Die Corona Politik der Bundesregierung

Dass mittlerweile immer mehr Medien der Bundesregierung Staatsversagen bezüglich ihrer Corona Politik vorwerfen, lässt aufhorchen. Schließlich waren die „Mainstreammedien“ zuvor eher bekannt dafür, die Maßnahmen der Bundesregierung wohlwollend zu begleiten. Aber mal ehrlich: Wer kann die Frage schon positiv beantworten, dass man sich nach über einem Jahr Pandemie und fast einem halben Jahr Dauerlockdown immer noch gut regiert fühlt?

Es fällt nicht schwer, in diesen Tagen über unsere Regierung zu schimpfen. Der Hauptvorwurf: Während Millionen Menschen in Deutschland in Kurzarbeit stecken oder ihre Jobs verloren haben, machen Politiker – wohlgemerkt: bei vollen Bezügen – ihre Hausaufgaben nicht oder zumindest nicht richtig. Fühlte man sich im ersten Lockdown im März 2020 noch gut aufgehoben bei Merkel & Co., so hat sich das ab dem zweiten Lockdown massiv geändert. Seit fünf Monaten hört man hauptsächlich Durchhalteparolen wie „Ich weiß, wie schwer es ist, wenn man Kinder zuhause hat“, obwohl unsere Kanzlerin genau das eben nicht weiß. Für Eltern ist jeder Tag eine neue Herausforderung, viele Selbständige kämpfen täglich um ihre Existenz, aber außer einem neuerlichen Lockdown, der nun schon fünf Monate anhält, fällt der Regierung nichts ein. Zeitweise war in der CDU/ CSU sogar die K-Frage – Laschet oder Söder? – wichtiger als die Bekämpfung der Corona Pandemie. Vermutlich wollte man damit aber auch nur von der größten Sauerei, dem Korruptionsskandal im Zusammenhang mit Maskendeals in den eigenen Reihen, ein Stück weit ablenken. Überhaupt hat man zunehmend das Gefühl, dass es hauptsächlich darum geht, von der verfehlten Politik und den eigenen Fehlern abzulenken. Denn davon gibt es zuhauf. Nach wie vor wird gepfuscht oder an den falschen Stellschrauben gedreht. Die Chronologie der Fehler und Versäumnisse ist mittlerweile ellenlang. Erst wurden vor der zweiten Welle im Herbst die Alten- und Pflegeheime mit sehr viel Verspätung durch regelmäßige Tests besser geschützt. Andere Baustellen sind schon länger bekannt, aber es ist trotzdem bisher wenig passiert. Im Unterricht müssen Schüler Masken tragen, nach der Schule an der Bushaltstelle 1,50 Meter Abstand halten, um dann in einen völlig überfüllten Bus zu steigen. Auch hätte man nach über einem Jahr zwischenzeitlich jede Schule mit Filteranlagen ausstatten können. Während jede weitere Woche Lockdown vier Milliarden Euro kostet, wird hier im Kleinen gespart. Schon Jahre bevor Arbeitsminister Hubertus Heil „Home-Office für alle“ gefordert hat, war dies bei Privatunternehmen längst schon gang und gäbe. Problematisch wird es allenfalls bei Behörden oder staatlichen Einrichtungen, bei denen Home-Office immer noch unterdurchschnittlich stattfindet. Anstatt aber vor der eigenen Haustüre zu kehren, wird öffentlich darüber diskutiert, wie viele Personen aus einem fremden Hausstand man noch empfangen darf und man verordnet eine nächtliche Ausgangssperre. Glaubt man ernsthaft, dass sich junge Leute, denen schon ein Jahr in der Blüte ihres Lebens gestohlen wurde, deswegen nicht mehr privat treffen?

DER KARDINALSFEHLER

Die Gesundheitsämter sind immer noch nicht ausreichend digitalisiert, die versprochene Aufrüstung des Gesundheitswesens durch mehr Pflegepersonal hat noch nicht stattgefunden und es gibt nach wie vor zu wenig Impfstoff. Vor allem aber gibt es zu wenig belastbare Zahlen über das Virus und dessen Ansteckungswege. Wie der FOCUS am 29.04.21 berichtete, hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben nicht einmal Kenntnis vom Durchschnittsalter der Covid-19 Patienten auf deutschen Intensivstationen. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage der FDP mit. Demnach müssen die Krankenhäuser zwar täglich ihre Behandlungskapazitäten sowie etwa die Zahl der entlassenen Patienten und Patientinnen übermitteln. Daten über das (Durchschnitts-) Alter von Covid-19-Patientinnen und Covid-19-Patienten mit intensivmedizinischem Behandlungsbedarf fallen aber nicht darunter. Gesundheitsexperten wie Karl Lauterbach warnen immer wieder vor den Corona Langzeitfolgen, Stichwort: Long-Covid. Tatsächlich gibt es aber keine zentrale Datenbank, aus der hervorgeht, wieviel Covid-19-Patienten tatsächlich mit Spätfolgen zu kämpfen haben bzw. wie diese konkret aussehen. Mit der Öffnung von Schulen und Kindergärten war klar, dass die Infektionen unter jungen Leuten zunehmen würden. Wenn man aber beim Gesundheitsamt nachfragt, wie viele von den positiv getesteten Kindern oder Jugendlichen überhaupt Krankheitssymptome aufweisen, erntet man nur ein Schulterzucken. Statistisch erfasst wird man erst wieder, wenn man stationär ins Krankenhaus aufgenommen werden muss. Ein Tabuthema ist auch die Frage, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund vom Coronavirus betroffen sind. Dazu passen Beobachtungen, dass man das Virus in anderen Kulturkreisen nicht ganz so ernst nimmt. Aber auch hierzu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Vermutlich ist das aber politisch gewollt.

