Berlin, kurz vor 10 Uhr morgens. Die Sonne scheint vor der Landesvertretung, während im Innern die letzten Vorbereitungen für die Pressekonferenz der Nibelungen-Festspiele laufen. Möglicherweise verweist die strahlende Frühlingssonne über der Hauptstadt auf das Wüstenklima, das ab 4. August 2017 im Schatten des Wormser Kaiserdoms herrschen wird, denn dann feiert das diesjährige Festspielstück „GLUT.Siegfried von Arabien“ seine Premiere.

Die Nibelungen und die Politik

Für gewöhnlich findet diese Pressekonferenz, bei der auch ein Teil des Ensembles vorgestellt wird, im Mozartsaal des Wormser Kulturzentrums statt. In diesem Jahr folgten die Verantwortlichen jedoch allzu gerne dem Ruf von Ministerpräsidentin Malu Dreyer nach Berlin, die in die Landesvertretung Rheinland-Pfalz einlud mit der Begründung: „Im Jahr der Bundesratspräsidentschaft wird Rheinland-Pfalz noch stärker als sonst beachtet. Deshalb habe ich heute gerne das Haus der Rheinland-Pfälzer in Berlin genutzt, um mit den Nibelungen-Festspielen auf die vielfältige und herausragende Kultur in unserem Land aufmerksam zu machen.“ Neben dieser moralischen Unterstützung fördert das Land die Festspiele mit einem Zuschuss von 650.000 Euro. Der städtische Zuschuss beträgt 1,5 Millionen Euro (Gesamtbudget: 3,75 Mio. Euro). Nach diesen einleitenden Worten übernahm der Wormser Oberbürgermeister das Wort und erklärte, dass Worms längst den Nibelungenschatz in Form des reichhaltigen kulturellen Schatzes gehoben hätte und dieser auch für eine wirtschaftliche Wertschöpfungskette sorge. „Kultur ist mindestens genauso wichtig wie Infrastruktur!“ Kissel sieht insbesondere in der Festlegung des Nibelungendichters auf die Stadt Worms ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal als Nibelungenstadt.

Albert Ostermaier und die „GLUT“

Natürlich geht es bei der Pressekonferenz in erster Linie nicht um Politik, sondern um das aktuelle Stück, mit dem der Münchner Autor Albert Ostermaier nach „Gemetzel“ und „Gold“ seine Trilogie vollendet. Die Geschichte, die dieses Jahr auf der Westseite des Doms (Platz der Partnerschaft) erzählt wird, könnte auch locker die Vorlage für einen mehrteiligen Abenteuerfilm sein, dennoch ist es dem Autor wichtig zu betonen, dass diese auf wahren Begebenheiten beruht. Angelehnt an die Abenteuer des historischen Hauptmanns Klein, der vom „Tagesspiegel“ der „Deutsche Lawrence von Arabien“ genannt wurde, erzählt Ostermaier die Geschichte einer Truppe Soldaten, die, getarnt als Wanderzirkus, im Jahr 1915 in den Orient reisen, mit dem Ziel, Ölquellen zu sabotieren, Perserstämme zum Aufstand zu bewegen und damit das britische Königreich empfindlich zu schwächen. Die vermeintliche Gauklertruppe probt während dieser Fahrt im Orient-Express „Die Nibelungen“, welche sie im Feindesland aufführen wollen. Ein Stück spannende Zeitgeschichte, dem der Autor ein zeitgemäßes dramaturgisches Gewand verpassen möchte. Für Ostermaier ist „Glut“ Liebesgeschichte, Roadmovie, Komödie, Thriller und Abenteuer sowie ein Lehrstück darüber, was passiert, wenn westliche Nationen im Orient zündeln. „Deutsche haben versucht, Dschihadisten zu instrumentalisieren. Die Folgen sind heute noch spürbar“, erläuterte der Autor hinsichtlich der politischen Dimension des Stoffes und verwies zugleich auf die Aktualität.

