natürlich möglich.

WO! In der Allgemeinverfügung steht auch, dass ab Mittwoch in der Fußgängerzone wieder eine Maskenpflicht gilt. Das klingt in Anbetracht des Lockdowns, der aus der Fußgängerzone eher eine Geisterzone macht, etwas kurios.

Adolf Kessel: Da haben Sie durchaus Recht. Auch das war eine Forderung des Landes.

WO! Ist das nicht einfach nur Symbolpolitik?

Adolf Kessel: Auch da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Natürlich ist es nicht so einfach, sich selbst bei einer Begegnung in der Fußgängerzone unter freiem Himmel zu infizieren. Es geht wohl eher darum, die Menschen symbolhaft an unsere angespannte Situation zu erinnern.

WO! Macht es dann nicht mehr Sinn, die Menschen dafür zu sensibilisieren, richtige Masken zu tragen? Es fällt auf, dass sich eine gewisse Routine bei vielen eingeschlichen hat. Menschen tragen einfache Stoffmasken oder die hellblauen OP Masken, die man allerdings nur vier Stunden tragen darf. Ansonsten bieten diese beiden Varianten keinerlei Fremdschutz und könnten damit auch ein Infektionstreiber sein!

Adolf Kessel: Ich denke, dass das Thema für viele durch ist und man da nicht mehr viel erreicht. Leider gibt es immer noch zu viele Menschen, die die Situation verharmlosen. Aber vielleicht können Sie in Ihrem Magazin das Thema noch mal aufgreifen.

WO! In der Pressemitteilung der Stadt heißt es, dass beim Verlassen des Hauses nach 21 Uhr kein schriftlicher Nachweis nötig ist, dennoch aber von Polizei und Vollzugsdienst kontrolliert wird. Was heißt das? Wie können diese ohne Nachweis beurteilen, ob ein Grund triftig ist oder eben nicht?

Adolf Kessel: Ich vertraue da auf die Polizei, dass sie das richtig einschätzen können. Wie Sie wissen, war ich ja selbst bei der Polizei. Im Laufe der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, ob die glaubhafte Versicherung, dass man einen triftigen Grund hat, der Wahrheit entspricht oder eben nicht. Im Zweifelsfall wird es passieren, dass ein Bußgeld zunächst ausgesprochen wird bzw. eine Anzeige erstattet wird. Sie bekommen dann schriftlich die Möglichkeit, sich dazu zu äußern und im Anschluss wird entschieden. Auf jeden Fall sollte man die Ausgangssperre nicht auf die leichte Schulter nehmen. Immerhin beträgt das Bußgeld 500 Euro.

WO! Die Achillesverse in dieser zweiten Welle sind abermals Pflegeeinrichtungen. Was kann die Stadt tun, um diese zu unterstützen?

Adolf Kessel: Wir möchten, dass alle Heime zentrale Anlaufstellen für die Besucher einrichten, wo diese am selben Tag ihres Besuchs einem Schnelltest unterzogen werden. Hierbei unterstützen und vermitteln wir.

WO! Die Heime klagen über Personalproblematiken und erklären, dass die Tests in diesem Umfang nicht über das eigene Personal gemacht werden können. Gibt es hierbei Unterstützung?

Adolf Kessel: Als Stadt haben wir unlängst einen Aufruf gemacht, dass sich ehrenamtliche Personen melden, die Erfahrungen in der Pflege haben und motiviert sind, einfache Tätigkeiten zu übernehmen, sodass wieder freie Kapazitäten geschaffen werden. Zusätzlich treiben wir natürlich die Impfungen voran. Im Remeyerhof, der zuletzt im Fokus stand, wird diese Woche geimpft.

WO! Gibt es schon Altenheime, die in Worms komplett geimpft sind?

Adolf Kessel: Bisher trifft das auf das Seniorenzentrum des DRK in der Eulenburgstraße und das Burhkhardhaus der Caritas zu.

Herr Kessel, wir danken Ihnen für das Gespräch. Das Gespräch wurde geführt von Dennis Dirigo

Weiter Informationen zur Allgemeinverfügung: https://wo-magazin.de/stadt-muss-bewegungsradius-doch-einschraenken-allgemeinverfuegung-gilt-ab-13-01/

https://wo-magazin.de/corona-aktuell-stadt-worms-11-01/