Bleibt festzuhalten: Nach über einem Jahr Pandemie sollte man als Normalbürger meinen, dass in Deutschland genug Daten gesammelt wurden, um mit verlässlichen Statistiken sagen zu können, wo die größten Virusherde entstehen. So langsam sollten alle Bürger ihre persönlichen Schutzmaßnahmen „gelernt“ haben und zu bekämpfende Infektionsherde erkannt worden sein. Aber in der größten Krise des Landes entpuppt sich Deutschland als digitales Entwicklungsland. Nicht einmal mehr auf die deutsche Bürokratie kann man sich verlassen.

AEROSOL-EXPERTEN MELDEN SICH ZU WORT

Auch führende Aerosolforscher aus Deutschland warnen vor kontraproduktiven Anti-Corona-Maßnahmen und fordern von der Politik einen Kurswechsel bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Da die Gefahr einer Ansteckung hauptsächlich in Innenräumen gegeben sei, sei es kontraproduktiv, die Leute zuhause einzusperren: „Wer sich zum Kaffee in der Fußgängerzone trifft, muss niemanden in sein Wohnzimmer einladen.“ Von daher seien Debatten über das Flanieren an Rheinpromenaden, Joggen oder Radfahren im Freien völlig unnötig, da hier kaum Ansteckungsgefahr bestehe. Auch die Ausgangssperren kritisieren die Forscher in einem Brief an die Bundesregierung und an die Landesregierungen: „Die heimlichen Treffen in Innenräumen werden damit nicht verhindert, sondern lediglich die Motivation erhöht, sich den staatlichen Anordnungen noch mehr zu entziehen.“ In Anbetracht solcher Empfehlungen fragt man sich schon, warum Frau Merkel bundesweite Ausgangssperren von 22 bis 5 Uhr morgens vorschlägt, wenn die Inzidenzwerte zu hoch sind. Wann genau hat Angela Merkel aufgehört, auf die Wissenschaftler zu hören? Die Gesellschaft ist gerne bereit, sich für ein übergeordnetes Ziel, wie die Bekämpfung eines Virus, für eine Zeitlang unterzuordnen, solange sie den Sinn dahinter versteht. Da dies bei den zuletzt getroffenen Entscheidungen nur noch selten der Fall war, verliert die Politik immer mehr den Rückhalt in der Bevölkerung.

KEINE PERSPEKTIVEN

Zum Thema Ansteckungsgefahr im Freien passt auch die Forderung von Experten, Kindern wieder Freizeitsport zu ermöglichen. Unter dem Titel „Die viel größere Pandemie ist schon unterwegs“ berichtete die ZEIT Ende April, dass sich Kinder und Jugendliche schon in normalen Zeiten zu wenig bewegen und da in der Pandemie die Sportmöglichkeiten nun weiter eingeschränkt sind, seien die Folgen dramatisch.

Auch hier hört die Regierung nicht auf Expertenrat, denn mit der Änderung am Infektionsschutzgesetz wird der kontaktlose Sport im Freien nur noch in Gruppen von maximal fünf Kindern unter 14 Jahren erlaubt sein, während die Übungsleiter ein negatives Testergebnis nachweisen müssen. Auch für kulturelle Veranstaltungen im Freien sieht es für den kommenden Sommer mau aus. Wer geglaubt hat, dass man sich von Regierungsseite Gedanken gemacht hat, wie man zukünftige Veranstaltungen coronagerecht durchführen kann, sieht sich getäuscht. Schließlich trifft Corona die Gastronomie und die Kultur besonders hart, während die Industrie weitestgehend verschont bleibt. In anderen Ländern hat man gemeinsam mit Veranstaltern und der Wissenschaft Konzepte für Veranstaltungen mit Zuschauern entworfen, in Deutschland bietet man nicht mal mehr eine Perspektive. Während es verboten ist, im Biergarten etwas zu trinken, stehen täglich Hunderttausende bei BMW am Band oder arbeiten dichtgedrängt in Amazon Logistikzentren. Im Supermarkt tummeln sich 100 Kunden, aber für einen Schuhladen braucht man einen Termin. Wer systemrelevant ist, entscheidet also die Regierung? Die Folge wird sein, dass der Mittelstand systematisch ausradiert wird, während man als Global Player mit Staatshilfen zugeschissen wird, damit die anschließende Dividende für Kapitalanleger noch üppiger ausfällt. Bei aller Gefährlichkeit von COVID-19 kann ein genereller Shutdown nicht das Allheilmittel sein, denn dazu sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kollateralschäden viel zu hoch. Und alles nur, um eine Inzidenzzahl zu drücken, die prozentual nichtig ist und in kein Verhältnis zur Anzahl der Tests gesetzt wird.