Ein alter Bekannter und ein neuer Dramaturg

Regie führt wie im letzten Jahr Nuran David Calis, der an die Worte Ostermaiers direkt anschloss, dass für ihn „Glut“ in erster Linie eine große Liebesgeschichte sei. Theater sei schließlich keine politische Lesestunde. Bereits im letzten Jahr bewies der in Bochum geborene Regisseur ein gutes Händchen bei der visuellen Umsetzung von Ostermaiers mitunter etwas wortgewaltigen Sprachstils. Den wortgewaltigen Monologen und Dialogen setzte Calis einen rauschhaften Inszenierungsstil entgegen, der leicht vergessen ließ, dass nicht alles in der Handlung Sinn machte. Mit einem ordentlichen Gespür für Tempo und Rhythmus möchte der vom Feuilleton hochgelobte Regisseur auch in diesem Jahr ein spannendes und vor allem unterhaltsames Theaterstück im Schatten des Doms inszenieren. Wie im Vorjahr wird eine Videoleinwand die intimen Momente betonen. Desweiteren verriet Calis, dass Flammenwerfer zum Einsatz kommen werden, sowie ein Drache. Kryptisch erklärte der politisch ambitionierte Regisseur: „Hier kommt der Zug ins Spiel.“ Unterstützung für die bühnengerechte Aufbereitung des Textes bekommt Calis von dem deutschlandweit bekannten Dramaturgen Thomas Laue. Laue wird ab 2018 auch als künstlerischer Leiter der Festspiele in Worms tätig sein. Intendant und Filmproduzent Nico Hofmann zeigte sich von dessen Fähigkeiten derart beeindruckt, dass er Laue auch als Chefdramaturg für die UFA Holding engagierte. Eine ungewöhnliche Wahl. Immerhin betreut die Produktionsfirma auch Serieneinerlei wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Laue selbst betont in Interviews gerne, dass er selbst gar keinen Fernseher besitze. Ähnlich wie in Worms ist es auch dort sein Job, Autoren bei der Entwicklung von neuen Stoffen zu begleiten. Mit einem Gespür für Sprache und dem Talent, Regisseure und Autoren bei der Hand zu nehmen, erarbeitete er sich einen exzellenten Ruf.

