Oft wurde bei den Nibelungen-Festspielen der zentrale Blick der Erzählungen auf die weiblichen Hauptcharaktere der Nibelungen-Festspiele, Brünhild und Kriemhild, gelenkt. Doch stets waren es männliche Autoren, die diesen Blick in Worte gossen. Mit der preisgekrönten Autorin Maria Milisavljevic konnte erstmals eine Frau ihre Deutung der Geschehnisse zu Papier bringen. Doch vom Papier auf die Bühne ist es ein langer Weg, bei dem ein Stück oft Federn lassen muss oder Änderungen erfährt. So auch in diesem Jahr. Ungewöhnlich ist allerdings, dass der Prozess im Wesentlichen ohne die Autorin stattfand. So wurden etliche Passagen während der Probe umgeschrieben oder umgedeutet. Das betrifft zum Beispiel das Setting. Ist Pinar Karabuluts „Brynhild“ in einer seltsam dystopischen Welt angesiedelt, spielt Milisavljevic Stück in einer klassischen Szenerie. Ebenso ist nach Schilderung der Autorin das Stück deutlich ernster angelegt und vor allem weniger überdreht. Selbstverständlich ist die kreative Freiheit einer Regisseurin dazu da, sich ein Stück zu eigen zu machen. Doch die Diskrepanz zwischen Gezeigten und Gedachten zeigt sich bei „Brynhild“ auch in der Kernausrichtung insbesondere am Ende der aufgeführten Festspielfassung. Angesprochen am Ende des Gesprächs, ob es für sie reizvoll sei, ihre eigene Inszenierung von „Brynhild“ auf die Bühne zu bringen, räumte die Dramaturgin ein, dass dies ein interessanter Gedanke sei. Regieerfahrung konnte sie zumindest schon mal sammeln, als sie am Tarragon Theatre in Toronto von 2011 bis 2015 als Dramaturgin und Regisseurin arbeitete. WO! sprach mit der Autorin am Vortag der Premiere.
WO! Was waren Ihre ersten Gedanken, als die Anfrage bezüglich der Nibelungen-Festspiele kam?
Den Nibelungen haftet natürlich viel an, wie zum Beispiel, dass es so etwas wie ein Urstoff ist bzw. ein sehr deutscher Stoff ist, in dem viele Männer vorkommen. Zunächst ging es deswegen für mich darum, einen neuen Zugang zu finden. Ich wollte nicht einfach Hebbels Nibelungen Erzählung neu schildern. Ich beschloss, die Nibelungen mal Nibelungen sein zu lassen und ging in der Historie der Texte noch ein Stück weiter zurück und schaute mir an, was die ersten Quellen sind, also Texte, die aus früheren Gesängen oder Erzählungen entstanden sind. Ich habe mich dann ausgiebig mit der Edda beschäftigt und der Völsung Saga.
WO! Im Mittelpunkt ihrer Erzählung steht Brynhild, dennoch ist auch die Liederedda, auf die Sie sich beziehen, geprägt von männlicher Gewalt mit einem Sigurd im Mittelpunkt. Wie kam es dazu, Brynhild in das Zentrum Ihrer Geschichte zu stellen?
Als ich herausfand, dass aus den historischen Edda Büchern Seiten fehlten. Dann stellte ich Vergleiche mit der Völsung Sage an und merkte, die Geschichte ist viel komplexer. Es gibt dort eine längere Liebesgeschichte zwischen Sigurd und Brynhild, in der sie sich einander versprechen und sogar ein Kind zusammen haben. Eigentlich schlagen sie einen Weg des Friedens ein und sind gar nicht mehr dem Heldentum und dem Kriegerischen verpflichtet. Es ist erst die List und die Tücke der Burgunder, die durch einen Vergessens Trank Sigurd vergessen lassen und ihn wieder dem Krieg zu führen.
WO! Das heißt, Ihr Schwerpunkt ist die Liebesbeziehung zwischen Sigurd und Brynhild?
Vielmehr die Abkehr von Krieg und Heldentum, hin zu einer friedlichen, lebensbejahenden Einstellung.
WO! Die Liebe ist tatsächlich in der Aufführung ein sehr elementares Thema, wie auch die Schicksalsfrage, aus schlechten Bedingungen etwas Gutes zu schaffen. Was sich besonders im Monolog am Ende zeigt.