DROSTENS VORGÄNGER KRITISIERT LOCKDOWN MASSNAHMEN

Mit einem offenen Brief an den Deutschen Bundestag haben sich die beiden Gesundheitsexperten Detlev Krüger und Klaus Stöhr in die Debatte über die Veränderung des Infektionsschutzgesetzes eingeschaltet. Krüger war 27 Jahre lang Leiter des Virologischen Instituts der Berliner Charité, bevor im Jahr 2017 Christian Drosten übernahm. Stöhr ist ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Beide stehen einigen Lockdown-Maßnahmen der deutschen Politik im Kampf gegen Covid-19 ablehnend gegenüber. In dem Brief heißt es u.a.: „Wir raten dringend davon ab, bei der geplanten gesetzlichen Normierung die ‚7-Tages-Inzidenz‘ als alleinige Bemessungsgrundlage für antipandemische Schutzmaßnahmen zu definieren.“ Weiterhin kritisieren sie die Kopplung von Restriktionen an Inzidenzen scharf. Der Inzidenzwert gebe „aufgrund der durchaus erwünschten Ausweitung von Testaktivitäten zunehmend weniger die Krankheitslast in der Gesellschaft wieder“, schreiben die Beiden. „Die im Gesetzesvorhaben vorgesehene 7-Tages-Inzidenz differenziert nicht, in welchen Altersgruppen, Lebensräumen und Bevölkerungsgruppen Infektionen auftreten. Eine gleich hohe Inzidenz kann dramatisch unterschiedliche Bedeutung haben …“ So sei denkbar, dass selbst dann, wenn es weniger Patienten in Krankenhäusern als bei Grippewellen gibt, „massive Einschränkungen der Freiheitsrechte mit gravierenden Auswirkungen auf Wirtschaft, Kultur und die körperliche und seelische Gesundheit erfolgen müssten“. Christian Drostens Vorgänger Detlef Krüger hatte bereits in einem Interview mit der WELT im Februar 2021 gesagt: „In einer aufgeklärten Gesellschaft kann man Menschen auch durch sachliche Informationen zu ordentlichem Verhalten bewegen. Man sollte Respekt vor diesem Virus haben, aber Angst ist völlig fehl am Platz.“

ÜBERRASCHENDE ERGEBNISSE

Dass Angst derzeit unangebracht ist, zeigt auch eine Pressemitteilung vom 14. April 2021, nach der die Sterbezahlen im März 2021 um 11% unter dem Durchschnitt der Vorjahre lagen. Nach einer Hochrechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) sind im März 2021 in Deutschland 81.359 Menschen gestorben. Diese Zahl liegt 11 % oder 9.714 Fälle unter dem Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 für diesen Monat. Dies geht aus einer Sonderauswertung der vorläufigen Sterbefallzahlen hervor. Dazu passt eine Recherche der ZEIT, nach der die Anzahl von Personen, die wegen des Coronavirus im Krankenhaus behandelt werden müssen, überschätzt wird. Zwischen 20 und 30 Prozent der Menschen, die die offizielle Statistik führt, sind nicht wegen Covid-19 in stationärer Behandlung, sondern wurden zufällig positiv getestet. Etwa Schwangere, die zur Entbindung kommen, oder verunfallte Personen. Auch bei der viel diskutierten Zahl von Patienten auf Intensivstationen gibt das Robert-Koch-Institut zu hohe Werte an: Auf den Intensivstationen werden zehn Prozent der als Corona-Fälle gemeldeten Patienten wegen einer anderen Ursache behandelt. Das bestätigte der Deutsche Verband der Intensivmediziner (Divi) auf Anfrage der ZEIT. Vor diesem Hintergrund verwundert es schon, dass der Bundestag eine sogenannte Bundes-Notbremse beschlossen hat, die es der Bundesregierung ermöglicht, ab einem willkürlichen Inzidenzwert von 100 elementare Grundgesetze außer Kraft zu setzen, ohne dass es eine ausreichende Begründung für die im Gesetz enthaltenen Maßnahmen gibt. Geht es tatsächlich noch um ein gefährliches Virus, vor dem man die Menschen um jeden Preis schützen muss? Oder ist Corona längst nur noch ein Politikum, bei dem es der Regierung darum geht, die Grenzen auszuloten, wie weit man gehen kann?