Wormser Originale sind Leute, die – aus den verschiedensten Gründen – aus der Stadt nicht mehr wegzudenken sind, wobei man nicht zwingend in Worms geboren sein muss, aber man sollte doch zumindest sein Herz hier verloren haben.
Unsere heutige Persönlichkeit ist eigentlich gar kein Wormser, denn Willi Rohr wurde am 24.01.1952 in Otterstadt bei Speyer geboren. Trotzdem ist der Mann, der wie kein Zweiter das Gesicht der „Funzel“ verkörpert, aus der Nibelungenstadt nicht mehr wegzudenken…
Es ist Sonntag. Ein Mann mit stattlicher Größe, langen Haaren und Bart steht am Tresen in „seiner Bar“ und zapft gerade ein Bier. Die alten Boxen an der Decke spielen einen langsamen Blues und durch die Rauchschwaden hindurch leuchtet ein riesiges Schild mit der Aufschrift „Copa-Cabana“. So sieht es eigentlich immer aus, wenn Willi Rohr mal wieder in der Funzel steht. Dabei hat der Mann, der im Winter 65 geworden ist, einiges zu erzählen. Seine Geschichte beginnt in der Pfalz, wo er auf Wunsch seiner Eltern eine Bankkaufmannslehre machte, damit er sich „später einmal nicht die Finger schmutzig machen müsse.“ Mit 19 hatte er davon aber die Schnauze gestrichen voll und es zog ihn nach München, wo er „das Leben studierte“ und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Hier stieß Willi an der Universität zum ersten Mal auf das Thema Politik und sein Interesse war geweckt. Über eine Zwischenstation als ungelernter Arbeiter bei der BASF und Trampen durch Südfrankreich, muss er schließlich zum Wehrdienst und steht dort vor der Entscheidung, entweder zu verweigern oder sich in seiner Soldatenzeit zu engagieren. Es entstanden hier der Aufbau eines Soldatenkomitees und ein 2 ½ wöchiger Streik, der zwar rechtlich nicht legal, aber von Willi und seinen Leuten mit reichlich Kreativität durchgeführt wurde. .
Kein Wunder also, wenn Willi erzählt, dass er danach sogar drei Jahre rein politisch tätig war und zwischenzeitlich sogar Landesvorsitzender einer der K-Parteien gewesen ist. Überhaupt ist es spannend, Willi zuzuhören, wenn er von seiner Zeit als Aktiver berichtet: Betriebsratsgründungen, Betriebsbesetzungen, Arbeitsniederlegungen (auch die, die nicht durch das Betriebsverfassungsgesetz legitimiert waren) und Arbeiten als Journalist für eine sozialistische Zeitung sind nur wenige Beispiele für die Geschichten, die Willi auf Lager hat. Dass er dann letztendlich nach Worms kam, verdankt er nur einem glücklichen Zufall. „In Worms war gerade ein billiges Zimmer in einer Wohngemeinschaft frei und ich wollte die Gelegenheit nutzen, mit interessanten Menschen zusammenzuwohnen.“
Willi arbeitete hier zunächst bei der Stadt, als Angestellter für die Jugendwerkstatt, bevor er dann 1989 das Angebot bekam, die Funzel zu übernehmen. Er hatte vorher noch nie den Gedanken an das Betreiben einer Wirtschaft gehabt und laut eigener Aussage auch keinerlei Konzept für die kleine Kneipe hinterm Bahnhof: „Ich wollte einfach eine Kneipe, die mir selber gut gefällt“. Auch für Musik interessiert sich Willi erst seitdem so richtig und es kommt natürlich nur ins CD-Fach, was ihm auch selber gefällt. Seine Bandbreite reicht hier von New Orleans Jazz, Swing, Funk, Country Rock, Fusion, Punk oder sogar Hardcore. Insbesondere die amerikanische Blueskultur um Bob Dylan hat es ihm angetan und mit Eric Taylor oder Spencer Bohren hat er sogar einige auf die heimische Bühne gebracht. Auf diese Konzerte ist „der Altmeister“, wie man ihn gerne nennt, besonders stolz. Mit der Funzel hat er ein zeitloses Meisterwerk einer Kneipe geschaffen. Kaum ein zweiter Laden in Worms ist für die Entwicklung und die Förderung von Subkultur so wichtig gewesen wie die kleine Eckkneipe hinterm Bahnhof. Man kann sich an kaum eine Wormser Band erinnern, die nicht irgendwann mal dort ihre Karriere angefangen hat. Einige Bands stammen sogar direkt aus ihr heraus und unser Fotograf kann wahrscheinlich nicht mehr mitzählen, wie viele Bandfotos er dort schon gemacht hat.
Hier trifft man sich, redet miteinander und ist einfach in einer Art zweitem Wohnzimmer. Ob „Funzelbaguette“, „Saure“ oder die Salatsauce – viele Produkte haben in den knapp 30 Jahren unter Willi einen absoluten Kultstatus erreicht. Manch einer vermutet hinter der Funzel sogar eine Art „Stargate“, ein Tor in die Kneipenkultur einer längst vergessenen Dekade. Mittlerweile ist Willi jedoch nur noch gelegentlich in der Funzel anzutreffen, da er sich aus dem Tagesgeschäft mehr und mehr zurückzieht. Sein Hobby ist jetzt viel mehr das Wandern durch den Pfälzer Wald oder bis Frankreich. Aus seiner Leidenschaft zu Frankreich rührt auch die Pastissammlung in seiner Kneipe. Über 20 Sorten hat er bereits und dürfte damit wohl eine der größten Sammlungen dieses Anisschnapses aufgebaut haben. Sein zweites Hobby ist die Literatur. Er liest gerne und das soviel wie möglich.
Irgendwie kann man sich eine Funzel ohne einen Willi am Tresen gar nicht vorstellen. Und wenn man ihm beim Geschichten erzählen ein wenig zuhört, er sich selbst irgendwie auch nicht. Denn er mag seine Kneipe so wie sie ist und die Leute in Worms mögen sie auch. Es heißt ja nicht umsonst: „Wo ein Willi ist, ist auch ein Bier.“