Allerdings muss ich dabei einräumen, dass der Monolog am Ende nicht von mir geschrieben wurde. Dieser entstand während der Probenzeit. Zugleich repräsentiert dieser, wie sich ein Team in der Vorbereitungszeit einen Text zu Eigen macht und andere Schwerpunkte setzt. Grundsätzlich bin ich aber damit einverstanden, dass Liebe ein starkes Thema in der gezeigten Fassung ist. Denn wenn wir nur Krieg und Blutvergießen denken, haben wir keine Zukunft.
WO! Können wir aus diesem Stück die Botschaft entnehmen, dass, wenn wir uns mehr auf die Liebe konzentrieren, die Welt eine bessere sein könnte.
Die einfache Antwort ist Ja! Es geht aber auch um Empathie und Solidarität und den Moment, aus der eigenen Perspektive auszubrechen und Verständnis für einander zu entwickeln. Ich glaube, dass dies ein Weg sein kann, dass wir besser miteinander umgehen.
WO! In „Brynhild“ treffen allerdings die Personen einmal mehr Entscheidungen, die negative Konsequenzen nach sich ziehen.
In meiner Fassung entscheiden sich die Figuren gegen die Liebe und gegen das Miteinander. Man hätte die Chance gehabt, Gutes zu schaffen und in einer Zukunft ohne Blutvergießen zu leben, aber in dem Moment, in dem Sigurd Brynhild betrügt, ist diese Chance vorbei. Brynhild befindet sich aber dann wieder im Widerspruch zu sich selbst. Sie will ja nicht mehr die Walküre sein, muss sie aber sein, woraufhin sie einen eigenen Weg wählt.
WO! Liegt es vielleicht im Wesen der Menschen, dass sich Geschichte immer wiederholt und oftmals der Weg der Gewalt beschritten wird? Im Nibelungenlied zeigt sich vieles, was auch aktuell wieder passiert.
Geschichte passiert nicht linear, sondern vielmehr zyklisch. Aus genau diesem Grund ist es wichtig, dass wir uns dies immer wieder vor Augen führen und unsere Chance im Jetzt erkennen. Und wie Sie richtig sagen, ist „Brynhild“ eine zwischenmenschliche Geschichte. Es muss ja offenbar im Privaten anfangen, weil es im Politischen anders gedacht wird.
WO! Ist es nicht ein wenig deprimierend, eine Geschichte zu schreiben, die letztlich auch wieder im Untergang mündet?
Das zyklische verändert sich. Das heißt, wir haben neue Aspekte, neue Blickwinkel. Insofern glaube ich, dass es Chancen gibt, in denen das mitgedacht wird. Das sieht man an solidarischen Bewegungen, wie zum Beispiel der Flüchtlingshilfe, auch wenn das ebenfalls wieder zu Polarisierungen führt. Wir wiederum wissen, wie man damit umgehen kann, da wir heute ein anderes Wissen haben, als vor hundert Jahren.
WO! Dennoch ist aber auch die Verführbarkeit des Menschen ein wichtiger Bestandteil der Geschichte. So wird Sigurd von Reginn benutzt und lässt sich letztlich von Kriemhild verführen
Vielmehr ist es eine Instrumentalisierung, wenn Sigurd sozusagen zum Kriegsinstrument für Reginns Interessen wird. Es ist das Muster des Kanonenfutters, während sich die Entscheider in Sicherheit wägen. Was wir auch im aktuellen Ukraine Krieg sehen. Wenn Sigurd zu Beginn Fafnir für einen Drachen hält, bezieht sich das ebenfalls auf die Mechanismen dieser Instrumentalisierung, wenn Gegner entmenschlicht werden und damit zum Feind degradiert werden. Bei Kriemhild verhält es sich wieder etwas anders. Sigurd lässt sich zur Gewalt verführen. Als ihm das bewusst wird, ist seine Enttäuschung über sich selbst so groß, dass er sich von Brynhild abwendet und Kriemhild zuwendet. Meine Erzählung ist insofern auch eine Auseinandersetzung damit, was Kriege mit Menschen machen.
Wir danken Ihnen für das Gespräch
Das Gespräch wurde geführt von Dennis Dirigo
Foto: Andreas Stumpf