Ein Ensemble mit Renommee

Natürlich tragen zum Gelingen eines Stückes auch die Schauspieler ein großes Stück bei. Dem Festspiel-Team gelang es abermals, ein interessantes Ensemble zusammen zu stellen. Fünf davon fanden sich bei der Pressekonferenz ein, um über ihre Rollen zu sprechen. Die Rolle des Hauptmanns Klein spielt der aus TV und Kino bekannte Schauspieler Heio von Stetten. Von Stetten erläuterte, dass seine Rolle im Grunde die des Hagens sei, allerdings sei dieser für ihn weniger ein Schurke, vielmehr sei er ein Idealist. Einen großen Namen hat auch David Bennent. Nicht nur, dass er aus einer renommierten Schauspielfamilie stammt, er selbst erspielte sich mit der Darstellung des Oskar Matzerath in der Günter Grass Verfilmung „Die Blechtrommel“ Weltruhm. Heute spricht der gerademal 1,55 Meter große Schauspieler ungern über diesen Part, viel lieber über seine großen Theatererfolge in Paris, wo er unter dem großartigen Regisseur Patrice Chereau spielte und Calis zu der Aussage verleitete: „Als Student bin ich extra nach Paris gefahren, um David spielen zu sehen. David ist eine Ikone der Theater- und Filmgeschichte.“ Zurzeit steht er in Berlin auf der Bühne. In Worms wird er die Rolle eines Waffenhändlers namens Monsieur Vulture spielen. Angelehnt an den Dichter Rimbaud, der tatsächlich im 19. Jahrhundert einen Waffenhandel hochzog, sieht Bennent in der Figur jedoch keinen Waffenhändler der heutigen Prägung. Der wahre Rimbaud handelte tatsächlich mit Waffen, allerdings nicht in dieser Zeit und in Afrika statt im Orient. Ein bekanntes Gesicht aus Film und Fernsehen ist auch der in Lampertheim geborene Oscar Ortega Sanchez. Der Schauspieler mit spanischem Hintergrund spielt den persischen Polizeichef Enver Sahin. Mit Polizistenrollen hat Sanchez ebenso große Erfahrung wie mit dem Darstellen von Ausländern. An der Seite von Ex-Nibelungen-Star Erol Sander spielt er seit vielen Jahren in der beliebten Krimiserie „Mordkommission Istanbul“ dessen türkischen Assistenten. In Berlin erklärte der Schauspieler sichtlich erfreut, dass er durch diesen Part endlich auch mal wieder in der Heimat spielen würde. Im WO! Gespräch erzählte er, dass sein Kollege Uwe Ochsenknecht ihm dringend dazu geraten habe, das Engagement in Worms anzunehmen. Ochsenknecht hätte über Worms ausschließlich Gutes zu berichten gewusst. Ein weiteres bekanntes Gesicht ist Mehmet Kurtulus. Der deutsch-türkische Schauspieler ist ebenso im Kino wie im TV beheimatet, so spielte er u.a. mit in Fathi Akins Gangsterfilm „Kurz und schmerzlos“ und sorgte für frischen Wind beim „Tatort“ als verdeckter Ermittler Cenk Batu. In Worms wird er Scheich Omar spielen; eine Figur, die an den Hunnenkönig Etzel angelehnt ist. Weibliche Unterstützung erhielten die vier Männer in Berlin durch die Schauspielerin Valerie Koch. In der Rolle der Lady Adler wird sie eine Doppelagentin spielen. Kurz vor der Pressekonferenz erst engagiert, wusste sie allerdings noch nicht viel zu ihrer Rolle und den Nibelungen zu sagen. Neben den anwesenden Darstellern werden auch Schauspieler aus dem vergangenen Jahr wieder mit von der Partie sein. Frei nach dem Motto, alle guten Dinge sind drei, wird Alexandra Kamp in diesem Jahr ihr drittes Gastspiel in Worms geben. Kamp spielt eine Frau namens Gertrude Nachtigall-Bellhof. Eine Dame, die laut Pressemappe an Brünhild angelehnt ist. Der letztjährige Siegfried Darsteller Ismael Deniz spielt Prinz Igur und Sascha Göpel (Hagen, 2016) ist als Leutnant von Habicht alias Wotan zu sehen.

Es wagnert in Worms

Auch Musik wird wieder eine große Rolle spielen. Wie im letzten Jahr wird diese arrangiert und komponiert von den beiden Brüdern Vivan und Ketan Bhatti. Hierzu erklärte der anwesende Vivan Bhatti, dass man neben Originalkompositionen auch Fragmente aus Richard Wagners Tetralogie „Ring des Nibelungen“ in die Aufführung einarbeiten möchte, und das auf zwei Ebenen: Zum einen soll die Musik die Handlung – wie bei einem Film – dramaturgisch begleiten und unterstützen, zum anderen ist sie tatsächlich Teil der Inszenierung, da die Gauklertruppe Wagners Musikdramen im Stück probt. Das Kammerensemble aus acht Musikern, das die Wagner-Musik live vor dem Dom spielen soll, wird somit auch Teil der Schauspieltruppe sein, erläuterte Vivan Bhatti. Eine weitere Ähnlichkeit mit „Gold“, wo auch das kleine Orchester aktiv auf der Bühne zu sehen und zu hören war. Um den Werken Wagners auch den nötigen stimmlichen Ausdruck zu verleihen, werden erstmals Opernsänger vor dem Dom singen. Die Sopranistin Nadja Michael spielt das Ensemblemitglied Halide Vogel und singt den Part der Walküre. Unterstützung bekommt sie von dem Tenor Bassem Alkhouri. Regisseur Calis versicherte in diesem Zusammenhang: „Es wird groß, es wird nicht gekleckert.“ Verstärkt werden soll der musikalische Eindruck über die Videoebene. „Es muss überwältigend sein, wie Wagner es ist.“

Die Nibelungen-Festspiele finden vom 4. August bis 20. August 2017 statt. Weitere Infos zu Tickets und Programm finden Sie unter: www.nibelungenfestspiele.de